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Brasilien: Lula als Präsident für das ganze Volk

Nach seiner Wahl steht Präsident Lula vor großen Herausforderungen in Brasilien. Dr. Antônio Andrioli, Agrarexperte und Stipendiat von Brot für die Welt, erzählt, wie er die Wahl einschätzt.

Von Michael Klein am
Antonio Andrioli

Dr. Antônio Andrioli, Agrarexperte

Luiz Inácio „Lula“ da Silva hat die Stichwahl gegen den amtierenden Präsidenten Jair Bolsonaro gewonnen. Wie bewerten Sie persönlich das Wahlergebnis?

Die Wahl Lulas ist ein Sieg der Demokratie und ich bin nach den letzten schwierigen Jahren doch erleichtert darüber. Bolsonaro zählt neben Trump zu den wichtigsten Rechtspopulisten weltweit, deswegen ist sein Scheitern so bedeutsam. Mensch kann sagen, dass diese Wahl ein Stück Hoffnung für Demokratie, Frieden und eine nachhaltigere Welt in die Öffentlichkeit zurückgebracht hat. 

Präsident Lula da Silva steht jetzt vor der schwierigen Aufgabe, die politische Spaltung im Land zu überwinden…

Lula rief direkt in seiner ersten Rede die Bevölkerung „zu einem Land“ auf. Die Wahrheit ist aber auch: Die brasilianische Gesellschaft ist eigentlich schon seit Jahrhunderten stark gespalten – vor allem wirtschaftlich. Daraus entwickelte sich ein wachsender Hass im Land, besonders in der Mittelschicht gegenüber den Ärmsten, der im Rechtspopulismus gipfelte. Lula als Linker hingegen spricht sich deutlich für die Benachteiligten aus, die am meisten auf Hilfe seitens der Regierung angewiesen sind. Jetzt in der Präsidentschaftswahl konnte er viele seiner politischen Gegner der Vergangenheit von einem Bündnis der Mitte überzeugen. Die entscheidende Frage ist, wie Lula angesichts der vielfältigen Krisen in Brasilien, wirtschaftlich, politisch, sozial, ökologisch, gesundheitlich und kulturell, Politik machen kann, ohne weitere Menschen zu enttäuschen, die sich von der Politik abwenden.

Dabei steht vor vielen großen Aufgaben. Unter Bolsonaro wurde unter anderem der Amazonas gnadenlos abgeholzt – mit verheerenden Folgen. Was muss Lula diesbezüglich tun?

Zuallererst muss er die Deregulierungen, die in den letzten fünf oder sechs Jahren unter Bolsonaro stattgefunden haben, rückgängig machen. Das heißt, dass mehr staatliche Kontrolle im Amazonas notwendig ist, wo sowohl die Holzmafia als auch Gold- und Bergbauminen indigene Reservaten zerstören. Das muss dringend aufhören! Die Regierung von Bolsonaro hat diesbezüglich so etwas wie einen Freischein für die Umweltzerstörung vergeben. Und steht unter dem Verdacht, die organisierte Kriminalität in der Amazonas-Zerstörung unterstützt zu haben. Insgesamt braucht Brasilien eine andere Wirtschaftspolitik, die nicht mehr auf Agrarexporten basiert und damit zur Zerstörung der Amazonas-Gebiete beiträgt. Es ist eine nachhaltige und postwachstumsorientierte Wirtschaftspolitik notwendig!

Unter Bolsonaro ist auch die Zahl der hungernden Menschen in Brasilien zuletzt auf über 30 Millionen Menschen gestiegen. Welche Sozialprogramme muss Lula jetzt anschieben?

Ich hoffe sehr auf die Umsetzung der Agrarreform, die seit 1964 gesetzlich vorgesehen ist, die Rückkehr wichtiger sozialer Programme zur Armuts- und Hungerbekämpfung und insbesondere, dass das Ministerium für Agrarentwicklung, das abgeschafft wurde, wieder eine Funktion bekommt. Es muss endlich anerkannt werden, wie wichtig die kleinbäuerliche Landwirtschaft für die Nahrungsmittelproduktion in Brasilien ist. Ernährungssicherung muss mit dem Naturschutz verbunden werden, dabei sind die Kleinbauern und Indigenen entscheidend. Gerade sie waren von der derzeitigen Agrarpolitik Brasiliens am meisten betroffen. Wichtige Programme wie das Fome Zero-Projekt (Null-Hunger-Projekt), müssen wiederbelebt werden. Sie haben gezeigt, dass es möglich ist, die Situation zu ändern.

Was erwarten Sie jetzt von der deutschen Regierung und der EU? 

Die EU und die deutsche Regierung dürfen keine Putschversuche seitens der Bolsonaro-Anhänger dulden und entschieden zur Anerkennung des gewählten Präsidenten beitragen. Lula muss aber auch das Freihandelsabkommens der EU mit dem Mercosur, so wie es bisher geplant ist, ablehnen. Dieses würde die ungerechten Handelsbeziehungen nur weiter stärken. Wenn sich die EU beispielsweise für eine sozial gerechte und ökologische EU-Agrarreform entscheidet, mit der sie in Europa kleine Bauernhöfe fördert, Insekten schützt und das Klima rettet, ist das ein wichtiges Signal für die neue brasilianische Regierung. Außerdem können wir den Agrarpolitischen Dialog zwischen Deutschland und Brasilien mit mehr Beteiligung der Zivilgesellschaft stärken.

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Kleinbäuerin Claudine Hashazinyange mit Avocados vom Baum ihres Schwiegervaters.

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