“We face neither east nor west. We face forward.” Diese berühmten Worte, die Kwame Nkrumah, der erste Präsident Ghanas anlässlich einer Rede am 7. April 1960 in Accra sagte, sind heute bedeutender denn je. Afrika orientiert sich vorwärts und dies zunehmend mit Partnern, die sich die afrikanischen Länder selbst aussuchen. Diese kommen uns Europäer:innen nicht immer gelegen. Sie beeinflussen aber unser Verhältnis zum afrikanischen Kontinent und bewirken, dass wir unsere Rolle in dieser Partnerschaft kritischer denn je hinterfragen müssen. Vor allem, wenn wir weiterhin ein Partner bleiben wollen.
Beteiligung zivilgesellschaftlicher Akteure weiterhin bescheiden
In diesem Kontext aktualisiert das Auswärtige Amt im Auftrag der Bundesregierung gegenwärtig seine afrikapolitischen Leitlinien. Ein Prozess, der auch in der Vergangenheit immer wieder zu Stirnrunzeln geführt hat, da er von einer minimalen Beteiligung vor allem afrikanischer aber auch deutscher Zivilgesellschaft geprägt gewesen ist.
Für dieses Mal hat sich das Auswärtige Amt eine neue Herangehensweise überlegt und den Think Tank Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) mit der Begleitung beauftragt. Seit September werden in regelmäßigen Abständen Blogbeiträge zur Lage des Kontinents und der Partnerschaft veröffentlicht. Es finden sich – wie bereits in der Vergangenheit – wenig Stimmen zivilgesellschaftlicher Akteure vom Kontinent selbst. Es ist erneut ein exklusiver und für die afrikanische Zivilgesellschaft schwer zugänglicher Prozess.
Deshalb haben wir Partner:innen von Brot für die Welt eingeladen aus ihrer Sicht zu formulieren, was sie sich für eine politische Ausrichtung oder Herangehensweise der Bundesregierung mit ihren Ländern wünschen oder was vielleicht auch nicht mehr. Wir haben uns dabei auf die Themenfelder Agrarökologie, Migration sowie Frieden und Sicherheit konzentriert.
Agrarökologie
Über 80 Prozent der in Subsahara-Afrika erzeugten Lebensmittel werden von Kleinbäuer:innen produziert; Landwirtschaft leistet einen substantiellen Beitrag zur Wirtschaft afrikanischer Länder. Agrarökologische Ansätze werden von sehr vielen unserer Partnerorganisationen als ein wichtiger Beitrag zur Klimaresistenz und zur Stärkung der Unabhängigkeit der Landwirt:innen bei gleichzeitigem Schutz der Umwelt von der Forschung betrachtet. Rosinah Mbenya von PELUM Kenya sagt dazu: „Agrarökologie wird die Unabhängigkeit der Kleinbauern stärken und sie vor der Vereinnahmung durch Konzerne schützen. Deshalb müssen die Interessen der Kleinbäuer:innen bei allen politischen Prozessen und Umstellungsbemühungen im Mittelpunkt stehen.“ Sie fordert Deutschland auf, in seinen Leitlinien einen stärkeren Fokus auf Frauen und junge Menschen in der Landwirtschaft zu legen. 60 Prozent der afrikanischen Bevölkerung sind unter 25 Jahre alt, trotzdem liegt das Durchschnittsalter eines kenianischen Landwirts bei 55 bis 60 Jahren. Die junge Bevölkerung voller Energie und Innovation ist aber für eine nachhaltige, positive Umgestaltung der Lebensmittelsysteme notwendig. Netzwerke und soziale Bewegungen müssen in alle Prozesse von Beginn an einbezogen werden und eng mit anderen Interessensvertreter:innen in einem sektorübergreifenden und multidisziplinären Ansatz zusammenarbeiten.
Migration – Ursachenforschung und integrative Ansätze
Unsere Partnerorganisation "Africa Unite" aus Südafrika, Gründer des Netzwerks SAMIN, welches zu innerafrikanischer Migration arbeitet, schlägt vor, dass Deutschland sich in Zusammenarbeit mit seinen afrikanischen Partnern auf die gemeinsame Bekämpfung der Grundursachen für Migration (Folgen des Klimawandels, Krieg, Konflikt, Landraub) konzentriert und dabei einen integrativen Ansatz verfolgt, der die am stärksten von Migration betroffenen Menschen in alle Prozesse integriert. SAMIN weist darauf hin, dass Migration nicht um der Migration willen geschehe, sondern immer im Kontext der jeweiligen Ursachen zu betrachten ist. Hier spielt vor allem Friedenssicherung und Versöhnung eine wichtige Rolle. Migration kann, wenn sie auf Menschenrechte, soziale Integration und langfristige Entwicklung ausgerichtet ist, für beide Seiten vorteilhaft sein, weil eine gute gesteuerte Migration die Zusammenarbeit, den Dialog und vor allem das gegenseitige Verständnis fördert. Aus Sicht von SAMIN wäre ein weiterer wichtiger Punkt für Deutschland, die Missverständnisse, die in der Öffentlichkeit über Migration herrschen, zu beseitigen. Für eine Meinungsbildung sei entscheidend, faktengestützte und gut informierte Diskussionen zu Migration unter Beteiligung migrierter Menschen zu führen.
Frieden und Sicherheit – lokale Lösungen akzeptieren
Weltweit bleibt Subsahara-Afrika weiterhin die Region mit der höchsten Anzahl von Kriegen und Konflikten. Bisher waren gut gemeinte europäische Missionen mit dem Ziel, Frieden herzustellen, nicht erfolgreich. Umso verständlicher ist es, dass unsere Partnerorganisationen sich verstärkt dafür einsetzen, Frieden und Sicherheit auf ihre Art und Weise zu schaffen. "L'organisation pour la Réflexion, la Formation et l’Education à la Démocratie et au Développment"(ORFED) aus Mali hat dazu vor allem eine Bitte an die Bundesregierung: „Habt Vertrauen in uns; wir sind durchaus in der Lage, unsere Entwicklung eigenständig zu beeinflussen und zu gestalten.“ Viele Malier:innen, aber auch die Nachbarländer stellen das demokratische Modell der Sahelregion in Frage und unterstützen ihre aktuellen Militärregierungen partiell, mit der Hoffnung, dass daraus neue und bessere Entwicklungsmodelle entstehen können.
Das "West Africa Network for Peacebuilding" (WANEP) aus Burkina Faso macht deutlich, dass die langjährige Krise den sozialen Zusammenhalt und das Zusammenleben zwischen den Gemeinschaften stark beeinträchtigt hat. Zum Beispiel müssen Binnenvertriebene und die aufnehmende Bevölkerung sich wenige Ressourcen teilen und das Bildungssystem hat viele Jahre gelitten. Die aktuellen Machthaber verwenden daher ihre Energie dazu, zunächst einmal das Vertrauen innerhalb unterschiedlicher Bevölkerungsgruppen wiederherzustellen. Ein Prozess, der aus Sicht der befragten Partner sehr wichtig für die weitere Entwicklung ist und deshalb aktiv von Deutschland durch konkrete Maßnahmen unterstützt werden könnte. Zum Beispiel kann die wirtschaftliche und soziale Unabhängigkeit von Frauen und Jugendlichen gefördert und die institutionellen Kapazitäten und Organisationen von Jugend- und Frauenverbänden gestärkt werden. Binnenvertriebene benötigen angemessene humanitäre Hilfe und die Transformation und Kommerzialisierung von Agrarprodukten muss vorangetrieben werden.
Vertrauen in Entscheidungen
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass unsere Partnerorganisationen sich vor allem wünschen, dass wir lernen zuzuhören und erst dann mit Vorschlägen auf sie zukommen. Dass wir auch lernen zu akzeptieren, dass sie sich für Wege entscheiden, die sich von Herangehensweisen der letzten Jahre unterscheiden. Eine nigerianische Partnerin äußerte sich zur Lage im Sahel folgendermaßen: „Uns ging es auch die letzten 40 Jahre mit dem post-kolonialen Demokratiesystem nicht gut. Jetzt probieren wir etwas Eigenes aus. Vielleicht wird es uns damit auch nicht gut gehen, aber dann haben wir wenigstens etwas Eigenes ausprobiert.“ Das Stichwort ist Vertrauen. Wir müssen lernen, Vertrauen in die Entscheidungen der afrikanischen Länder zu haben, wenn wir weiterhin ihr Partner bleiben wollen. Nicht mehr umgekehrt. Wenn wir diese Herangehensweise in der Vergangenheit beherzigt hätten, wären wir jetzt vielleicht in der Lage, uns zu den jüngsten Entwicklungen (angekündigter Ausstieg dreier Länder aus ECOWAS und die Verschiebung der Wahlen im Senegal auf unbestimmte Zeit) zu äußern und würden dann vielleicht mit unseren – durchaus berechtigen Sorgen –ernst genommen werden. Jetzt verhallen sie als post-koloniale Einmischung. Eine traurige Entwicklung, weil gerade jetzt diverse, alte und neue Partnerschaften für die (Neu-)gestaltung vieler afrikanischer Länder hilfreich sein könnten.
Brot für die Welt bringt sich in Zusammenarbeit mit anderen deutschen Organisationen in den deutschen Konsultationsprozess ein, unter anderem mit einem Blogbeitrag bei der SWP und durch Konsultationsrunden. Auch wenn die Prozesse suboptimal sind, werden wir möglichst viele Stimmen und Ideen aus dem Partnerschaftsfeld einbringen.