Im Fokus der Verhandlungen stehen: die zügige Umsetzung und Verschärfung der nationalen Klimaschutzbeiträge, die Abkehr von fossilen Energieträgern einhergehend mit einer globalen und sozial gerechten Energiewende, der umfangreiche Schutz von Wäldern und Ozeanen. Verhandelt werden soll außerdem über die in erster Linie finanzielle Unterstützung ärmerer Länder bei der Anpassung an die Klimakrise und bei der Bewältigung von Schäden und Verlusten, die durch den Klimawandel hervorgerufen wurden.
Brot für die Welt hat die Forderungen an die COP27 in einem Positionspapier „Zeitenwende für Klimagerechtigkeit“ gemeinsam mit den Bündnissen Klimaallianz und VENRO gebündelt. Hier werden unsere Forderungen zu allen Verhandlungsthemen dargelegt. Brot für die Welt setzt sich besonders ein für ambitionierten Klimaschutz, die Einhaltung des 1.5 Grad-Temperaturlimits sowie die Unterstützung der Ärmsten in der Klimakrise.
Beteiligung der ägyptischen Zivilgesellschaft
Die Menschenrechtslage im Gastgeberland Ägypten ist kritisch. Bereits im Vorfeld haben Umwelt- und Menschenrechtsgruppen Bedenken geäußert, dass die ägyptische Zivilgesellschaft nicht in der Lage sein wird, sich ohne Angst vor Repressalien zu beteiligen. Dabei gilt die zivilgesellschaftliche Partizipation als wichtiges Element für ambitionierte und gesellschaftlich akzeptierte Klimapolitik. Die Solidarität mit und die Stärkung von zivilgesellschaftlichen Strukturen ist die zentrale Aufgabe der globalen Bewegung für Klimagerechtigkeit.
Daher fordern wir die Aufhebung der Beschränkungen der Versammlungs- und Meinungsfreiheit sowie die Freilassung politischer Gefangener. Es muss zudem gewährleistet sein, dass sich die Zivilgesellschaft vor Ort sicher und sinnvoll an der COP27 beteiligen kann. Die Solidarität mit der Zivilgesellschaft darf auch nach der COP27 nicht abebben. Durch die Unterstützung von ägyptischen Initiativen wie der Petition des Bündnisses COP Civic Space kann man Zivilgesellschaft vor Ort stärken. Wir fordern die Bundesregierung auf, sich anlässlich der COP27 für die uneingeschränkte Beteiligung und freie Meinungsäußerung der ägyptischen und internationalen Zivilgesellschaft einzusetzen.
Loss and Damage: Klimabedingte Schäden und Verluste
Brot für die Welt setzt sich besonders für die Unterstützung der ärmsten Menschen in der Bewältigung von klimabedingten Schäden und Verlusten ein. Es werden harte Verhandlungen für die COP27 erwartet, denn die Industriestaaten sind bisher nicht auf die Forderungen der Entwicklungsländer nach finanzieller Unterstützung in der Bewältigung von Klimaschäden eingegangen.
Bisher haben die Verursacher der Klimakrise, allen voran die reichen Industriestaaten, sich im Rahmen des Pariser Klimaabkommens dazu verpflichtet, ab dem Jahr 2020 jährlich 100 Mrd. USD an Klimahilfen für Klimaschutz und Anpassung bereitzustellen. Im Jahr 2020 wurden nur 83 Mrd. USD bereitgestellt. Damit verfehlen sie ihr Versprechen. Zudem sind davon nur knapp 20 Prozent echte Klimahilfen in Form von Zuschüssen. Der Rest sind Kredite, die wieder zurückgezahlt werden müssen. Besonders besorgniserregend ist: Nur ein Drittel der bereitgestellten Finanzmittel unterstützt Anpassungsprojekte an den Klimawandel. Bei den afrikanischen Staaten werden nur elf Prozent des Finanzbedarfs für Anpassung gedeckt. Der Kontinent hat bisher von weniger als 5,5 Prozent der globalen Klimafinanzierung profitiert. Das ist zu wenig, um sich gegen die Folgen des Klimawandels zu rüsten. Dabei könnte ein Großteil der Klimaschäden durch eine angemessene Anpassung vermieden werden. Afrika verliert bis zu 15 Prozent des BIP-Wachstums durch den Klimawandel.
Die klimabedingten Schadenssummen sind enorm hoch und steigend. Allein in den Entwicklungsländern schwanken Schätzungen zwischen 290 und 580 Mrd. USD ab 2030, 2050 sogar bis zu 1,8 Billionen USD. Ohne angemessene Finanzierung von Anpassungsprojekten und ohne finanzielle Unterstützung bei der Bewältigung von Klimaschäden werden sich afrikanische Staaten südlich der Sahara zusätzlich in den nächsten zehn Jahren um eine Billion EUR verschulden. Dies würde einer 50-prozentigen Erhöhung des aktuellen Schuldenstandes gleichkommen.
Daher müssen Finanzmittel für die Bewältigung von Loss and Damage auch zusätzlich zu den Klimahilfen für Minderung und Anpassung, zur Humanitären Hilfe und zu den öffentlichen Entwicklungsleistungen (ODA) bereitgestellt werden, weil die Klimaschäden sonst alle verfügbaren Finanzmittel aufbrauchen würden.
Loss and Damage Finance Facility
Die Gruppe der Entwicklungsländer G77+China haben bei der letzten COP26 in Glasgow eine Loss and Damage Finance Facility, also einen Finanzmechanismus für die Bewältigung von Klimaschäden gefordert. Die Industriestaaten haben jede Verpflichtung dafür abgelehnt. Man konnte sich nur auf einen dreijährigen „Glasgow Dialog“ als Minimalkonsens einigen.
Der „Glasgow Dialog“ darf nicht in einem Talkshop ohne Ergebnisse enden, sondern muss ernsthaft genutzt werden, um schnellstmöglich zusätzliche Zusagen zu machen für die Bewältigung von Klimaschäden. Ohne ein konkretes Mandat und klare Meilensteine kann der Dialog nicht zu konkreten Lösungen führen. Einen Beschluss, dass man zukünftig Klimahilfen für die Bewältigung von Loss and Damage bereitstellen möchte, könnten die Industriestaaten sofort eingehen, ebenso die hochemittierenden Schwellenländer oder ölexportierenden Entwicklungsländer wie zum Beispiel Saudi- Arabien. Es mangelt allein am politischen Willen.
Jennifer Morgan, die Staatssekretärin und Sonderbeauftragte für internationale Klimapolitik im Auswärtigen Amt, wurde von der ägyptischen Präsidentschaft zusammen mit der Umweltministerin von Chile beauftragt, einen Weg für Länder in extremer Not zu finden, um die unmittelbaren Verluste und Schäden zu bewältigen. Brot für die Welt unterstützt eine Lösung, die sich an den Bedürfnissen der ärmsten Staaten ausrichtet. Es muss vermieden werden, dass bei dem Kampf der Interessen der Industriestaaten und Schwellenländer der Bedarf der ärmsten und am meisten verwundbaren Staaten wegverhandelt wird.
Santiago Network on Loss and Damage
Für eine ganzheitliche Stärkung von Loss and Damage unter dem Dach der Klimarahmenkonvention braucht es eine Institutionalisierung und Operationalisierung des vor drei Jahren beschlossenen „Santiago Network on Loss and Damage“. Das Santiago-Network gilt als Implementierungsarm für den erleichterten Zugang zu technischer Unterstützung beim Umgang mit Schäden und Verlusten. Es muss ebenso finanziell ausgestattet werden und langfristig auch Zugang zu einem Finanzierungsarm wie etwa einer „Loss and Damage Finance Facility“ bekommen, um wirksam technische Unterstützung leisten zu können.
Eigener L&D Tagesordnungspunkt unter „Finance“
Um den Raum für konkrete Verhandlungen zur Finanzierung von Maßnahmen zum Umgang mit Schäden und Verlusten zu schaffen, ist ein Platz auf der offiziellen COP-Agenda zentrale Voraussetzung. Die Finanzierung von Schäden und Verlusten muss auf der UNFCCC-Verhandlungsagenda Tagesordnungspunkt „Agenda Item 8f - Matters relating to funding arrangements for addressing loss and damage“ verankert bleiben, um die Voraussetzung für konkrete Lösungen zu schaffen.
Global Stocktake
Um die Erfüllung der Ziele des Pariser Klimaabkommens sicher zu stellen, findet seit 2018 alle fünf Jahre eine globale Bestandsaufnahme statt - genannt Global Stocktake.
L&D muss Teil der Ergebnisse des Global Stocktake sein, damit die verwundbarsten Staaten die Möglichkeit haben, mitzuteilen, in wieweit sie betroffen sind von Klimaschäden und wie hoch deren Bedarf ist. Global gesehen ist es wichtig, zu verstehen, inwieweit die Staatengemeinschaft von Loss and Damage betroffen ist. Aber für die ärmsten Staaten ist es ein Weg, den Bedarf an finanzieller Unterstützung zu untermauern.
New Collective Quantified Goal
Auf der COP26 wurden die Verhandlungen über das neue Klimafinanzierungsziel für die Zeit nach 2025 eingeleitet (New Collective Quantified Goal – NCQG).
Klimafinanzierung von L&D muss zusätzlich zur Finanzierung von Anpassung und Klimaschutz Teil werden beim NCQG. Dem müssen die Vertragsstaaten vom Pariser Klimaabkommen noch zustimmen. Wir unterstützen die Forderung der ärmsten Staaten, dass unter dem Dach der Klimarahmenkonvention mit seinen Finanzmechanismen für Loss and Damage als dritte Säule neben Klimaschutz und Anpassung die finanziellen Mittel bereitgestellt werden.
Global Risk Shield
Neben der formalen Verhandlungsagenda gibt es auch viele Initiativen, die Staaten freiwillig und zusätzlich zu den Verpflichtungen vom Pariser Klimaabkommen ins Leben rufen. Die COP27 ermutigt zu einer Action Agenda. Es wird erwartet, dass Deutschland zu einer Vielzahl von Initiativen Ankündigungen machen wird, wie zum Beinspiel zur G7-Initiave für einen Global Risk Shield. Die G7 hat unter deutscher Präsidentschaft eine Initiative für einen „Globalen Schutzschirm gegen Klimarisiken“ gestartet. Der Schutzschirm wird in enger Zusammenarbeit mit der V20 (ein Zusammenschluss von Staaten, die besonders vom Klimawandel bedroht sind) Aktivitäten im Bereich der Klimarisikoabsicherung und -vorsorge bündeln.
Chancen und Risiken der COP27 für L&D
Nachdem die Industriestaaten jahrelang alle Verhandlungen zum Thema blockiert haben, gibt es zum ersten Mal vielversprechende, positive Signale aus den Reihen der Industrieländer zum Thema Loss and Damage.
Die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock sagte im Mai 2022 beim Treffen der G7-Klima-, Energie- und Umweltministerinnen und -minister „(…) ist unsere Überzeugung als deutsche Bundesregierung, dass wir beim Punkt „Loss and Damage“ nicht weiter auf der Bremse stehen können“. Selbst aus den USA kommen ungewohnte Töne, denn gerade die USA gilt als Hauptblockierer der Gespräche zur Kompensation von Klimaschäden im Globalen Süden. Der US-Klima-Gesandte John Kerry erkennt die moralische Verpflichtung der Industrieländer an, die ärmsten Staaten in der Bewältigung von Klimaschäden zu unterstützen.
Zumindest die Haltung und der Ton haben sich geändert. Auch ist nun eine Bereitschaft erkennbar, über die Bereitstellung von Finanzierung zu sprechen. Das Risiko ist jedoch hoch, dass L&D im Verhandlungsgemenge unter den Tisch fällt oder das Scheinlösungen getroffen werden, die nicht wirklich ihre Wirkungen entfalten können, wenn nicht zusätzliche öffentliche Mittel bereitgestellt werden.
Das beste Ergebnis wäre, wenn die Industrieländer einer Finanzfazilität zustimmen würden, die bedarfsorientiert Klimafinanzierung für die Bewältigung von klimabedingten Schäden und Verluste bereitstellt. Das schlechteste Ergebnis wäre, wenn am Ende der COP27 den ärmsten Staaten keinerlei Unterstützung in der Klimakrise in Aussicht gestellt wird und Antworten auf deren berechtigte Forderungen stattdessen weiter auf die lange Bank geschoben werden.