Der aktuelle Gesetzentwurf in Ghana bedroht u. a. Personen, die sich für LGBTIQ* Rechte einsetzen mit bis zu fünf Jahren Gefängnis. Wie bewertet Brot für die Welt die Situation?
Vor dem Hintergrund des nun im Parlament beschlossenen Anti-LGBTIQ*-Gesetzes in Ghana und dem schon verabschiedeten Anti-LGBTIQ*-Gesetz in Uganda sind wir äußerst alarmiert. Wir befürchten, dass die dortigen Gesetzgebungen einen Dominoeffekt auslösen könnten und zu einer Welle von Anti-LGBTIQ* Gesetzgebungen gerade auf dem afrikanischen Kontinent führen. Unsere Partner*innen berichten, dass homofeindliche Gesetze in Ländern wie Tansania, Kenia und Burkina Faso bereits in Arbeit sind.
Dabei ist die verstärkte Bedrohung von Menschen aufgrund ihrer sexuellen Orientierung, ihres Geschlechtsausdrucks, der Identität und sexuellen Charakteristika keinesfalls ein Phänomen der afrikanischen Regionen. Vielmehr erleben wir eine erstarkende Anti-Gender Bewegung auch in Teilen Europas.
Homofeindliche Gesetze gibt es ja in vielen Ländern schon seit langem. Warum erwartet ihr dieses Mal einen Dominoeffekt?
Farina Hoffmann: Die Anti-Genderbewegung ist weltweit organisiert und sehr gut finanziert. Im Atlas der Zivilgesellschaft 2020 zeigte Brot für die Welt bereits das enge Netzwerk der Anti-Genderbewegung auf. Diese ursprünglich aus der US-amerikanischen christlichen Rechten stammende und vom Vatikan unterstützte Bewegung umfasst z.B. die radikal-christliche Agenda Europe, CitizenGo, World Congress of Families und Family Watch International. Bei dem Gesetz in Uganda waren US-amerikanische Christ:innen an der Finanzierung und der Gesetzgebung beteiligt. Die US-NGO Family Watch International finanziert Reisen und Trainings von Politiker:innen in Kenia, Uganda und anderen afrikanischen Ländern zu ihrer homofeindlichen Agenda. Im April 2023 richtete sie einen inter-parlamentarischen Kongress in Uganda aus und 2019 tagte der World Congress of Families in Accra, um die Lobbyarbeit zur Anti-LGBTIQ* Gesetzgebung in Ghana zu vertiefen. Ein Ziel der globalen Anti-Genderbewegung ist es, Gesetze zur Kriminalisierung oder Verschärfung bestehender Gesetze gegen LGBTIQ*-Menschen in Parlamente einzubringen.
Wie schaffen diese Akteur:innen das?
Farina Hoffmann: Unsere Partner*innen aus verschiedenen Ländern berichten etwa von der gezielten Einflussnahme durch den einschlägig bekannten World Congress of Families. Dieser macht auf großen Konferenzen Stimmung gegen queere Personen. Mitglieder des Kongresses suchen sich gezielt Abgeordnete und lobbyieren, damit diese Anti-LGBTIQ* Gesetzentwürfe einbringen. Und sie üben auch durch kirchennahe und Kirchenstrukturen Diskriminierung und Gewalt aus, indem sich Christenräte, wie der ghanaische Kirchenrat oder der interreligiöse ugandische Kirchenrat, offen für die Anti-LGBTIQ* Gesetzgebung aussprechen. Dagegen sind einzelne LGBTIQ*-freundliche Stimmen deutlich in der Unterzahl. Diese Diskriminierung und der Ausschluss von LGBTIQ* aus kirchlichen Strukturen verletzt nicht zuletzt die Religionsfreiheit von LGBTIQ*-Menschen.
Was ist neu daran?
Tina Kleiber: Unser Eindruck ist, dass sich die Instrumentalisierung afrikanischer Kirchen verstärkt hat. Auch die starke Beeinflussung und Verbreitung von Hetze durch die russisch-orthodoxe Kirche in afrikanischen Ländern ist neu. Sie schürt beispielsweise die Behauptung, dass es in afrikanischen Ländern gar keine queeren Menschen gäbe, sondern nur im „Westen“. Das ist eine komplizierte Verdrehung, die leider auf fruchtbaren Boden fällt. Denn viele der Gesetze zur Kriminalisierung von LGBTIQ* sind in den 1860ern und 1870ern als Kolonialgesetze entstanden und von Kolonialmächten u. a. in afrikanischen Kolonien eingeführt worden. Anti-Gender-Aktivist*innen mischen auch sexualisierte Gewalt und Gewalt gegen Kinder (sogenannte Pädophilie) bewusst in die Debatte um Homosexualität, um Hass und Gewalt gegen LGBTIQ* zu provozieren. Das leugnet aber die jahrtausendalte queere Geschichte im globalen Süden sowie die vielen Überlieferungen von dortigen Beziehungen und Identitäten, die im europäisch-nordamerikanischen Sprachgebrauch heute unter dem Begriff homosexuell bzw. queer gefasst werden. In lokalen Sprachen und Ethnien haben sie oft eigene Namen und sind bzw. waren Teil eines breiteren nicht-binären Geschlechterverständnisses.
Unser Fazit: Letztlich geht es hier darum einen Sündenbock zu finden, um patriarchale Geschlechterverhältnisse und traditionelle Rollenzuschreibungen zu verankern und aus der Diffamierung queerer Menschen politisches Kapital zu schlagen. Es reicht bereits „anders“ auszusehen um bedroht, verteufelt oder angegriffen zu werden und trifft diejenigen, die vermeintlich Gendernormen verletzen.
Was bedeuten die neuen homofeindlichen Gesetzgebungen konkret für die Menschen in den LGBTIQ* Communities in den Ländern, in denen sie erlassen werden?
Tina Kleiber: Die neuen Anti-LGBTIQ* Gesetze kriminalisieren queere Menschen bzw. diejenigen die dafür gehalten werden ebenso wie ihre Unterstützer:innen und bedrohen sie mit teils mehrjährigen Haftstrafen. Vor allem das ghanaische Gesetz setzt auf Denunziation und auf eine Entsolidarisierung mit LGBTIQ*-Menschen. Bereits die Debatten um Anti-LGBTIQ* Gesetze führen noch vor ihrem Inkrafttreten zu einer Zunahme der Angriffe auf queere Menschen, wie wir es aktuell in Ghana erleben. Dies führt zu einer Atmosphäre dauerhafter Angst in der Community und bei ihren Verbündeten. Das Interfaith Diversity Network of West Africa (IDNOWA) verurteilte dies zuletzt im März 2024 in einem Brief an die ghanaische Bischofskonferenz. Es besteht akuter Handlungsdruck, denn die Betroffenen müssen geschützt werden.
Gerade in Ländern wie Uganda, Ghana, Kenia oder Nigeria, wo Kirchenzugehörigkeit und Teilhabe in Gemeinde und Familie so eine zentrale Rolle spielen, trifft der Vorwurf der Sünde und der entsprechende Ausschluss aus der Gemeinschaft queere Menschen besonders hart. Viele leben aufgrund der Stigmatisierung ohnehin schon prekär und verlieren ihre Arbeit, ihr Einkommen, werden wohnungslos, verlieren das Sorgerecht für ihre Kinder. Durch die Hetze und Fake News werden queere Menschen quasi für vogelfrei erklärt.
Was können und müssen Kirchen jetzt tun?
Tina Kleiber: Kirchen haben eine sehr wichtige Rolle. Einige Kirchen und kirchliche Dachverbände sowie Einzelpersonen innerhalb der Kirchen setzen sich für Schulungen zu LGBTIQ* Rechten und Religiosität und entsprechende öffentliche Statements ein. Es geht auch um die Einrichtung von Safe Spaces und Seelsorge sowie LGBTIQ*-unterstützende theologische Interpretationen – darin unterstützen wir unsere Partnerorganisationen.
Andere Kirchenvertreter*innen beziehen sich auf progressive afrikanische Theologie und setzen sich der beschriebenen Dämonisierung entgegen und erklären, dass diese Hetze, Verfolgung und Gewalt nicht in ihrem Namen geschieht. Sie argumentieren, dass der Aufruf zu Gewalt und Exklusion klar dem Evangelium widerspricht.
Manche afrikanische Theolog:innen machen zudem darauf aufmerksam, dass Religion und Bibelverständnis manipulativ eingesetzt und afrikanische Kirchen funktionalisiert werden. Sie zeigen auf, dass etwa die Bibel Homosexualität kaum erwähnt und beispielsweise die oft herangezogene Geschichte von Sodom und Gomorrha keine Verurteilung von Homosexuellen darstellt, sondern diese grundsätzlich von sexualisierter Gewalt und der Verurteilung von Egoismus und mangelnde Hilfeleistung in der Gesellschaft handelt, die mit dem Untergang von Sodom und Gomorrha bestraft wird.
Wir wünschen uns, dass sich Kirchen von dogmatischen Auslegungen distanzieren und sich solidarisch erklären und Schutz bieten. Kirchen können sich darauf berufen, dass es ihre Aufgabe ist, den Schwächsten beizustehen.