Christopher Ball, Sie arbeiten für die Diakonie Katastrophenhilfe, eine Schwesterorganisation von Brot für die Welt, und setzen sich im Rahmen der humanitären Hilfe für die Verringerung des Katastrophenrisikos ein. Inwieweit beschäftigt sich der humanitäre Sektor mit dem Klimawandel?
Der humanitäre Sektor reagiert schon seit dem späten 19. Jahrhundert auf Katastrophen, die durch extreme klimatische Ereignisse verursacht werden. Der Klimawandel und andere Faktoren verschärfen das Katastrophenrisiko weltweit und führen zu immer komplexeren und länger andauernden humanitären Krisen.
In den letzten Jahrzehnten sind extreme Klimaereignisse deutlich schwerer und häufiger geworden. In Pakistan kam es in diesem Jahr zu noch katastrophaleren Überschwemmungen, als wir sie in 2010 erlebt hatten. Im Frühling wurde das südliche Afrika von zwei aufeinanderfolgenden tropischen Stürmen getroffen. Schwere Überschwemmungen trafen Regionen, die unter Dürre und Ernährungsunsicherheit leiden.
Der humanitäre Sektor hat als Reaktion auf die Klimakrise und andere Risikofaktoren, die durch das aktuelle System der humanitären Hilfe nicht mehr abgedeckt werden können, eine Reihe von Ansätzen entwickelt, um das Katastrophenrisiko zu verringern. Einer dieser Ansätze lautet ‚early warning – early action‘. Er sieht vor, humanitäre Maßnahmen früher zu ergreifen, um die Auswirkungen von Katastrophen und humanitärem Leid zu verringern. Ein besonderer Schwerpunkt liegt dabei auf vorhersehbaren und prognostizierten extremen Klimaereignissen. Diese Notwendigkeit, zu vorausschauenden humanitären Maßnahmen überzugehen, wird in erster Linie von zwei Faktoren bestimmt: Erstens ist es ein moralisches Gebot, Leid zu verhindern oder zu verringern. Zweitens beruht sie auf Erkenntnissen, die zeigen, dass humanitäre Maßnahmen vor einer Katastrophe nicht nur das Ausmaß von Verlusten und Schäden verringern, sondern auch kosteneffizienter sind als eine Reaktion nach Eintritt der Katastrophe.
Sie nehmen zum ersten Mal an einer Klimakonferenz teil. Warum kommen Sie hierher, und was wollen Sie erreichen?
In diesem Jahr nehme ich an der COP27 zusammen mit Vertreterinnen und Vertretern unserer lokalen Partnerorganisationen teil. Dazu gehört etwa SAF/FJKM, eine christliche Entwicklungsorganisation aus Madagaskar, die an lokal geführten Antizipationsmaßnahmen arbeitet. Während der COP27 wollen wir unsere Erfahrungen austauschen und Schlüsselbotschaften vermitteln, unter anderem durch einen Aufruf zum Handeln über das internationale Netzwerk Global Network of Civil Society Organisations for Desaster Reduction (GNDR). Für diesen Wandel hin zu lokal geführten, vorausschauenden humanitären Maßnahmen benötigen wir im Voraus vereinbarte finanzielle Investitionen in Frühwarnsysteme und in frühes Handeln, bei denen die Menschen im Mittelpunkt stehen.
Die COP27 bietet die Plattform, um über die Finanzierung von Schäden und Verlusten zu verhandeln. Wir wollen, dass die Länder, die am meisten zum Klimawandel und seinen humanitären Auswirkungen beitragen, bei diesen Verhandlungen neue finanzielle Verpflichtungen eingehen, die auf dem Verursacherprinzip beruhen. Wir wollen, dass diese Finanzierung über eine neue Einrichtung zur Finanzierung von Schäden und Verlusten bereitgestellt wird, um klimabedingte extreme Wetterereignisse zu bewältigen. Diese Finanzierung muss sich darauf konzentrieren, lokale Gemeinschaften und zivilgesellschaftliche Organisationen in die Lage zu versetzen, frühzeitige Maßnahmen zu gestalten, die vollständig und vorhersehbar finanziert sind.