Anlässlich des internationale Tags zur Beendigung der geschlechtsspezifischen Gewalt (25. November) und der 16 Aktionstage bis zum internationalen Tag der Menschenrechte, ruft Brot für die Welt dazu auf, sich gemeinsam gegen sexualisierte, häusliche und digitale Gewalt einzusetzen. Hierfür braucht es starke feministische Bewegungen und eine allumfassende geschlechtergerechte Politik, denn geschlechtsbasierte Gewalt ist struktureller Bestandteil von patriarchalen Gesellschaften.
Geschlechtsspezifische Gewalt kann von staatlichen Strukturen, aber auch innerhalb von Familien und Gemeinschaften als Waffe für den Erhalt der Macht in patriarchalen Systemen eingesetzt werden. Überlebende von sexualisierter Gewalt aus marginalisierten Communities sind neben dem daraus entstandenen Trauma mit einem System konfrontiert, welches sie diskriminiert. Ihnen werden medizinische Behandlungen in Krankenhäusern verwehrt und von staatlichen Anlaufstellen, wie der Polizei, nicht geglaubt. Im schlimmsten Fall wird ein Trauma dadurch vertieft (Retraumatisierung), wenn ihnen z.B. die Schuld an der Gewalt gegeben (engl. victim blaming) oder eine Täter-Opfer Umkehr betrieben wird.
In Deutschland erlangten zwei katholische Krankenhäuser 2013 in Köln traurige Berühmtheit, weil sie einer mutmaßlich vergewaltigten schwangeren Person eine Untersuchung zur Feststellung möglicher Beweise versagten. Staatliche und strukturelle Verankerung von geschlechtsbasierter Gewalt werden im Begriff „Feminizid“ explizit benannt, in Abgrenzung zu Femizid. Femizid beschreibt nur den Mord an FLINTA* und nicht die staatlichen und gesellschaftlichen Strukturen, welche diesen begünstigen. Neben der gezielten Tötung von FLINTA* aufgrund des Geschlechts, schließt der Begriff „Feminizid“ auch die Rolle der staatlichen Behörden, wie Polizei, Gerichte, mit ein, welche die Aufklärung der geschlechtsspezifischen Morde be- oder sogar verhindern.
Rassistische Debatten bei Gewalt Prävention
Bei Vergewaltigungen gibt es immer noch eine Vorstellung, dass Täter*innen „Fremde“ sind. Jedoch sind bei Vergewaltigungen die Täter*innen größtenteils (Ex-)Partner*innen oder Angehörige. Hinter der Darstellung von „fremden“ Täter*innen und Vergewaltigung steckt eine bewusste Verknüpfung von vermeintlich „feministischen“ und rassistischen Strukturen. Während der Besatzung des Rheinlands nach dem zweiten Weltkrieg wurde vor der Bedrohung durch Schwarze Soldaten aus der französischen Armee gewarnt. Gut 70 Jahre später lebten sehr ähnliche rassistische Erzählungen zu geschlechtsbasierter Gewalt in der Kölner Silvesternacht 2015 wieder auf. In der Berichterstattung zu den sexuellen Übergriffen wurde dann gefordert, dass mehr Geflüchtete abgeschoben werden sollten, weil von ihnen die „Gefahr der Vergewaltigungen“ ausgehe. Hier findet eine massive Fehldarstellung von geschlechtsspezifischer Gewalt statt, in welcher Politik und Medien die Gewalt aus dem nahen Umfeld der Überlebenden negieren oder klein reden. Anzuerkennen, dass die Gefahr von Angehörigen und Vertrauenspersonen ausgeht, würde bedeuten zu verstehen, dass Gesellschaften auf geschlechtsbasierter Gewalt aufgebaut sind (Vergewaltigungskultur, Englisch rape culture).
Gesellschaftlicher Druck für Überlebende
Mithu Sanyal beschreibt in ihrem Buch zu Vergewaltigung eine zusätzliche Ebene: die Rolle des „guten Opfers“. Gesellschaften erwarten, dass Menschen nach einer Vergewaltigung traumatisiert sein müssen. Die Erwartung an Überlebende ist, dass der Rest ihres Lebens im Zusammenhang mit der Vergewaltigung stehen muss. Viele FLINTA* sind nach einer Vergewaltigung traumatisiert, doch nicht alle. Dahinter steckt immer noch die Idee, dass mit einer Vergewaltigung die Ehre von FLINTA* genommen wird. Überlebenden von Vergewaltigung werden damit Handlungsmöglichkeiten abgesprochen, wie z.B. die Gestaltung eines glücklichen Lebens trotz Vergewaltigung. Stattdessen werden sie auf Veranstaltungen und in der Öffentlichkeit immer wieder als Opfer, deren Leben nun nicht mehr weitergehe, dargestellt. Viele Überlebende, u.a. Natascha Kampusch berichten davon, dass dieses Drängen in die Opferrolle eine enorme Belastung ist.
Lesehinweise und Quellen
[1] Weitere Information zu dem Vorfall, dass katholischer Krankenhäuser Beweisaufnahmen bei einer vermutlichen Vergewaltigung versagten: https://www.spiegel.de/panorama/koeln-vergewaltigungsopfer-von-katholischen-kliniken-abgewiesen-a-878210.html
[2] Definition von Feminizid des Goethe-Instituts: https://www.goethe.de/ins/es/de/kul/sup/fem/22233935.html
[3] Informationen der Bundeszentralen für politische Bildung zu geschlechtsspezifischer Gewalt: https://www.bpb.de/themen/gender-diversitaet/femizide-und-gewalt-gegen-frauen/
[4] Informationen von UN Women Deutschland zum System der Vergewaltigung (englisch „rape culture“): https://unwomen.de/formen-der-gewalt-gegen-frauen-und-maedchen/
[5] Vorstellung von Mithu Sanyals Buch „Vergewaltigung“: https://edition-nautilus.de/programm/vergewaltigung/ und ein Interview über dessen Inhalte: geschichtedergegenwart.ch/vergewaltigung-ein-gespraech-mit-mithu-sanyal/