Ein Agrarsystem, das unsere natürlichen Ressourcen schont, den Klimawandel nicht weiter antreibt und die Menschenrechte respektiert. Das aktuelle Ernährungssystem begünstigt nicht die nachhaltige kleinbäuerliche, sondern die profitorientierte industrielle Landwirtschaft.
Im Globalen Süden unterstützen Regierungen, oft mit Mitteln internationaler Geber zur Bekämpfung von Hunger, nur den Anbau weniger Getreidesorten wie Reis, Mais oder Weizen. Dazu wird der Ankauf von Hybridsaatgut, chemischen Düngemitteln und Pestiziden subventioniert. Internationale Agrarkonzerne verdienen an der öffentlichen Unterstützung von kleinbäuerlichen Produzent:innen, weil diese nach dem Ende der Unterstützung auf Kreditbasis Saaten und zugehörige Produkte kaufen müssen. Fällt die Ernte aber nicht so erträglich aus oder überfluten Billigreis- oder Weizenimporte den Markt, können die Kredite nicht zurückgezahlt werden. Es beginnt eine Verschuldungsspirale, die oft den Verlust von Grund und Boden bedeutet – und für Jugendliche die Flucht in die Stadt, wo sie Armut erwartet. Soziale Sicherungssysteme oder Schuldenschnitte für einen Neuanfang gibt es nicht, ebenso wenig wie alternative Arbeitsplätze in Verwaltung, Dienstleistung oder Industrie.
Mehr als nur Sattmacher anbauen
Brot für die Welt hat sich deswegen entschieden, einen anderen, einen besseren Ansatz der landwirtschaftlichen Produktion, den viele Bäuer:innen in Asien, Afrika oder Südamerika seit Jahrhunderten verfolgen, zu unterstützen. Er beruht darauf, möglichst wenig Betriebsmittel zuzukaufen und nicht in einen Wettbewerb um den Hektarertrag einer Ackerfrucht wie Mais zu treten, sondern alle Abläufe und Vorteile einer ländlichen Produktionsweise, einschließlich Bildung, Gesundheit, Selbstversorgung, Marktzugang oder Wassermanagement in Betracht zu ziehen. Vielfalt und Abfolge der angebauten Früchte sollen das Risiko einer Ertragsminderung reduzieren. Tierhaltung, Imkerei, Forst- oder Fischteichwirtschaft werden einbezogen, um Ernährungsvielfalt und Einkommen zu sichern und vor allem auch Schuldenfreiheit zu erzielen.
Der Weltagrarbericht 2008 – ein Meilenstein für eine Agrarwende
Wissenschaftler:innen aus vielen Ländern haben diese Ansätze einige Jahre im Namen von Weltbank und Vereinten Nationen untersucht und 2008 in einem Weltagrarbericht veröffentlicht, mit jeweiligen Unterberichten zu einzelnen Weltregionen. Die Botschaft „Weiter so ist keine Option“ forderte dazu auf die Art und Weise, wie die Welt Lebensmittel anbaut, radikal zu ändern, damit Armut und Hunger besiegt werden können – nur so könne es gelingen, eine wachsende Weltbevölkerung in Zeiten des Klimawandels zu ernähren und den sozialen und ökologischen Kollaps zu vermeiden. Damit war die Saat zum Wandel der Welternährungssysteme auf internationaler Ebene gesät.
Der Widerstand der Agrarindustrie war und ist groß, auch in Deutschland. Agrarexportnationen wie Russland, Australien, EU und USA sehen mit ihrem „We feed the world“-Ansatz lukrative Nahrungsmärkte schwinden. Als zudem 2014 die Welternährungsorganisation (FAO) die sogenannte Agrarökologie als ernstzunehmendes Agrarsystem zum Erhalt einer globalen kleinbäuerlichen Produktion definierte, entbrannte eine bis heute anhaltende Auseinandersetzung, wie ein zukünftiges Ernährungssystem aussehen soll.
Brot für die Welt unterstützt die Ideen des Weltagrarberichts und viele Partner von kleinbäuerlichen Netzwerken wie La Via Campesina oder AFSA in Afrika. Auch der Bundestag hat beschlossen, Agrarökologie als modernen Ansatz für eine ressourcenschonende und nachhaltige kleinbäuerliche Produktion zu fördern. Das BMZ hat agrarökologische Zentren in Afrika gegründet.
Agrarökologie als Saat des Wandels
Es geht nicht darum, wie auch uns vorgeworfen wurde, eine globale, zertifizierte Biolandwirtschaft im Globalen Süden einzuführen. Diese kann sich zusätzlich entwickeln und es gibt sie auch schon, denn es gibt viel Gemeinsames, besonders bei den Anbaumethoden und in der Absage an chemische Zusätze und Gentechnik. Aber Agrarökologie entwickeln und definieren die Bäuerinnen und Bauern selbst vor Ort, nach ihren Standortbedingungen, so wie sie das Saatgut seit Jahrhunderten an ihre Umwelt, an Wetter und Bodenverhältnisse anpassen. Die Prinzipien dazu hat die FAO in zehn Punkten formuliert. Erfolgsbeispiele des agrarökologischen Ansatzes in vielen Ländern zeigen, dass Agrarökologie keine Nische ist. Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine und die damit sehr hohen Preise für Stickstoffdünger in vielen Ländern haben Bäuer:innen nachdenken lassen, ob eine Umstellung auf Nutzung organischen Düngers, lokaler Saatgutsorten und die Verwendung biologischer Methoden zur Schädlingsbekämpfung, nicht die bessere Wahl wären für eine bäuerliche Zukunft, besonders auch für junge Frauen und Männer, die sonst auf dem Land und oft auch in der Stadt keine haben.
Die Projektbeschreibungen im Rahmen der diesjährigen 65. Aktion, die unseren Spenderinnen und Spendern in der Öffentlichkeit und in Kirchengemeinden vorgestellt werden, zeigen, wie fantasievoll die Menschen das, was wir Agrarökologie nennen, in ihren Regionen auf ihren Äckern, Weiden und Teichen - zum Beispiel in Kenia und Bangladesch - umsetzen. BfdW bringt diese Erfahrungen als Teil der Bewegung für eine Veränderung des globalen Ernährungs- und Landwirtschaftssystems ein und fordert in Dialogen die deutsche Regierung, das BMZ und BMEL sowie die EU zur Unterstützung auf.
Das Menschenrecht auf angemessene Ernährung umsetzen
Vor allem auf Ebene der FAO und des Welternährungsausschusses (CFS) versuchen wir gemeinsam mit den Partnern, die sich mit ihren agrarökologischen Erfahrungen in Bauernorganisationen verbünden, die globalen Rahmenbedingungen so zu verändern, dass alle Staaten endlich ihre Verpflichtungen aus dem Menschenrecht auf Nahrung umsetzen. Es ist allerdings nicht leicht, sich in Rom, dem Sitz der FAO und des CFS, gegen die Lobbyisten der Agrarkonzerne und Diplomaten der Agrarexportnationen durchzusetzen. Denn auch Regierungen im Globalen Süden glaubten lange deren Versprechungen. Sie hofften, sie könnten Hunger und Mangelernährung durch Nahrungsimporte und ein Paket aus Hybridsaatgut und Agrarchemie beseitigen. Auch hier bedurfte es leider erst der Krisen der letzten Jahre (Covid 19, russischer Angriffskrieg) und der Klimakatastrophe, um die Saat eines Wandels der Agrarpolitik zu verbreiten.
Es ist ein zartes Pflänzchen, was weltweit wächst, aber es verbreitet sich schnell und es gibt immer mehr Erfahrungen und Austausch über angepasstes Saatgut, über Produktion organischen Düngers oder biologischer Schädlingsbekämpfung, auch über fast schon verschwundene Nahrungspflanzen, über neue Produkte aus Tierhaltung, über Fischfang und Früchte in Savannen und Wäldern, die allesamt zur besseren Selbstversorgung, aber auch als Vielfaltsangebote für die Konsument:innen genutzt werden. Dies alles, ohne einen Premiumpreis wie im Bioanbau zu erheben, und oftmals sogar günstiger als die Produkte aus der Produktion mit teuren Betriebsmitteln.
Erfolge von Projektpartnern bei Nahrungsvielfalt sichern
Die vielfältigen Erfahrungen und Ideen unserer Partner in den Projekten stellen wir in der 65. und in der 66. Aktion vor. Zugleich entwickeln wir daraus politische Lobbyarbeit, die uns zum Beispiel im Januar zur Grünen Woche zur Agrarwende-Demonstration „Wir haben es satt“ nach Berlin führt – und neuerdings dagegen protestieren lässt, dass die Bundesregierung sich anschickt, mit Angeboten zur „grünen“ Wasserstoffproduktion, die durch die Agrarchemie verursachten Schäden und Risiken für kleinbäuerliche Produzenten durch „grün“ hergestellten Ammoniak und Harnstoffdünger zu verlängern.
Der Wandel zur Veränderung ist gesät, die Pflanze wächst, aber bis zu einer guten Ernte ist es noch weit. Auf dem Weg dorthin werden wir mit unseren Partnern noch viele Hürden aus dem Weg räumen müssen.