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Wie viel Ausgrenzung verträgt unsere Gesellschaft?

Die Migrationsdebatte in Deutschland spitzt sich wöchentlich zu. Die einen wollen Sicherheit durch Ausgrenzung erreichen. Die anderen erleben diese Ausgrenzung bereits tagtäglich. Die wechselseitige Entfremdung steigt. Es wird einsam in Deutschland.

Von Dr. Andreas Grünewald am
Stop-Zeichen

Na toll. Gefühlt halb Deutschland verfolgt live die historische Bundestagsdebatte, in der es – schon wieder – um Asylrechtsverschärfungen geht, und in der – erstmalig – ein Antrag der CDU/CSU-Fraktion mithilfe der Stimmen der AfD eine Mehrheit bekommt. Und ich? Sitze in einer Beiratssitzung. Anfangs schwer auszuhalten. Inhaltlich geht es um die Anwerbung ausländischer Gesundheitsfachkräfte. Sicher ein wichtiges Thema, wie auch die prominente Teilnehmer*innenliste der Beiratssitzung zeigt.

Mehrere Ministerien, Spitzenverbände aus der Wohlfahrt und der Wirtschaft – sie alle treibt die Frage um, wie wir Deutschland attraktiver für ausländische Fachkräfte machen können. Das ist so ungefähr die umgekehrte Frage, die zeitgleich im Bundestag gestellt wird, nämlich: Wie können wir Deutschland möglichst gut abschotten?

Polarisierte politische Debatten und Alltagsrassismus

Union-Kanzlerkandidat Friedrich Merz präsentiert seine diesbezüglichen Pläne zeitgleich in der Plenardebatte. Dabei nützt es auch nichts, dass er eingangs betont, wie wichtig Menschen mit Migrationsgeschichte für unseren Wohlstand seien. Denn der Hauptpunkt seiner Rede ist der (vermeintliche) Kontrollverlust in der Migrationspolitik und dessen Gefahren. Damit bedient er einen Diskurs, der zugewanderte Menschen als Sicherheitsrisiko darstellt, und treibt die Polarisierung der Gesellschaft voran. Leidtragend davon sind alle Menschen mit Migrationsgeschichte, auch die von uns so sehr geschätzten Arbeitskräfte.

Das wird bei der Beiratssitzung schnell deutlich. Gleich der erste Input zu philippinischen Pflegekräften liefert deutliche Zahlen. Zwei Drittel der für eine Studie befragten philippinischen Fachkräfte berichten davon, am Arbeitsplatz von Rassismus und Diskriminierung betroffen zu sein. Herablassende Bemerkungen und Beleidigungen („Sie nennen Asiaten Schlitzaugen“) spielen dabei die größte Rolle. Aber auch Schikanen sowie Erfahrungen von Ausgrenzung („ich werde nicht in die interne Whatsapp-Gruppe eingeladen“) gehören zum Arbeitsalltag der Befragten. Gelegentlich kommt es sogar zu körperlichen Übergriffen.

Es ist ein erschreckendes Bild des alltäglichen Rassismus, den philippinische Arbeitskräfte in Pflegeeinrichtungen erleben. Und nicht nur sie. Ein anderer Input bei der Beiratssitzung zum „betrieblichen Integrationsmanagement“ liefert weitere Belege dafür, wie stark Rassismus im Arbeitsalltag verbreitet ist. Dies reicht von Mikroagressionen, dem informellen Ausschluss der „Anderen“ aus den Pflegeteams, dem Absprechen von Fachlichkeit bis hin zur gesellschaftlichen Normalisierung rechtspopulistischer Positionen.

Wir müssen Stellung beziehen

Es ist schwer auszuhalten, das alles zu hören. Und es tut gut, als ein Vertreter eines Spitzenverbandes das Wort ergreift. Er sagt, ihm bereite die aktuelle Migrationsdebatte in Deutschland und der immer weiter grassierende Rassismus große Sorgen. Er sagt aber vor allem auch, dass wir dem nicht tatenlos zusehen dürfen. Dass er es als Aufgabe seines Verbandes und von uns allen sieht, klar Stellung zu beziehen für ein weltoffenes Deutschland – gerade angesichts der Diskussion, die zeitgleich im Bundestag läuft.

Dort nämlich werden nicht nur Forderungen gestellt, die Menschlichkeit und Rechtsstaatlichkeit gleichermaßen zu Grabe tragen – wie die völlige Abschottung der deutschen Außengrenzen gegenüber Schutzsuchenden. Dort wird auch an einem Diskurs gestrickt, welcher Zuwanderung nach Deutschland zum größten Sicherheitsrisiko der Gegenwart erhebt. Jeder Migrant eine potentielle Gefahr. Nein, so ist das natürlich nicht gemeint, aber so kommt das an. Ein Indiz dafür ist der neue Rekord an rassistisch motivierten Straftaten in Deutschland in 2024.

Diese Erfahrungen werden übrigens auch im Ausland wahrgenommen. Zum Beispiel in den Phillippinen. „70 Prozent der Fragen [von potentiellen Arbeitsmigrant*innen] drehen sich um Rassismus“, zitiert die Frankfurter Rundschau einen deutschen Rekruter, der in den Philippinen arbeitet. „Wenn es so weitergeht, wird bald niemand mehr nach Deutschland wollen."

Was würden die Abgeordneten im Bundestag zu diesen Aussichten sagen? „So war das nicht gemeint.“? Oder: „Ziel erreicht.“?  So oder so. Es wird einsam in Deutschland.

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