Viele Menschen sind in diesem Jahr in Deutschland zur Verteidigung der Demokratie auf die Straße gegangen. Viel war auch die Rede von der Notwendigkeit, unser demokratisches System und seine Institutionen abzusichern gegen mögliche Demokratiefeinde. Was aber, wenn sich Autokraten und Populistinnen hierzulande und in anderen Ländern als Hüter der Demokratie aufspielen?
Demokratie liefere die Antwort auf die Frage, wer herrschen soll und sei somit abhängig vom gewählten Volksbegriff, stellen die Philosophinnen Carolin Emcke und Elif Özmen in der hörenswerten Folge „Normative Fiktion“ des Podcasts „In aller Ruhe“ fest. Wenn es allerdings um die Grenzen dieser Herrschaft und den Schutz vor derselben ginge, seien die Menschenrechte unverzichtbar. Tatsächlich geben sich die Victor Orbans und Narendra Modis unserer Zeit als Vertreter von Mehrheiten im Land aus, als Fürsprecher eines von ihnen definierten Volkes. Ein Blick auf die Realitäten von Minderheiten und Andersdenkenden zeigt uns allerdings nicht nur in Ungarn und Indien, dass wir unbedingt beides verteidigen müssen: die Demokratie und die Menschenrechte.
Was nach Utopie klingt, darf Anspruch sein
Wenn wir am 10. Dezember den Internationalen Tag der Menschenrechte feiern, weil an diesem Tag vor 76 Jahren die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte von der Generalversammlung der Vereinten Nationen verabschiedet wurde, dann tun wir gut daran, uns die Bedeutung und das enorme Potential dieser so gar nicht selbstverständlichen Menschheits-Errungenschaft vor Augen zu führen.
Frei und gleich an Würde – was nach Utopie klingt, darf durch die Menschenrechte zum Anspruch an staatliches Handeln werden. Nicht nur geht es darum, dass ich als Mensch erwarten darf, vor Repression oder Diskriminierung geschützt zu werden, ganz egal welche Hautfarbe, Nationalität, Religion oder Geschlecht ich habe. Ich darf den Staat auch verantwortlich dafür machen, die Voraussetzungen für ein Leben in Würde zu schaffen. Spätestens hier geht es offensichtlich auch um wirtschaftliche, soziale und kulturelle Fragen, das Recht auf Nahrung, auf Bildung, auf Gesundheit also, die sogenannten WSK-Rechte als weitere Errungenschaft neben den Freiheitsrechten.
Träumt weiter, sagen Zyniker*innen und Resignierte. Wirklich? Im Jahre 2024 sind Menschenrechte nicht nur ein schöner Traum, sie sind in ausdifferenzierter Form internationale rechtliche Verpflichtung der Staatengemeinschaft. Im Menschenrechtsrat müssen sich 193 Mitgliedsländer der Vereinten Nationen regelmäßig voreinander in Bezug auf ihre menschenrechtlichen Pflichten verantworten. Dutzende von internationalen und regionalen Menschenrechtskonventionen und -instrumenten dienen täglich als Ressource und Referenz, wenn in Gerichtsprozessen Davids gegen Goliaths gewinnen – so wie unlängst in Panama: Dort hat ein hohes Gericht ein Bergbaugesetz und einen damit verbunden Vertrag mit einem Konzern für unrechtmäßig erklärt auf Grundlage einer Klage betroffener indigener Gemeinschaften. Menschenrechte dienen täglich als starkes Instrumentarium, damit wir Regierungen an gleichen Standards messen – ganz gleich, ob ihre Länder Nicaragua, Deutschland, USA oder China heißen.
Es braucht mehr als Lippenbekenntnisse
Angesichts dieses Potentials wundert es nicht, dass Menschenrechte unter den Mächtigen dieser Welt zunehmend viele Gegner*innen haben. Menschen, die sich für die Rechte von Minderheiten oder vulnerablen Gruppen, für Klimagerechtigkeit oder für das Recht auf freie Meinungsäußerung einsetzen, werden zunehmend diffamiert, drangsaliert und kriminalisiert, und das eben auch in Ländern, die demokratische Verfahren einhalten. Gerade jetzt gilt es daher, menschenrechtliche Errungenschaften aktiv zu verteidigen. Hier reichen Lippenbekenntnisse nicht aus. Zivilgesellschaftliche Organisationen, die sich für Menschenrechte einsetzen, klagen über akute Finanzierungsrückgänge. Eine im Juni erschienene Studie der Initiative ProtectDefenders EU zeigt „eine Kluft zwischen einer Rhetorik, die die Menschenrechte und die Unterstützung für Menschenrechtsverteidiger*innen in den Vordergrund stellt, und einer tatsächlichen Finanzierungslage, die sich angesichts einer sich verschlechternden globalen Realität nicht verbessert hat”.
Im April dieses Jahr haben zivilgesellschaftliche Organisationen in dem Aufruf #Payyourdues an die Staatengemeinschaft auf die akute Finanzkrise der Vereinten Nationen und des Menschenrechtssystems insbesondere hingewiesen, was bereits zu drastischen Einsparungen geführt habe, die Menschenrechtsverteidiger*innen weltweit zu spüren bekämen. In Deutschland drohen die massiven geplanten Einschnitte in den bundesdeutschen Entwicklungsetat den Einsatz für die Menschenrechte und globale Gerechtigkeit zu schwächen. Und im Inland verfehlt Deutschland deutlich die Empfehlung der Istanbul-Konvention des Europarats zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen, um nur ein Beispiel zu geben. Es bräuchte drei Mal so viele Frauenhäuser wie es sie derzeit gibt.
Der Blick in die Welt und ins eigene Land zeigt: Wir müssen Demokratie und Menschenrechte zusammen denken und dürfen uns schlichtweg keinen menschenrechtlichen Sparkurs leisten. Und, fragen wir uns selbst: Schauen wir zu, wenn weltweit Klimaschützer*innen, Flüchtlingshelfer*innen, Aktvist*innen stigmatisiert und kriminalisiert werden? Oder fordern wir menschenrechtliches Engagement von unseren Regierenden und Unternehmen ein und fangen selbst an, uns als Menschenrechtsverteidiger*innen zu begreifen?