Sri Lanka wird ein immer beliebteres Urlaubsziel, auch für Deutsche. Seit vielen Jahren gehört Deutschland zu den Top Five der Länder, aus denen die meisten Besucher*innen kommen und der Insel im indischen Ozean einen erheblichen Teil der touristischen Deviseneinnahmen bescheren. Während Einreisen aus manch anderen Ländern wie Großbritannien, Kanada oder Australien Heimatbesuche diasporisch lebender Gemeinschaften sind, treibt Reisende aus Deutschland vor allem der Wunsch nach Freizeit. Mit ellenlangen Sandstränden und Wellen, perfekt zum Surfen, Ayurveda-Kuren für die Gesundheit, vielfältigen Nationalparks, pittoresken Landschaften des weltweit beliebten Ceylon-Schwarztees sowie beeindruckenden Tempelanlagen hat der kleine Inselstaat alles zu bieten, was das touristische Herz begehrt. Doch was bedeutet das für die Bewohner*innen eines Landes, das geprägt ist von einer 443-jährigen Geschichte der Kolonialisierung (Portugiesische, niederländische und zuletzt britische Kolonialherrschaft bis 1948) und einer von Pogromen und Krieg gezeichneten postkolonialen Ära?
Tourismus unterstüzt(e) das Militär
Neben der Textil- und Teeindustrie und neuerdings Kommunikationstechnologien zählt der Tourismus zu den wichtigsten Einnahmequellen Sri Lankas. Wie man den jährlichen statistischen Auswertungen der Sri Lanka Tourism Development Authority entnehmen kann, haben in der gesamten Kriegszeit, selbst während der tödlichsten Phasen, die touristischen Einreisen nie ganz aufgehört, nahmen in der Nachkriegsphase (abgesehen von den Covid Pandemie-Jahren 2020 und 2021) schnell zu und entwickelten sich zu neuen Höchstzahlen. Zuvor provozierten ideologische, ökonomische und soziale Vermächtnisse der britischen Kolonialmacht lokale Konflikte, darunter insbesondere die nationalistisch-rassistische Unterdrückung durch Staat und Eliten.
Schließlich mündete dies im Nordosten der Insel Anfang der 1980er Jahre in bewaffnete Auseinandersetzungen zwischen dem singhalesischen Staat und Militär auf der einen und tamilischen Unabhängigkeitsbewegungen auf der anderen Seite. 300 Kilometer weiter aber, im südwestlichen Teil der Insel, in dem vor allem die singhalesische Mehrheitsbevölkerung lebt, konnte sich die touristische Infrastruktur von Jahr zu Jahr weiter entfalten. Parallel zum Wachstum des Tourismus, der sich während des Kriegs zu einer bedeutenden ökonomischen Ressource entwickelte, wuchs das Militärbudget massiv an. Florierender Tourismus im Süden und Westen des Landes und Militarisierung und Gewalt im Osten und Norden waren gleichzeitige Realitäten. Heute betreibt die Armee weiterhin Hotels und Gastronomien und bietet Bootsausflüge an. Hinter dem, was sich für Urlauber*innen als traumhafte Idylle zeigt, versteckt sich nicht selten ein dark tourism, der historische Kontinuitäten von Gewalt verwischt oder sie gar mitproduziert. Tamil*innen in den ehemaligen Kriegsgebieten betrachten die Normalisierung des militärischen Tourismus entsprechend mit Skepsis.
Ungerechte Strukturen bestehen bis heute
Dass Tourismus als Verschleierung funktionieren kann, ist für Sri Lanka allerdings nicht neu. An einem anderen, historisch tief verwurzelten Beispiel zeigt sich dies deutlich. Neben Stränden ist die bergige Teeplantagenregion ein beliebtes Ausflugsziel vieler Urlauber*innen. Eine Google-Bildersuche zu „Sri Lanka Tea Estates“ vermittelt pittoreske Eindrücke: saftig-grüne Landschaften und lächelnde Frauen in bunten traditionellen Saris, die den Tee händisch pflücken. Viele Reisende verbringen ein bis drei Tage in dieser Region, genießen die Abkühlung im Vergleich zu den Küsten und trinken Ceylontee im britischen Stil.
Hinter diesem touristischen Magnet verbirgt sich allerdings eine koloniale Geschichte, die folgenreich bis in die Gegenwart reicht. Vor 200 Jahren wurden die ersten Vorfahr*innen der bis heute in diesem Gebiet lebenden Malayaha-Tamil*innen von der britischen Kolonialmacht aus Indien dorthin verfrachtet, um für den Teeanbau und -export unter sklavenähnlichen Zuständen zu arbeiten. Heute noch werden sie nicht nur rassistisch diskriminiert – die Region gehört auch zu den systematisch am meisten benachteiligten des Landes. Gesundheitsversorgung, sanitäre Anlagen, öffentliche Mobilität und Bildung ist für viele hier nur schlecht zugänglich. Das führt dazu, dass viele Malayaha-Tamil*innen schon früh die Schule verlassen müssen, um auf den Plantagen für einen Hungerlohn von umgerechnet 75 bis 90 Euro im Monat unter enorm prekären Bedingungen zu arbeiten. Andere ziehen in die Hauptstadt Colombo, um sich dort beispielsweise als Reinigungskraft oder als housekeeper in der Gastronomie und Hotellerie im Niedriglohnsektor zu verdingen.
Ebenso wie die jüngeren militärischen verdeutlichen auch diese jahrhundertealten kolonialen Kontinuitäten historische Konfliktlinien, die im Sinne einer globalen sozialen Gerechtigkeit transformiert werden müssen. Ein Blick hinter die Kulissen würde helfen, um die Schattenseiten des Tourismus und deren lokale Auswirkungen in der wirtschaftlichen und entwicklungsbezogenen Zusammenarbeit zu adressieren.
*Sowmya Maheswaran ist in der Forschung und politischen Beratung sowie im Journalismus tätig. An der Humboldt-Universität zu Berlin promoviert sie an der Schnittstelle politischer und globaler Anthropologie.
Dieser Beitrag erscheint anlässlich des 140. Jahrestages der Berliner Kolonialkonferenz, die vom 15. November 1884 bis zum 26. Februar 1885 stattfand. Bei der Konferenz teilten die Kolonialmächte den afrikanischen Kontinent unter sich auf und legten ihre Einflusssphären fest. Die Ergebnisse der Konferenz haben bis heute Auswirkungen auf die Lage in Afrika und internationale Politikprozesse insgesamt.