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Dekoloniale Arbeit in Wuppertal

Ob Straßennamen oder Ausstellungsstücke – in jeder deutschen Stadt finden sich Spuren des Kolonialismus. Solche Kontinuitäten sind vielen nicht bewusst, aber wer genauer hinguckt, beginnt, die Gegenwart zu hinterfragen. Auch Begriffe wie „Entwicklungsarbeit“.

Von Meieli Borowsky-Islam*, Decolonize Wuppertal

Von Gastbeiträge Politik am
Pop-Up Ausstellung & Diskussion- Geschichte der architektonischen Visualisierung im Allgemeinen und der Bausubstanz Wuppertals im Zusammenhang mit Kolonialgeschichte im Einzelnen

Pop-Up Ausstellung & Diskussion- Geschichte der architektonischen Visualisierung im Allgemeinen und der Bausubstanz Wuppertals im Zusammenhang mit Kolonialgeschichte im Einzelnen

Mein Name ist Meieli Borowsky-Islam und ich bin Mitgründerin der Initiative Decolonize Wuppertal. Mit der Initiative haben wir seit 2021 einen dekolonialen Stadtrundgang für Wuppertal-Elberfeld und -Barmen entwickelt. Wir haben auch Bildungsmaterialien für Schulen erstellt und machen einen Podcast neben vielen Veranstaltungen und Workshops. Die Frage nach neokolonialen Strukturen in unserer Arbeit und der deutschen internationalen Zusammenarbeit ist komplex und vielschichtig. Spuren kolonialer Denkmuster, Erinnerung, Symbole und Strukturen lassen sich auch heute noch feststellen. Beispiele, die uns immer wieder in unserer dekolonialen Arbeit begegnen sind folgende:

Neokoloniale Erinnerungskultur im Stadtbild

Wuppertal hat keinen Binnenhafen wie beispielsweise Hamburg, wir sind auch nicht so groß wie Berlin, dennoch haben wir zahlreiche koloniale Verstrickungen. Es fängt bei Straßennamen wie der M*Straße oder dem Nettelbeckweg an, geht in die Wuppertaler Museen bis hin zur Wuppertaler Industrie und Textilgeschichte und mündet in politische Diskussionen über Wuppertaler Helden und Straßenumbenennungen. Aus unserer Recherche hat sich ein Stadtrundgang für den Stadtteil Elberfeld entwickelt. Wer tiefer gräbt, findet auch mehr, so geht es uns mit den Informationen zu Kolonialismus und Wuppertal, so dass wir ab dem nächsten Jahr eine dekoloniale Bustour entlang der Tal-Achse anbieten werden und einen weiteren Stadtrundgang für den Stadtteil Barmen.

Festgefahrenheit bei politischer Entscheidungsfindung

In Deutschland wurde sehr viel Energie in die Aufarbeitung der Shoa gesteckt, was absolut richtig und wichtig ist. Allerdings wurden dabei koloniale Verbrechen und die Geschichte vor 1933 vernachlässigt. Dabei sind Zusammenhänge zwischen Verbrechen des Kolonialismus und Nationalsozialismus klar feststellbar. Die Vernachlässigung dieses Teils der Geschichte hat zur Folge, dass sich viele Menschen mit ihren unterschiedlichen Erfahrungen nicht gesehen fühlen und dass wir immer noch über koloniale Denkmuster, die heute in Form von Rassismus noch spürbar sind, sprechen müssen. Wenn Politik und Verwaltung dem nicht offen gegenüberstehen, lähmt das weiterhin den Fortschritt und die Transformation hin zu einer inklusiven und antirassistischen Gesellschaft.

„Entwicklungsarbeit“

Im Kontext unserer Arbeit nehmen wir hin und wieder an Großveranstaltungen mit verschiedenen Themenschwerpunkten, unter anderem auch „Entwicklungsarbeit“, teil. Allein der Begriff „Entwicklungsarbeit“ und wer darüber diskutiert, zeigt, dass wir immer noch weit entfernt sind von Strukturen, die Begegnung auf Augenhöhe zulassen. Das ist oft frustrierend und zeigt sich auch immer wieder in Werbeplakaten, die immer noch ein sehr einseitiges Bild von Ländern des Globalen Südens zeigen. Diese Bilder zeigen oft Schwarze ausgehungerte Kinder und tragen so zu einem gesellschaftlichen Bild bei, das geprägt von der Vorstellung ist, dass weiße Menschen für die Rettung dieser verantwortlich seien.

Wirtschaftliche und finanzielle Abhängigkeit

Strukturell hat sich seit der kolonialen Ausbeutung kaum etwas verändert. Die Namen der Strukturen und Verträge haben sich verändert, aber die Systeme dahinter kaum. Immer noch sind viele Länder wirtschaftlich und finanziell von ihren ehemaligen Kolonialmächten abhängig. Die Unruhen, Herrschaftsfragen und gegenseitiges Ausbooten sind das Resultat von willkürlich gezogenen Ländergrenzen und korrupten Politiker*innen, die durch den Globalen Norden Unterstützung erfahren und sich im Handeln eher nach westlichen Profiten orientieren. Entwicklungsprojekte sind oft an Bedingungen und Strukturen gebunden, die wirtschaftliche Abhängigkeiten festigen. Kreditvergaben werden oft an politische Reformen oder Strukturanpassungsmaßnahmen geknüpft. Dies kann dazu führen, dass Partnerländer weniger Handlungsspielraum haben und auf langfristige finanzielle Unterstützung angewiesen bleiben, was eine Form neokolonialer Kontrolle darstellt.

Ressourcen und Wissensasymmetrie

Projekte stützen sich weiterhin auf deutsche Expertise, deutsche Technologien und Finanzierungen. Obwohl die Expertise und das Wissen vor Ort oft vorhanden sind, werden internationale Expert*innen hinzugezogen. Der Globale Norden wird also bis heute als Wissens- und Machtzentrum betrachtet. So werden Expertisen, Kompetenzen und Kenntnisse des Globalen Südens immer noch unterschätzt, ignoriert und unsichtbar gemacht. Ein weiterer Punkt betrifft die Reise-Ungerechtigkeit. Teilweise dürfen Expert*innen aus dem Globalen Süden nicht einreisen, weil sie keine Visafreigaben bekommen. So kann es zu keinem gleichberechtigten Wissensaustausch kommen.

In den letzten Jahren, vor allen Dingen seit der internationalen Black Lives Matter-Bewegung, ausgelöst durch den Mord an George Floyd durch die Polizei, haben sich jedoch auch einige koloniale Strukturen in der deutschen und internationalen Zusammenarbeit verändert. Uns begegnet insbesondere ein wachsendes Bewusstsein für koloniale Vergangenheit: Der öffentliche Diskurs und die Kritik an der kolonialen Vergangenheit und ihren Auswirkungen haben ein Bewusstsein geschaffen, das auch die internationale Zusammenarbeit beeinflusst. Wir werden angefragt, Prozesse diplomatisch zu begleiten. So haben wir durch unsere Arbeit den politischen Anstoß geben können, dass die Gebeine einer Indigenen aus Palm Island zurückgeführt werden konnten, beziehungsweise dass die Nachfahr*innen die Entscheidungsmacht über das weitere Vorgehen haben werden. Wir sehen auch, dass auf wirtschaftlicher Ebene partnerschaftliche statt ausbeuterischer Verhältnisse angestrebt werden. So kooperieren wir beispielsweise mit der Fairhandelsmarke Gepa im Rahmen von gemeinsamen Veranstaltungen.

 

*Meieli Borowsky-Islam ist Systemische Beraterin, Bildungsreferentin zu den Themen Antirassismus und Kolonialismus, Kolumnistin beim Afrika-Magazin LoNam und arbeitet hauptberuflich als Projektleiterin bei einer gGmbH, die soziale Projekte im Bereich Teilhabe, Demokratie und Vielfalt initiiert. 2021 gründete sie die Initiative „Decolonize Wuppertal“ mit. 2023 erschien der Sammelband „Was uns empowert Geschichten von FLINTA of Color“ an dem sie als Herausgeberin und Autorin mitwirkte. Seit Sommer 2023 ist sie Teil des Redaktionsteams des Literaturmagazins „Karussell“.

Dieser Beitrag erscheint anlässlich des 140. Jahrestages der Berliner Kolonialkonferenz, die vom 15. November 1884 bis zum 26. Februar 1885 stattfand. Bei der Konferenz teilten die Kolonialmächte den afrikanischen Kontinent unter sich auf und legten ihre Einflusssphären fest. Die Ergebnisse der Konferenz haben bis heute Auswirkungen auf die Lage in Afrika und internationale Politikprozesse insgesamt.

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