Seit über 500 Jahren geht der europäische Kolonialismus mit der gewaltsamen Unterwerfung des Globalen Südens einher. Die Auswirkungen dieser Unterwerfung sind nicht nur in ungerechten Handelsstrukturen sichtbar, sondern drücken sich gleichzeitig in einem System aus, das natürliche Ressourcen grenzenlos ausbeutet, Wissenssysteme des Globalen Südens massiv negiert und soziale Strukturen zerstört.
Die Ankunft von Kolumbus am 12. Oktober 1492 auf den Karibischen Inseln war jedoch nicht nur der Beginn kolonialer Unterwerfung, sondern gleichzeitig auch der Beginn des antikolonialen Widerstandes. Die Formen kollektiven wie auch individuellen Widerstandes waren und sind vielfältig. Bewusst marginalisierte Menschen brachen und brechen mit den Narrativen, die sie systematisch ausschließen und ihre soziale, ökonomische und politische Teilhabe in Frage stellen.
Symbole der Unterdrückung fallen
Eine der symbolischen Formen des Widerstandes sind heute die fallenden Denkmäler ehemaliger Kolonisator*innen. Am 12. Oktober 2020 sollte in Mexiko-Stadt die Kolumbus-Statue gestürzt werden, soziale Bewegungen hatten sich dazu verabredet. Die Stadtverwaltung baute das Denkmal jedoch im Vorfeld ab und lagerte es, vorgeblich zur Restaurierung, ein. Heute findet sich an eben diesem Ort der „Platz der kämpfenden Frauen“. In Chile wurden Statuen und Büsten des Kolonisatoren Pedro de Valdivia entfernt. In Kolumbien, Kuba und anderen Ländern der Region diskutiert man nicht nur über den Abbau von Kolonialdenkmälern, sondern ebenso über die Entfernung von an rassistische Unabhängigkeitskämpfer*innen erinnernden Denkmälern. Und in Deutschland gibt es nicht nur die notwendige Auseinandersetzung mit dem kolonialen Erbe, sondern auch mit kolonialen Kontinuitäten. Die Debatte über die Umbenennung von Straßen, die Rückgabe geraubter Kulturgüter oder die Sichtbarmachung kolonialer Verbrechen sowie das Vermeiden kolonialrassistischer Stereotypen in (Schul)büchern sind nur ein Ausschnitt einer breiten, notwendigen Diskussion.
Paradigmen verändern sich
Insbesondere junge Menschen nehmen das bewusste Ausblenden um die Fragen kolonialer Verstrickungen nicht mehr hin und bringen ihren Protest und Unmut zum Ausdruck. Die Auseinandersetzung mit kolonialer Vergangenheit und den nach wie vor bestehenden kolonialen Kontinuitäten ist zweifelsohne ein in der heutigen Bildungsarbeit nicht mehr wegzudenkender Anspruch und eine dringliche Notwendigkeit. Das schließt ein, dass Stimmen des Globalen Südens nicht nur gehört, sondern Ansätze aus dem Globalen Süden eine tragende Rolle in transformatorischer und somit transformierender Bildungsarbeit spielen sollten. Konkret bedeutet dies, einen Bruch mit eurozentrischen Paradigmen herzustellen und transformative Bildung zu ermöglichen, die diverser und machtkritischer wird. Voraussetzung dafür ist, den Blick auf den Globalen Süden zu verändern: Die transformatorischen Dynamiken, die aus anderen Erfahrungen und Formen von Wissen entstehen, so z.B. indigenem Wissen oder alternativer Wirtschaftsformen im Globalen Süden, sollten einen wichtigen Impuls in der Bildungsarbeit darstellen. Der Abschied von der defizitären Erzählung des leidenden Südens ist dringend, um den Blick für die anderen Erzählungen zu öffnen.
Brot für die Welt fördert dekoloniale Ansätze
In der durch die Inlandsförderung von Brot für die Welt geförderten Projektlandschaft werden Fragestellungen wie die der interkulturellen Öffnung, der Aufnahme von Themen rund um koloniale Kontinuitäten sowie Rassismus adressiert. Eine der wichtigen Herausforderung in der Bildungsarbeit ist außerdem damit verbunden, dass es eine engere Zusammenarbeit mit migrantischen und auch postmigrantischen Organisationen geben muss.
Dekoloniale Debatten sind nicht neu
Nicht selten werden kritische Stimmen dahingehend laut, die Debatten seien neu und viele Menschen durch sie überfordert. Den Wenigsten dürfte bekannt sein, dass in Hamburg am 27. September 1967 der Kolonisator Hermann von Wissmann durch Vertreter*innen des SDS (Sozialistischer Deutscher Studentenbund) zum ersten Mal vom Sockel gestürzt wurde. 55 Jahre ist dies mittlerweile her und die Protagonist*innen von damals sind heute im Ruhestand angekommen. Die Studierenden forderten seinerzeit, die Figur einzuschmelzen und den Materialwert an Brot für die Welt zu spenden. Heute, wie auch vor 55 Jahren, ist Brot für die Welt eine verlässliche Organisation, die sich mit allen Aspekten globaler Ungerechtigkeit und deren Beseitigung beschäftigt. Dabei stellt Brot für die Welt Lösungsansätze des Globalen Südens in den Mittelpunkt und unterstützt und fördert Bestrebungen im Inland – gerade auch dann, wenn sie sich mit schwierigen und teilweise schmerzhaften Themen unserer eigenen Geschichte auseinandersetzen.