Das Geschehen draußen auf See, jenseits der Urlaubsstrände und Hafenanlagen, war für die meisten Menschen lange Zeit weitgehend unsichtbar. In den letzten Jahren hat sich dies grundlegend geändert. Mit den Krisen an Land sind die marinen Ressourcen und der Küstenraum mehr und mehr ins Blickfeld gerückt.
Von der gewachsenen Aufmerksamkeit hat zunächst vor allem der Meeresschutz profitiert, obwohl das Nachhaltigkeitsziel 14: „Leben unter Wasser“ fordert, die Lebensgrundlage von Küstengemeinschaften zu schützen, die vom Fischfang leben. Das Entwicklungsministerium (BMZ) hat 2018 erstmalig einen Aktionsplan „Meeresschutz und Nachhaltige Fischerei“ veröffentlicht. Darin wird versucht, Meeresschutz mit den Interessen der an den Küsten lebenden Bevölkerung und mit dem handwerklichen Fischereisektor zu vereinen. Doch die hohe Aufmerksamkeit für die Weltozeane hat – vor allem seit der ersten SDG 14-Konferenz 2017 in New York – einen regelrechten Wettbewerb um die Errichtung der schönsten und größten Meeresschutzgebiete hervorgebracht, der die Belange der Küstenbevölkerung vernachlässigt.
Zu oft müssen Küstengemeinschaften erleben, dass ihre Fanggründe zu Schutzzonen von großen NRO aus dem Norden werden, ausgehandelt mit ihren Regierungen und von finanzstarken Philanthropen und Geberstaaten finanziert. Dort darf dann gar nicht oder nur sehr eingeschränkt gefischt werden. Dabei gibt es Beispiele wie in der Schutzzone in Joal-Fadoiuth im Senegal, wo die Kleinfischer von einer NRO – hier dem WWF – die Schutzzone und das Mangrovengebiet nach Projektende selber übernehmen und überwachen und dafür sorgen, dass die Jungfische in diesem Gebiet sicher aufwachsen können, bevor sie in die Fanggebiete ausströmen.
Die Forderung nach Mitbestimmung basiert auf einem entscheidenden internationalen Durchbruch zur Anerkennung der Rechte von Fischereigemeinschaften (2014): den FAO-Leitlinien zum Schutz der handwerklichen Fischerei. Sie sind weltweit die Blaupause, um der Kleinfischerei in den Fischereigesetzgebungen den Zugang zu Fischgründen, den Küstengebieten und Stränden für Fischfang, Anlandung und Verarbeitung zu sichern.
Klima, Müll, Offshore-Industrie und Überfischung setzen Ozeanen zu
Gleichwohl zeichnen alle aktuellen Berichte zum Zustand der Ozeane nach wie vor ein zunehmend negatives Bild. Mit dem Verlust an Biodiversität in der Meereswelt, der Meeresverschmutzung und den Klimafolgen geht unweigerlich eine weitreichende Gefährdung der Existenzgrundlagen der Küstengemeinschaften einher, die von und mit dem Meer leben. Große Fischtrawler machen der Kleinfischerei die Fanggebiete streitig ebenso wie fossile oder auch postfossile Offshore-Projekte. Tourismuszentren und der Ausbau von Hafenanlagen verdrängen alte Küstenorte. Diese Entwicklung findet global statt, ihre Auswirkungen treffen jedoch den Globalen Süden am schwerwiegendsten. Dort sind die Abhängigkeiten von den Ozeanen am stärksten und die finanziellen Möglichkeiten zur Anpassung begrenzt.
Mit dem Begriff der „Blue Economy“ wird die wirtschaftliche Ausbeutung der Weltmeere als erstrebenswertes Ziel der globalen Meerespolitik in den Vordergrund gerückt. Politik, Industrie, NRO ringen nun mit den Küstengemeinschaften darum, wer von den Weltmeeren profitieren darf. Für Brot für die Welt und seine Partnerorganisationen gilt aber nach wie vor: Die Ozeane sind nicht Wirtschaftsgut, sondern Gemeingut (Commons).
Küstengemeinschaften und Fischereisektor wehren sich
Brot für die Welt hat daher seinen Schwerpunkt daraufgelegt, Küstengemeinschaften, die vom Fischfang leben, zu unterstützen. Sie sollen Entscheidungen beeinflussen können, die schwerwiegende Wirkungen auf ihr Einkommen und die Ernährungssicherheit ihrer Region haben. Dabei war es lange das Ziel, den negativen Einfluss der europäischen Fangflotte vor Afrikas Küsten einzugrenzen, damit die Fischgründe vom handwerklichen Sektor nachhaltig befischt werden können. Gemeinsam mit den beiden Partnerorganisationen, dem 2010 gegründeten Verband der afrikanischen Kleinfischerei (CAOPA) und der Koalition für faire Fischerei in Brüssel, CFFA, gelang es, mit der seit 2012 verabschiedeten Europäischen Fischereireform einen gesetzlichen Rahmen zu setzen, der europäischen Fangtrawlern enge Grenzen setzt, was und wie viel sie vor afrikanischen Küsten fischen dürfen.
Überwacht werden die Abkommen durch den EU-Ausschuss LDAC, in dem Brot für die Welt mit Umweltorganisationen und den Besitzern der Fischtrawler unter Einbezug der Vertreter*innen der afrikanischen Kleinfischerei kritisch zusammenarbeiten. Inzwischen sind allerdings die Fangflotten aus Asien oder Russland die größere Bedrohung für die Fischbestände Afrikas, da sie oft ohne Lizenzen mit illegalen Praktiken vor den Küsten Afrikas wichtige Bestände der Kleinfischerei überfischen. Dazu kommt zunehmend der Fang durch industrielle Fangboote aus Mauretanien, aber auch leider durch gambische Kleinfischer auf nährstoffreiche Arten wie Makrelen und Sardellen. Die werden in Westafrika zu Fischmehl verarbeitet, das in norwegischen Fischfarmen an Zuchtlachse verfüttert wird, um eine – besonders in Deutschland – steigende Nachfrage nach Lachs zu bedienen. In der Folge fehlen der lokalen Bevölkerung in Afrika Makrelen und Sardellen als Nahrung und fischverarbeitenden Frauen als Einkommen.
Deutsche Meeresstrategie muss auf die Weltozeane schauen – nicht nur auf Nord- und Ostsee
Die von BMUV und BMZ gemeinsam auf den Weg gebrachte Formulierung einer Nationalen Meeresstrategie soll im nächsten Jahr nach einem intensiven Austausch mit Stakeholdern auch aus der Zivilgesellschaft vom Bundeskabinett beschlossen werden. Die Strategie sollte nicht nur den Konflikt um Schutz und Nutzung an Nord- und Ostsee entschärfen, sondern auch Positionen Deutschlands in der internationalen Meeres- und Fischereipolitik formulieren. Dabei muss sie Umwelt und Entwicklung zusammenführen und die Meerespolitik als globale Aufgabe definieren, welche die Bekämpfung von Hunger und Armut gleichberechtigt mit dem Meeresschutz und der sogenannten „Blue Economy“ behandelt.