Vage Bekenntnisse zur Stärkung der Zivilgesellschaft
Gleich an mehreren Stellen bekennen sich die neuen Regierungsparteien zur Stärkung der Zivilgesellschaft und zum Schutz ihrer Handlungsräume in den Außenbeziehungen bzw. im Globalen Süden. Konkretes findet sich leider nicht. Die Koalitionär*innen bleiben sehr vage und definieren nicht weiter, wie dies umgesetzt werden soll. Damit das Bekenntnis Wirkung zeigen kann, wäre es wichtig gewesen, klar zu benennen, welche Instrumente dafür eingesetzt werden: wie zum Beispiel Regierungsverhandlungen/-konsultationen oder Prüfverfahren, um sicherzustellen, dass eigene Entscheidungen nicht zu Einschränkungen der Zivilgesellschaft in anderen Ländern führen. Dies gilt umso mehr, da viele befürchten, dass mit der angekündigten stärkeren Abbildung „geopolitische(r) und ökonomische(r) Realitäten“ in der Entwicklungszusammenarbeit menschenrechtsbasierte Ansätze, Förderung, Partizipation und Schutz der Zivilgesellschaft weniger Beachtung finden könnten.
Kürzungen bei der Finanzierung?
Besonders angesichts der angekündigten Kürzungen im Etat der Entwicklungszusammenarbeit gilt es sicherzustellen, dass die finanzielle Förderung von zivilgesellschaftlichen Organisationen im Globalen Süden von den Kürzungen nicht betroffen sein wird. Dies wäre angesichts der weltweiten Demokratiekrise und der Kürzungen an zivilgesellschaftlicher Förderung durch andere Staaten ein fatales Signal. Auch das Auswärtige Amt sollte keine Einschnitte beim Menschenrechtsschutz machen: Hier hat sich gezeigt, wie wirksam die seit 2021 eingesetzten Menschenrechtsreferent*innen an den Botschaften sind: Sie erlauben es zum Beispiel, Prozesse von kriminalisierten Aktivist*innen oder NGO-Mitarbeitenden zu beobachten, was zu mehr Rechtssicherheit und weniger politisch motivierten Verurteilungen führt. Dies bestätigen Partnerorganisationen von Brot für die Welt aus betroffenen Ländern.
Zivilgesellschaft als zentrale Säule
Auch in den Teilen, die sich mit der Zivilgesellschaft in Deutschland und mit den Freiheitsrechten beschäftigen, zeigt sich ein ambivalentes Bild: Die Regierungsparteien würdigen die Bedeutung gemeinnütziger Organisationen, Vereine und zivilgesellschaftlicher Akteure als zentrale Säulen unserer Gesellschaft. Es soll eine*n Staatsminister*in für Sport und Ehrenamt geben. Das gibt die Möglichkeit, Belange für zivilgesellschaftliches Engagement, die auf viele Ressorts verteilt sind, kohärenter und koordinierter zu fassen und zu adressieren. Das bei Teilen der Union umstrittene Bundesprogramm „Demokratie leben“ soll fortgesetzt werden. Jedoch soll seine Wirkung unabhängig überprüft werden. Dass die Union künftig das Familienministerium führen und damit die Kontrolle über das Förderprogramm haben wird, dürfte viele Vereine beunruhigen, die sich mit Mitteln aus diesem Programm für die Demokratie und gegen Rechtsextremismus engagieren. Gerade weil der Rechtsextremismus im Land immer stärker wird, sollte die neue Regierung zivilgesellschaftliches Engagement stärken und nicht schwächen – auch durch mehr Geld für das Programm.
Weiter Unsicherheit bei der Gemeinnützigkeit
Zum Gemeinnützigkeitsrecht erwähnt der Koalitionsvertrag eine Modernisierung und die Erweiterung der Zwecke. Hier ist ausdrücklich E-Sport, der sportliche Wettkampf mit Computerspielen, erwähnt. Auch für journalistische Angebote soll mehr Rechtssicherheit geschaffen werden, was darauf hoffen lässt, dass gemeinnützige Medien- und Pressearbeit durch Vereine als gemeinnütziger Zweck anerkannt wird. Leider sind Menschenrechte und Demokratieförderung nicht als neue gemeinnützige Zwecke aufgeführt. Diese wäre ein wichtiger Schritt gewesen, um Vereine zu unterstützen, die sich Rassismus und Diskriminierung entgegenstellen sowie den gesellschaftlichen Zusammenhalt vor Ort stärken. So bleibt ihr gemeinnütziger Status weiter angreifbar. In der Vergangenheit hat gerade die AfD diese rechtliche Unsicherheit immer wieder ausgenutzt, indem sie Vereine beim Finanzamt angezeigt hat, damit diese ihre Gemeinnützigkeit verlieren. Hier muss die neue Regierung mehr Rechtssicherheit schaffen und als neue Zwecke Menschenrechte und Demokratieförderung aufnehmen, genauso wie die Klarstellung, dass Vereine sich unbegrenzt politisch zu ihren eigenen Zwecken betätigen dürfen.
Einschüchterungsversuche durch Gerichtsklagen verhindern
Positiv ist, dass die EU-Anti-SLAPP-Richtlinie zeitnah umgesetzt werden soll – Strategic Lawsuits against Public Participation (SLAPP) ist eine rechtsmissbräuchliche Form der Klage, die den Zweck hat, Kritiker*innen einzuschüchtern und ihre öffentlich vorgebrachte Kritik zu unterbinden. Dies wäre ein wichtiger Beitrag, um Einschüchterungsversuche und Angriffe gegenüber zivilgesellschaftlichen Akteur*innen durch Gerichtsklagen abzuwehren. Die Bedeutung der Richtlinie zeigt sich an folgendem Beispiel: Greenpeace International wurde zusammen mit Greenpeace USA in North Dakota angeklagt und zur Zahlung einer Entschädigung von 666 Millionen US-Dollar verurteilt. Falls dieses Urteil rechtsgültig wird, hätte es Greenpeace International in den Konkurs treiben können. Die Organisation rettet, dass sie ihren Sitz in den Niederlanden hat und die dortige Regierung die EU-Anti-SLAPP-Richtlinie bereits umgesetzt hat.
Vorratsdatenspeicherung kommt zurück
Eine negative Bewertung aus Sicht der Freiheitsrechte erhalten die Regierungsparteien beim Thema Überwachung. Hier sind gleich eine ganze Reihe neuer Einschränkungen geplant. Die anlasslose Vorratsdatenspeicherung soll zurückkehren. Zwar soll das Gerichtsurteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) aus dem Jahr 2022 berücksichtigt werden. Doch auch dieses sieht vor, dass zum Schutz der nationalen Sicherheit und zur Bekämpfung schwerer Kriminalität IP-Adressen allgemein und unterschiedslos „für einen auf das absolut Notwendige begrenzten Zeitraum“ gespeichert werden können. Dies heißt, dass nicht nur die IP-Adressen von Verdächtigen, sondern der gesamten Bevölkerung von privaten Telekommunikationsfirmen gespeichert werden sollen. Das Recht der Vertraulichkeit von Kommunikation und das Fernmeldegeheimnis können so verletzt werden.Des Weiteren soll für vage definierte „bestimmte Zwecke“ die automatische Datenrecherche und -analyse sowie der biometrische Abgleich von Bildern mit öffentlichen Fotos im Internet möglich gemacht werden. Die Gesellschaft für Freiheitsrechte befürchtet, dass so die Grundlagen dafür geschaffen werden, dass Sicherheitsbehörden mit der KI-Software Palantir von Trump-Unterstützer Peter Thiel riesige Datenmengen auswerten könnten. Das bedeutet mehr Überwachung denn je – nicht nur für Verdächtige, sondern für alle Menschen, was sich auch negativ auf das zivilgesellschaftliche Engagement auswirken kann.
Fazit: Wenig Konkretes, mehr Überwachung
Das Bild ist ambivalent: Es gibt wenig eindeutig Positives wie die zeitnahe Umsetzung der EU-Anti-SLAPP-Richtlinie, viele allgemeine Bekenntnisse zur Bedeutung der Zivilgesellschaft weltweit und in Deutschland, weitere rechtliche Unsicherheit bezüglich des Gemeinnützigkeitsrechts und Einschränkungen der Freiheitsrechte durch mehr Überwachung. Im Umkehrschluss heißt das, dass die Zivilgesellschaft sich auf keinen Fall zurücklehnen kann: Wir alle, ob Vereine oder engagierte Menschen, sollten an den positiven Bekenntnissen zur Zivilgesellschaft anknüpfen und diese aktiv nutzen, um den wichtigen Forderungen nach dem Schutz von Menschenrechtsverteidiger*innen und Zivilgesellschaft weltweit, finanzieller Förderung, einem modernen Gemeinnützigkeitsrecht sowie der Einhaltung von Freiheitsrechten in Deutschland mehr Gehör zu verschaffen. Denn in Zeiten, in denen Menschenrechte, Demokratie und Antidiskriminierung weltweit und auch in Deutschland immer mehr angegriffen werden, können wir es uns nicht leisten, diesen Attacken nichts entgegenzusetzen.