Es ist eine eindrückliche Zahl: 5,6 Milliarden Menschen leben in Ländern, in denen die Zivilgesellschaft stark oder komplett unterdrückt wird. Krasses Beispiel für diesen Befund des 7. Atlas der Zivilgesellschaft ist Nicaragua: Das Land, in dem einst die Kraft der Zivilgesellschaft dazu geführt hat, dass eine Guerilla Diktator Somoza vertreiben konnte, sieht sich heute wieder fest im Griff eines autoritären Regimes. Es sperrt Oppositionelle ein oder, bürgert sie aus. Protest wird unterdrückt. Menschen werden ermordet.
Wie Dagmar Pruin, Präsidentin von Brot für die Welt, auf der Launch-Veranstaltung des neuen Atlas betonte, bleiben nicaraguanischen zivilgesellschaftlichen Akteuren im Exil Möglichkeiten zu wirken. Auch durch die Unterstützung von Brot für die Welt konnten ausgebürgerte Aktivistinnen in einem in Lateinamerika erschienenen Buch beschreiben, wie sie ihre unmenschlichen Haftbedingungen erlebt und überstanden haben.
„Wir sind viele – jede und jeder einzelne von uns“ – das ist die Kraft die in der Zivilgesellschaft steckt und die kein Regime abtöten kann. Und die lässt sich auf viele andere Bereiche übertragen: Ihr war es unter anderem zu verdanken, dass die Staatengemeinschaft auf dem vergangenen Klimagipfel einen Fonds für Klimaschäden und -verluste eingerichtet hat. Dadurch erkennen die Staaten des Nordens ihre Verantwortung endlich an und gehen einen kleinen Schritt hin zu mehr Gerechtigkeit.
Eine neue Phase der Unterdrückung zivilgesellschaftlichen Engagements
Klimagerechtigkeit ist eines der Hauptanliegen von Brot für die Welt. Luisa Neubauer von Fridays for Future Deutschland und Mitstreiterin in dieser Sache beschrieb eindrücklich, wie stark sich der Widerstand gegen Klimaaktivismus inzwischen in Deutschland formiert. „Das Land befindet sich in einer neuen Phase“, sagte Neubauer. Dazu gehört, dass insbesondere massiv gegen eine weiblich geprägte Klima-Zivilgesellschaft vorgegangen werde. Der Hass, der sich vor allem in sozialen Netzwerken gegen Aktivistinnen entlädt, sei auch für sie persönlich zu einem großen Problem geworden, das sie täglich begleitet. So habe sie beim Öffnen ihres Briefkastens stets ein ungutes Gefühl, nehme keine Pakete an und bewege sich nicht mehr ohne Basecap durch die Stadt, um möglichst unerkannt zu bleiben.
In sozialen Netzwerken, in denen ihr häufig mit Vergewaltigungsphantasien gedroht werde, verhalte sie sich extrem vorsichtig, teile niemals Bilder und Namen von Freunden, um sie vor Angriffen zu schützen. Die Gegenstrategie, von der Neubauer auf dem Podium des Atlas-Launch Gebrauch macht, lautet: das Problem „Hass“ benennen und es öffentlich machen. Es zeigt sich, dass die Diskursverschiebung, in der Klimaaktivismus kriminalisiert wird, Neubauer genauso große Sorge bereitet wie den Macher:innen des Atlas der Zivilgesellschaft.
Dazu passt ein weiterer Befund: Erstmals wurde Deutschland, das bislang die beste Einstufung für die Wahrung zivilgesellschaftlicher Freiheiten erhalten hatte, von CIVICUS in die zweitbeste Kategorie „beeinträchtigt“ herabgestuft. Ein Grund dafür ist unverhältnismäßiger Umgang mit Klimaprotest, wie zum Beispiel der umstrittene Gebrauch von Präventivhaft gegen Mitglieder der Letzten Generation in Bayern.
Ein Ökosystem der Hoffnung
Was sich in Deutschland noch auf einem menschenrechtlich fragwürdigen Niveau abspielt, trägt in anderen Ländern klare Züge von Unterdrückung. Luisa Neubauer nannte Uganda als Beispiel, wo Menschen, die sich für die gleichen Klima-Ziele einsetzen wie sie, brutal unterdrückt und oft inhaftiert werden. Allein deshalb gehe ihr nicht die Kraft aus, und auch weil sie ein Ökosystem der Hoffnung ansporne weiterzumachen. Aufgeben ist keine Option.
Dasselbe gilt für Partner von Brot für die Welt, die am Abend des Atlas-Launch in Johannesburg, Kiew und Tegucigalpa live zugeschaltet waren. Robby Mokgalaka von der Organisation GroundWork in Südafrika, einem Partner von Brot für die Welt, beklagte die massive Unterdrückung von Protest gegen den zerstörerischen Kohlebergbau in seinem Land. Dazu gehören perfide Strategien, um Aktivist:innen mundtot zu machen, einschließlich ungeahndeter Morde. Der Staat schließt die Augen, eine hohe Straflosigkeit begünstigt ein Klima, in dem Protest unterdrückt werden kann. Grund dafür sei unter anderem, dass in seinem Land ein koloniales Extraktivismus-Modell fortgesetzt werde, auch vorangetrieben von Ländern wie Deutschland, einem der Hauptabnehmer südafrikanischer Kohle.
Ähnliches berichtete Ramiro Lara vom Brot für die Welt-Partner ASONOG in Honduras. Der Staat bereitet Unternehmen den Weg, damit sie uneingeschränkt und unbehindert von Protest Raubbau an der Natur betreiben können wie Bergbau, Anbau von Monokulturen, massiver Holzeinschlag. Weil Ramiro Lara eine Gemeinde beraten hat, in der lebenswichtiger Wald abgeholzt wurde, ist er ins Visier der Macht geraten: Sein Haus wurde von Attentätern beschossen. Er hat den Angriff nur überlebt, weil er zufällig abwesend war. Auch dank der Hilfe von Brot für die Welt konnte er seitdem mehrmals den Wohnsitz wechseln, um der Bedrohung zu entgehen.
Schutz von Menschenrechten eine Frage der Glaubwürdigkeit
Warum geraten Menschen, die sich für Klimaschutz einsetzen weltweit immer stärker in Bedrängnis? Silke Pfeiffer, Brot für die Welt-Expertin für Zivilgesellschaft, erklärte es so: Je mehr Druck für den Klimaschutz entsteht und je größer die Kraft, die sich dabei entfaltet, umso stärker das Zurückschlagen der fossilen Welt, in der wir immer noch leben.
Davon berichteten auch Frank Schwabe, Bundestagsabgeordneter der SPD und Obmann seiner Fraktion im Menschenrechtsausschuss und Mark Fodor, Campaigner des Brot für die Welt-Partners Coalition for Human Rights in Development. „Wir erleben immer wieder, dass marginalisierte Gruppen zum Schweigen gebracht werden, wenn sie versuchen, ihre Rechte einzufordern“, sagte Fodor. Eine indigene Anführerin, die gegen eine von der staatlichen deutschen Förderbank KfW geförderte Ammoniakanlage in Mexiko kämpft, könne sich nur noch mit kugelsicherer Weste bewegen. Frank Schwabe wurde in Aserbaidschan zur „unliebsamen Person“, weil er korrupte Netzwerke anprangerte. Das Land liefert für die europäische und deutsche Wirtschaft wichtige Rohstoffe. „Niemand in der Bundesregierung hat sich eine Situation gewünscht, in der der Wirtschaftsminister mit einem solchen Land Verträge schließen muss“, umschrieb Schwabe die Lage der Ampel.
Silke Pfeiffer brachte zum Ende des Abends die Botschaft auf den Punkt, die auch der Atlas der Zivilgesellschaft transportiert: „Wenn wir den menschenrechtlichen Kompass nicht konsequent umsetzen, verlieren wir unsere Glaubwürdigkeit.“