Der Atomausstieg in Deutschland war politisch jahrelang kaum noch ein Thema. Erst mit der Energiekrise infolge des russischen Angriffs auf die Ukraine wurden Forderungen nach einer Laufzeitverlängerung der verbliebenen Kraftwerke wieder lauter. Im November 2022 hat die Bundesregierung aus Angst vor Blackouts und weiter explodierenden Strompreisen die Laufzeit bis zum 15. April 2023 verlängert. Dabei war nach dem sogenannten Stresstest 2.0 der vier deutschen Übertragungsnetzbetreiber vom September klar, dass sich diese Laufzeitverlängerung weder signifikant auf die Gasnachfrage, die Strompreise oder die Netzstabilität auswirken würde.
Inzwischen ist Klimaschutz das zentrale Argument, um Atomkraft wieder salonfähig zu machen. Deutschland muss so schnell wie möglich klimaneutral werden und dafür bis 2030 aus der Kohleverstromung aussteigen. Braucht Deutschland dafür Atomkraft? Nein! Mit erneuerbaren Energien haben wir günstigere Optionen ohne Katastrophenrisiko, ohne radioaktiven Müll und ohne gefährliche Uranimporte. Unsere Publikation „Atomkraft vor dem Ende“ erläutert die Hintergründe und zeigt die verheerenden Folgen des Uranabbaus im Globalen Süden.
Uranabbau zerstört Lebensgrundlagen
Die EU fördert seit Jahren zwar kein Uran mehr, ist mit aktuell 103 Atommeilern aber der weltweit größte Urannutzer. Während Deutschland und Europa ihre Abhängigkeit von Öl, Kohle und Gas aus Russland abbauen, bleibt im Atombereich genau diese Abhängigkeit bestehen. Nach Angaben der Europäischen Atomgemeinschaft (EURATOM) bezogen Deutschland und die EU im Jahr 2021 19,7 Prozent des benötigten Urans aus Russland, weitere 23 Prozent kamen von Russlands Verbündetem Kasachstan. Rosatom fördert 15 Prozent des weltweiten Bedarfs, die kasachische Kazatomprom sogar 25 Prozent. Weitere 25 Prozent stammen aus Niger.
Durch den Betrieb unserer Atomkraftwerke sind wir für Umweltzerstörungen und die radioaktive Belastung mitverantwortlich, die der Abbau von Uran verursacht. Gleichzeitig füllen wir mit Uranimporten aus Russland die Kriegskasse Putins.
Armut und Hunger trotz Uranreichtum
Der Uranbergbau bedeutet massives Leid für Mensch und Umwelt. In Afrika gehören Südafrika und Niger zu den historisch wichtigsten Uranlieferanten. Mit 25 Prozent ist Niger der größte Uranlieferant der EU. Doch die Menschen in Niger haben von diesem Export praktisch nichts: Das Land gehört zu den ärmsten Ländern der Welt und liegt auf dem Human Development Index der Vereinten Nationen auf dem drittletzten Platz aller Staaten, auch deshalb, weil Niger für das geförderte Uran nur zwölf Prozent des Wertes erhalten hat. 45 Prozent der Menschen leben unter der Armutsgrenze von 1,90 US-Dollar am Tag, jedes zweite Kind ist unterernährt und gleichzeitig hungern 1,7 Millionen der rund 25 Millionen Männer, Frauen und Kinder. Die Bevölkerung leidet unter gravierender Energiearmut. Weniger als 15 Prozent der Bevölkerung hat Zugang zu Strom.
Uranabbau führt zu Krankheit und Tod
In den Uranminen Arlit und Akokan im Norden Nigers sind rund 140.000 Tonnen Uran im Tage- bzw. Untertagebau gefördert worden. Zurück blieben über 100 Millionen Tonnen an Gesteinsresten und Gesteinsschlamm: eine hochgiftige und radioaktive Masse, die Atembeschwerden, Krebs, Unfruchtbarkeit, Fehlgeburten und –bildungen verursacht. Anders gesagt: der Uranbergbau ist ein Lebensrisiko für alle Menschen, die dort leben.
Die internationale Ärzteorganisation IPPNW, die sich für eine friedliche, atomtechnologiefreie und menschenwürdige Welt einsetzt und dafür bereits 1985 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet wurde, hat aus der gesundheitlichen Belastung eindeutige Schlüsse gezogen: Auf ihrem 19. Weltkongress im August 2010 forderte sie die „Ächtung von Uranabbau“ und bezeichnet ihn seither als „Verletzung der Menschenrechte“.
International glaubwürdig bleiben
An die Internationale Gemeinschaft und vor allem die Länder des Südens ist der endgültige Atomausstieg das richtige Signal: Deutschland finanziert im Rahmen seiner vielfältigen Energiepartnerschaften ausschließlich Erneuerbare Energien. Um international den Klimaschutz glaubwürdig voran bringen zu können, sollte Deutschland mit dem endgültigen Atomausstieg klarmachen: die Zukunft auch in Deutschland ist Erneuerbar.
Atomkraftwerke sind heute überhaupt nur noch in 34 Ländern am Netz – die Zahl der Reaktoren sinkt seit 2002 weltweit. Der Grund ist naheliegend: Während eine Megawattstunde Sonnen- und Windstrom inzwischen für durchschnittlich 36 bzw. 38 US-Dollar erzeugt werden kann, kostet die gleiche Menge Atomstrom aus neuen Kraftwerken das Viereinhalbfache: 167 US-Dollar. Die Folge: Über 80 Prozent der im Jahr 2021 weltweit neu gebauten Kraftwerkskapazität sind erneuerbar. Atomkraft spielt kaum noch eine Rolle.
Fokus auf erneuerbare Energien richten
In Deutschland ist Atomkraft nur deshalb noch ein Thema, weil der Ausbau erneuerbarer Energien jahrelang politisch verschleppt und blockiert wurde. Jetzt gilt es, diese Blockade zu lösen und ein zukunftsfähiges Energiesystem zu entwickeln, das sich auf 100 Prozent Erneuerbare stützt. Angesichts der Klimakrise haben wir nicht mehr die Zeit, politische Diskussionen über Scheinlösungen zu führen. Wir müssen uns auf den Umbau des Energiesystems hin zu Erneuerbaren konzentrieren.
Spätestens am 15. April müssen daher die drei verbliebenen Atomkraftwerke Emsland, Neckarwestheim 2 und Isar 2 stillgelegt werden. Darüber hinaus sollte die Bundesregierung die Stilllegung der Atomfabriken in Gronau (Anreicherungsanlage) und Lingen (Brennelementefabrik) prüfen. Und Länder des Globalen Südens, in denen Uran abgebaut wird, müssen dabei unterstützt werden, Uranminen zu sanieren, Uranabbauhalden zu beseitigen und nachhaltige Energieformen wie Wind- und Solarenergie zu erschließen.