Kleine Anfragen sind ein wichtiges Instrument der parlamentarischen Opposition, um Transparenz beim Regierungshandeln herzustellen. Diese Anfrage der Unionsfraktion aber schlägt einen besonderen Ton an. Sie stellt der Bundesregierung Fragen zu 17 bekannten Vereinen und referiert Vorwürfe, dass diese als gemeinnützige und teilweise staatlich finanzierte Organisationen ihre politische Neutralität nicht wahren würden. Die Union sieht in den Demonstrationen gegen Rechtsextremismus und gegen eine Zusammenarbeit mit der AfD eine gezielte parteipolitische Einflussnahme. Sie spricht von „Wahlkampfunterstützung“. Beunruhigend ist, dass die Anfrage auch Artikel der Tageszeitung "Welt" anführt, in denen Nichtregierungsorganisationen als eine „Schattenstruktur, die mit staatlichen Geldern indirekt Politik betreibt“ bezeichnet werden. Wenn diese aktiv in politische Meinungsbildung eingriffen, „könnte dies ein Verstoß gegen die demokratische Grundordnung sein“.
Bereits Mitte Februar drohte Unions-Fraktionsvize Mathias Middelberg (CDU) gemeinnützigen Organisationen, die sich an „parteipolitischen Aktionen“ gegen die Union oder Friedrich Merz beteiligten würden, Staatsgelder zu entziehen. Middelberg zielte dabei vor allem auf Fördergelder aus dem Bundesprogramm „Demokratie leben“. Diese Programme werde man scharf prüfen „und gegebenenfalls auch ganz streichen“. Damit wird suggeriert, dass die Arbeit von Vereinen, die Finanzmittel aus diesem Programm erhalten, unrecht und schädlich sei.
Rolle der Zivilgesellschaft in einer Demokratie
In Deutschland setzen sich aus gutem Grund viele Vereine für Themen ein, die für die gesamte Gesellschaft und unser Gemeinwohl wichtig sind: Zum Beispiel für Demokratie und Gerechtigkeit, für den Schutz der Menschenrechte, für Umwelt- und Klimaschutz, gegen Extremismus und Diskriminierung. Die Rolle der Zivilgesellschaft ist nicht nur eine karitative und humanitäre. Ob im Globalen Süden oder bei uns hier in Deutschland - zivilgesellschaftliche Organisationen mobilisieren für vergessene Themen und bringen sie so in öffentliche und politische Debatten. Sie tragen dazu bei, Dinge auf die politische Agenda zu bringen. Ihre Daten und Analysen bringen wichtiges Wissen und Fakten in öffentliche Diskussionen und zu politischen Entscheidungsträger*innen. Mit ihrer Watch-Dog Rolle und dem Einfordern von Rechenschaftspflichten leisten Vereine und zivilgesellschaftliche Initiativen wichtige Beiträge für das Gemeinwohl, für Transparenz, gegen Korruption und gegen Missmanagement.
Wenn sich ein Verein ökologische, soziale oder kulturelle Ziele setzt, will er etwas zum Positiven hin verändern. Er unterstützt deshalb automatisch bestimmte politische Entscheidungen oder lehnt andere ab. Dass dabei politische Meinungen artikuliert werden, ist selbstverständlich. Vereine, Initiativen, soziale Bewegungen und engagierte Menschen übernehmen so Verantwortung für die Gesellschaft und andere Menschen. Sie sind eine wichtige Säule der Demokratie.
Neutralitätsgebot für die Zivilgesellschaft?
Zwar gibt es laut eines grundlegenden Urteils des Bundesfinanzhofs von 1998 ein Neutralitätsgebot für gemeinnützige Vereine, dieses bezieht sich jedoch nicht auf politische Themen, sondern auf Parteipolitik.[1] Das bedeutet zum Beispiel, dass gemeinnützige Vereine nicht für Parteien spenden dürfen sowie Parteien im Wahlkampf oder Kandidat*innen für politische Ämter nicht unterstützen dürfen. Auch das Bundesverfassungsgericht hat betont, dass es im Gegenteil die Aufgabe des Staates sei, „freie und offene Meinungs- und Willensbildung“ zu gewährleisten. Die Übertragung von Neutralitätspflichten des Staats auf unabhängige zivilgesellschaftliche Akteure, auch wenn diese vom Staat gefördert werden, sei ein „etatistisches Missverständnis“ so der Jurist Jonas Deyda. Dies bestätigt auch das Bundesverfassungsgericht: Organisationen, die staatliche Unterstützung erhalten, haben eine eigenständige gesellschaftliche Rolle. Ihre Unabhängigkeit muss gewahrt bleiben.
Die Abgabenordnung, die die Bedingungen für Gemeinnützigkeit regelt, erlaubt, dass sich Vereine politisch einmischen. Ein Verein darf politisch Stellung beziehen, vorausgesetzt dieses dient der Verfolgung seiner gemeinnützigen Zwecke, zum Beispiel durch Stellungnahmen oder Teilnahme an Demonstrationen. Ein Naturschutzverein darf zum Beispiel Kampagnen zur Förderung von Klimaschutzmaßnahmen durchführen oder für strengere Umweltschutzgesetze eintreten, wenn diese Aktivitäten darauf abzielen, sein Hauptziel – den Schutz der Umwelt – zu unterstützen. Darüber hinaus hat Anfang 2022 das Bundesfinanzministerium in Absprache mit den Landesfinanzministerien im Anwendungserlass zur Abgabenordnung (AEAO) bestätigt, dass es nicht zu beanstanden sei, wenn eine gemeinnützige Körperschaft „außerhalb ihrer Satzungszwecke vereinzelt zu tagespolitischen Themen Stellung nimmt“.
Schutz und Rückendeckung statt Delegitimation
Wie das Neutralitätsgebots in der Kleinen Anfrage ausgelegt wird, lässt an Methoden der AfD zur Einschüchterung denken, so Anfang März ein offener Brief von tausenden von Wissenschaftler*innen: Die AfD nutze verzerrte Darstellungen von „Neutralität“, heißt es darin, um die wehrhafte Demokratie zu delegitimieren und um auf zivilgesellschaftliche Initiativen, Organisationen und Akteure, aber auch Lehrerinnen und Lehrer, Wahlbeamte und Mitarbeitende von Behörden und öffentlicher Verwaltung Druck auszuüben.
Gerade in Zeiten wachsender gesellschaftlicher Polarisierung sollten demokratische Parteien nicht versuchen, zivilgesellschaftliches Engagement durch öffentliche Vorwürfe, mögliche rechtliche Folgen oder dem Drohen eines Förderungsentzugs zu delegitimieren und einzuschüchtern. Zivilgesellschaft soll und darf, auch wenn sie gemeinnützig ist und staatliche Förderung erhält, unbequeme Fragen stellen und Parteien für ihr Handeln und Vorhaben kritisieren. Eine wehrhafte Demokratie lebt vom Engagement der Menschen, die sich für sie einsetzen. Dieses Engagement, Vereine, ihre Mitglieder und engagierte Menschen brauchen mehr denn je Schutz und Rückendeckung, auch wenn Positionen auseinander liegen.
[1] BFH, Urteil vom 23. November 1998 - I R 11/88, BStBl. II 1989, 391 unter II. 4. Buchst. b) und c)