Manifestiert wurden die Begriffe vor 75 Jahren von Harry S. Truman in seiner Antrittsrede in Washington. Wenngleich die Begrifflichkeiten bereits kolonial geprägt waren, wurde nun eine Unterteilung in entwickelt und unterentwickelt vorgenommen und damit eine Ausweitung kolonial geprägter Begrifflichkeiten vollzogen. Auch heute noch werden viele der Bezeichnungen genutzt, vornehmlich unter der Begründung, dass es für Lesende/Hörende verständlicher sei als es neuere Begriffe wie „Globaler Süden/Globaler Norden“ sind.
Aber kann das Grund sein, dass wir Begriffe nicht kritisch betrachten und deren stereotype Wertezuschreibungen hinterfragen? Ich bin der Meinung, dass wir es sogar müssen. Begriffe sind mitunter Vehikel, da sie etwas in einem Wort zu erfassen versuchen, was eigentlich eine Haltung beschreiben soll. Auch bei Brot für die Welt diskutieren wir die Art, wie wir Dinge in Wort und Bild darstellen. Wir verstehen uns dabei als verlernende Organisation, die sich darin übt verstanden zu werden und gleichzeitig nicht in Terminologien verfangen bleibt, die diskriminierend, bewertend, unsensibel sind oder Vorurteile und Stereotype verstärken.
Damit verbunden ist auch das Partnerschaftsverständnis von Brot für die Welt. Gemeinsam mit den Partnerorganisationen weltweit setzen wir uns für mehr Gerechtigkeit ein. Die Expertise, um Projekte erfolgreich umzusetzen, liegt bei den vielfältigen Partnerorganisationen, die die Begebenheiten vor Ort kennen und wissen, welche Maßnahmen gute Wirkungen entfalten können. Sie sind die Expert*innen. Und so ist Brot für die Welt kein Hilfswerk, wo es um einseitig erbrachte paternalistische Hilfe geht, die andere entmündigt. Es ist Teil einer globalen Gemeinschaft, das mit Förderprogrammen, politischer Lobbyarbeit und Bildungsangeboten im Verbund mit vielen anderen Akteur*innen Beiträge für weltweite Gerechtigkeit leistet.
Wege für neue Debatten
Der Versuch, eurozentrisch und kolonial geprägte Bewertungssysteme (Entwicklungs- und Industrieländer bzw. Erste und Dritte Welt) durch alternative Bezeichnungen wie etwa Globaler Süden und Globaler Norden zu ersetzen, sind Wege für neue Debatten. So stellen diese Bezeichnungen keinen reinen Ersatz zu den vormals genutzten Begrifflichkeiten dar. Vielmehr werden darüber Unterdrückungsdimensionen in den Blick genommen und neue Bewertungsgrundlagen geschaffen. Natürlich sind die Diskussionen nie abgeschlossen und wir wissen, dass auch die Begriffe „Süden“ und „Norden“ nur vorübergehende Begriffe sind, die regelmäßig durch andere, angemessenere ersetzt werden.
Es stellt das Bestreben dar, mit kolonial geprägten Narrativen von einem reichen und privilegierten Norden als Ideal zu brechen. Der Entwicklungsbegriff wird auf diese Weise auf seine Verbindung mit industriellen, finanziellen und technologischen Fortschritt kritisch hinterfragt. Spätestens in Zeiten des Klimawandels sind die damit verbundenen Fehlentwicklungen deutlich. Verstärkt wird das dadurch, dass die Länder des Globalen Südens deutlich stärker unter den im Globalen Norden verursachten Auswirkungen des Klimawandels zu leiden haben.
Selbstkritischer Prozess zu Bildsprache und Tonalität
Und wenngleich sich neue Worte oder Bezeichnungen, wie „Globaler Süden/Globaler Norden“ als sperrig erweisen oder noch nicht in einer Weise bekannt sind, dass sie alle sofort zuordnen können, so sind sie nötig, um dem notwendigen Verlernprozess Ausdruck zu verleihen. In Zeiten von Polarisierungen, schnellen Zuschreibungen und wachsendem Autoritarismus ist es umso wichtiger, mit hoher Achtsamkeit auch in der Weise, wie wir Dinge benennen, Stigamtisierungen und Diskrimierungen vorzubeugen.
Zu den Hintergründen, warum sich Brot für die Welt als ein international tätiges Werk mit einem selbstkritischen Prozess zu Bildsprache und Tonalität befasst, haben wir u.a. ein Global Verlernen veröffentlicht. Die Zusammenhänge von Wissen und Macht werden in diesem Bildungsmaterial verdeutlicht.