25 Mal taucht der Begriff Partnerschaft im Koalitionsvertrag auf, wenn es um internationale Politikfelder geht – sei es in Form von Klimapartnerschaften, Sicherheitspartnerschaften, Produktions-, Handels- oder Migrationspartnerschaften. In den Wahlprogrammen zur Europawahl taucht der Begriff bei SPD, CDU und FDP auf mindestens jeder vierten Seite auf, bei den Grünen sogar auf jeder zweiten Seite. Die Linke erwähnt ihn fünf Mal, die AfD drei Mal auf 27 Seiten.
Partnerschaft – ein beliebtes Buzzwort
Soviel zur Quantität. Partnerschaften und ein gutes internationales Miteinander sind begrifflich also (fast) allen wichtig. Doch was ist mit der Qualität? Nie zuvor sind so viele deutsche Ministerinnen und Minister so häufig in Länder des Globalen Südens gereist wie aktuell. Und auch der Kanzler selbst bereist vermehrt Länder, deren Staatschefs er früher nur am Rande internationaler Konferenzen traf. Mal geht es dabei um Migrationspartnerschaften, Verteidigungsallianzen, Kooperationen zur Anwerbung von Gesundheitsfachkräften. Mal um Handelsabkommen oder um Importe von seltenen Rohstoffen oder Energie und Wasserstoff. Deutschland ist dabei nicht allein – auch andere Staaten rund um den Globus pendeln in politisch-diplomatischer und/oder wirtschaftlicher Mission zu neuen und alten Partnern. Kein Wunder: In einer krisenhaften Weltsituation ist keiner gern allein.
Geopolitische Transformationen
Noch dazu verschieben sich global gesehen die Machtzentren. Die bipolare Welt des Kalten Kriegs schien zwischenzeitlich abgelöst von einer quasi monopolaren Weltordnung, in der sich „der Westen“ Infragestellungen von außen weitgehend erwehren konnte. Das ist spätestens seit Trumps „America first“-Politik vorbei. Nun steht die Transformation in eine multipolare Welt an, in der sich in wechselnden Allianzen neue Machtzentren bilden. Für die Länder des Globalen Südens entstehen so neue Optionen. Das ist gut so, denn ihre eigenen Bedürfnisse wurden im Kalten Krieg ignoriert oder sie wurden zum Spielball der Weltmächte und zum Schauplatz blutiger Stellvertreterkriege. Nach dem Ende des Kalten Krieges, im Zeitalter von Turbokapitalismus und Globalisierung, waren sie Werkbank der Welt unter prekärsten Arbeitsbedingungen und Rohstoffquelle ohne Rücksicht auf Umwelt und Gesundheit. Heute steht all das in Frage – ENDLICH!
Gerade Schwellenländer wie Brasilien, Indien, Indonesien oder Südafrika treten mit neuem Selbstbewusstsein auf und erscheinen manchen aus den „alten“ Machtzentren Europas und Nordamerikas als unbequeme neue Mitspieler. Einige reiben sich verwundert die Augen, dass die Golfdiktaturen – allen voran Saudi-Arabien und Katar – sich systematisch als Global Player etablieren. Wirtschaftlich und politisch weniger starke Staaten hingegen schwanken zwischen neuem Selbstbewusstsein durch politische Aufmerksamkeit auf der einen Seite und ihrer alten Rolle als Rohstoffquelle und billige Produktionsstätte auf der anderen.
Entwicklungspolitik als globale Strukturpolitik
Alles ist in Bewegung – und was macht Deutschland? Deutschland kürzt den Entwicklungsetat so massiv wie seit Jahrzehnten nicht. Dabei ist klar, dass internationale Solidarität nicht nur moralisch, sondern auch politisch geboten ist. Wir haben mit unserem Wirtschaftssystem die Staaten Afrikas, Lateinamerikas und Asiens arm gemacht, während unsere Industrialisierung den Klimawandel, der heute Menschen aus Küstenregionen und vor Waldbränden fliehen lässt buchstäblich befeuert. Entwicklungszusammenarbeit ist in diesem Sinne nicht nur Almosen, die man beliebig geben oder verweigern kann, sondern dient auch der Übernahme von Verantwortung für den Übergang von einer unfairen, ausbeuterischen und zerstörerischen Weltordnung in eine partnerschaftlichere, kooperativere und dekoloniale globale Ordnung.
Der Nützlichkeitsdiskurs schadet mehr, als er nützt!
In diesem Sinne ist die Entwicklungszusammenarbeit ein zutiefst strategisches Politikfeld. In Teilen der Öffentlichkeit – bis hinein in den Bundestag und an den Kabinettstisch – wird Entwicklungspolitik aktuell allerdings als nice-to-have diskutiert, etwas, das man sich leisten können muss. Entwicklungspolitik soll sich daran messen, was sie uns an Zählbarem bringt: Reduziert sie den Migrationsdruck auf europäische Grenzen? Schafft sie uns neue Bezugsquellen für Energie und Rohstoffe? Sichert sie der deutschen Wirtschaft Lieferketten und Absatzmärkte?
Ja, es stimmt: Entwicklungspolitik war immer schon Interessenpolitik. Aber wer sie derartig auf die unmittelbare Nützlichkeit für die Geberländer reduziert, verhindert damit, dass sie ihr volles Potential entfalten kann. Denn sie ist ein – wenn auch nicht das einzige – Instrument, damit die Staatengemeinschaft nicht in fast 200 „Me first“-Staaten zerfällt. Das wäre Multipolarität in darwinistischer Form und kein Zukunftsmodell, um die Menschheitskrisen im Bereich Klima, Biodiversität und Ungleichheit erfolgreich anzugehen. Was es stattdessen braucht? Entwicklungszusammenarbeit, die Staaten unterstützt, ihre Dekolonisierung voranzutreiben, indem sie eigene starke Wertschöpfung entwickeln und sich von der Rolle als billige Rohstoffquelle emanzipieren. Entwicklungszusammenarbeit, die Vertrauen und Partnerschaft zwischen Staaten aufbaut, ohne zuerst danach zu fragen, ob dies zu genehmem Abstimmungsverhalten bei den Vereinten Nationen führt.
Neue Wege für kirchliche Partnerschaften
Auch für kirchliche Akteure stellt sich im Licht geopolitischer Veränderungen, eines erstarkenden Autoritarismus und des immer spürbareren Rechtsrucks in Deutschland und Europa ganz akut die Frage: Wie finden wir neue Wege der Partnerschaft in einer krisenbehafteten Welt? Um diese Frage zu behandeln, trafen sich am 19./20.3.2024 fast hundert Teilnehmer:innen zur Entwicklungspolitischen Konferenz der Kirchen und Werke in Wuppertal. Dabei wurde klar: Der Weg der Dekolonisierung bedeutet nicht nur, die eigene koloniale Vergangenheit schonungslos auszuleuchten, sondern auch eine Abkehr von einer reinen Geber-Nehmer-Beziehung. Partnerschaften müssen transformativ sein, indem die Partner füreinander Verantwortung übernehmen und den eigenen Beitrag zur Veränderung klar in den Blick nehmen. Es bedeutet gerade für den Globalen Norden, sich zu verändern und sozial-ökologisch zu transformieren. Und es bedeutet: besseres Zuhören und auch Aushalten von unterschiedlichen Wahrnehmungen und Narrativen. Die Teilnehmer:innen waren sich einig, dass die Kirchen eine wichtige Rolle dabei spielen können und müssen, da sie tief in den Gesellschaften verankert sind, aber auch, weil sie ihre eigene koloniale Geschichte haben. Der notwendige Perspektiv- und Paradigmenwechsel kommt nicht von selbst, sondern muss immer wieder neu und gemeinsam gestaltet werden.