Herr Prof. Dr. Krawinkel, welche gesundheitlichen Folgen hat ein Vitamin A-Mangel?
Vitamin A-Mangel kann je nach Schweregrad verschiedene Auswirkungen auf die Gesundheit haben. Besonders bekannt und gravierend sind die Folgen für das Auge: Eine Störung der Netzhaut kann zu Dunkeladaptionsstörung, Nachtblindheit und sogar Erblindung führen. Darüber hinaus hat Vitamin A eine wichtige Funktion für das Immunsystem. Ein Mangel kann die Immunabwehr durch gestörte Lymphozyten und beeinträchtigte Schleimhautintegrität schwächen.
Wie groß ist der globale Vitamin A-Mangel aktuell?
Laut einer aktuellen systematischen Überprüfung und Modellanalyse, die 2023 im Journal of Global Health veröffentlicht wurde, leiden weltweit etwa 15 Prozent der Kinder und Jugendlichen bis 18 Jahre an Vitamin A-Mangel. Die Daten zeigen deutliche regionale Unterschiede: In Afrika sind 24,5 Prozent der Bevölkerung betroffen, in der östlichen Mittelmeerregion 17,4 Prozent. In Südostasien beträgt der Anteil der Betroffenen 13,1 Prozent. Bei diesen Daten wird jedoch nicht nach Schweregrad des Mangels differenziert. Länder wie Afghanistan und Madagaskar sind zum Beispiel von schwerem Mangel betroffen. Moderater Mangel zeigt sich in Teilen Afrikas, Indiens und Bangladeschs, während milder Mangel in großen Teilen Südamerikas, Zentralamerikas und Zentralasiens (einschließlich Russland und China) vorkommt. Allerdings liegen dem teils sehr alte Daten zugrunde, was die Aussagekraft der Ergebnisse einschränkt. Seit der Erhebung der in der Studie angeführten Daten wurden bereits zahlreiche Interventionsmaßnahmen umgesetzt. Dazu gehören beispielsweise Programme zur routinemäßigen Vitamin A-Supplementierung bei Säuglingen sowie die Fortifizierung, also die Anreicherung von Lebensmitteln.
Wie entsteht Vitamin-A-Mangel?
In der Regel ist ein allgemeiner Nahrungsmangel die Ursache, insbesondere in Situationen akuter Ernährungsunsicherheit oder bei humanitären Versorgungsengpässen. Dadurch entsteht eine Unterversorgung verschiedener essenzieller Nährstoffe – also nicht allein ein Vitamin A-Mangel. Es greift zu kurz, wenn man sich alleine auf die isolierte Bekämpfung des Vitamin A-Mangels fokussiert. Ein zentraler Ansatz, um Vitamin A-Mangel zu bekämpfen, sollte sein, die Ernährungssituation generell zu verbessern. Insgesamt hängt die Strategie gegen einen Vitamin A-Mangel, beziehungsweise gegen eine allgemeine Unterversorgung, von den lokal verfügbaren Möglichkeiten ab.
Wie lässt sich Vitamin A-Mangel am besten verhindern?
Eine ausreichende Vitamin A-Versorgung über die Ernährung sollte im Kindesalter nach dem Stillen neben pflanzlichen Lebensmitteln auch durch den Verzehr von tierischen Lebensmitteln sichergestellt werden. Denn diese sind die einzige direkte Quelle von Vitamin A. Pflanzliche Lebensmittel enthalten nur Vorstufen von Vitamin A (Provitamin A), welche im Körper in Vitamin A umgewandelt werden müssen. Um den Vitamin A-Bedarf durch pflanzliches Provitamin A zu decken, sind drei Faktoren entscheidend: Erstens die Menge der enthaltenen Carotinoide, zweitens die Umwandlungsfähigkeit dieser Carotinoide, die je nach Art variiert, und drittens die gleichzeitige Fettaufnahme. Da Vitamin A ein fettlösliches Vitamin ist, ist Fett unerlässlich, damit der Körper es absorbieren kann.
In akuten Notsituationen sowie bei institutioneller Ernährung kann es sinnvoll sein, Lebensmittel mit Vitamin A anzureichern. Dabei sind Öle sinnvoll, da sie gleichzeitig für eine gute Aufnahme sorgen.
„Goldener Reis“ heißt eine Reissorte, die mittels gentechnischer Verfahren mit Provitamin A, einer Vorstufe von Vitamin A, angereichert wird. Wieso eignet sich dieser Reis nicht als Teil einer Gesamtstrategie?
Goldener Reis ist eine isolierte Lösung für ein weitreichendes Problem der Ernährungssituation und erfasst nicht den gesamten Umfang der Problematik. Eine weitere zentrale Kritik betrifft die hohen Kosten für die Entwicklung des Produkts – Geld, das in anderen Projekten sinnvoller eingesetzt werden könnte. Darüber hinaus ist die Menge des im Reis enthaltenen Reiskeimöls nicht ausreichend, um das Provitamin A effektiv aufnehmen zu können. Somit kann der Goldene Reis bei isoliertem Verzehr, also ohne die zeitgleiche Aufnahme von zusätzlichen Fetten, die Vitamin A-Versorgung nicht verbessern.
Zudem müssen die ökologischen, sozialen und ökonomischen Auswirkungen von Goldenem Reis sorgfältig berücksichtigt werden, insbesondere in Bezug auf die Anpassung der Sorten an lokale Bedingungen. Hierbei müssen sowohl das Klima und die Bodeneigenschaften als auch die Arbeits- und Lebensbedingungen der Menschen vor Ort berücksichtigt werden. Wie kann sichergestellt werden, dass das Risiko geringer oder ausbleibender Erträge nicht bei den Kleinbauern abgeladen wird? Wenn all diese Aspekte nicht berücksichtigt werden, dann ist es ein Produkt mehr, das von Amerika, Europa oder Australien in die Welt gesetzt wird und die Probleme der Menschen nicht wirklich löst.
Wie bewerten Sie gentechnisch veränderte Pflanzen allgemein für unsere Gesundheit?
Die gesundheitliche Bewertung gentechnisch veränderter Pflanzen ist derzeit schwierig, da es nur wenige unabhängige Studien gibt. Die starke Lobby der Befürworter von Gentechnik in Industrie und Agrarwissenschaft erschwert es, neutrale Forschung zu betreiben. Bislang gibt es keine gesicherten Beweise darüber, ob gentechnisch veränderte Pflanzen langfristig gesundheitlich unbedenklich sind oder nicht. Insgesamt sollten bei der Anwendung solcher Verfahren jedoch die Kosten und Nutzen sorgfältig abgewogen werden. Denn mögliche Nebeneffekte sind oft schwer zuzuordnen, was die gesundheitliche Bewertung zusätzlich erschwert.
Prof. i. R. Dr. Michael Krawinkel war neben vielen weiteren Tätigkeiten bis 2016 Professor für Ernährung des Menschen mit Schwerpunkt Ernährung in Entwicklungsländern im Institut für Ernährungswissenschaft und Mitglied im Zentrum für Kinderheilkunde und Jugendmedizin der Justus-Liebig-Universität Gießen.