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El Salvador: Ein gefährliches Gemisch

Die Klimakrise trifft El Salvador bereits deutlich, Extremwetterereignisse nehmen zu, dazu sind die Wasserreserven ungleich verteilt. Die Organisation Unidad Ecológica Salvadoreña (UNES) unterstützt die Menschen dabei, sich zu organisieren und zu wehren.

Von am

Auf den ersten Blick ist es eine idyllische Landschaft. Nur wenige Kilometer außerhalb der Hauptstadt San Salvador, wo die Bundesstraße 8 durch die Provinz La Libertad in Richtung der Provinz Sonsonate führt, fällt der Blick unweigerlich auf den Vulkan Izalco. Mit seinen 1952 Metern Höhe ragt der Vulkan imposant aus dem Nationalpark Cerro Verde hinaus. Links und rechts der Straße über weite Strecken ein mehr als üppiges Grün, ab und zu schlängeln sich kleinere Gewässer durch die Landschaft. Insgesamt mehr als 360 Flüsse durchziehen El Salvador. Sie geben eine Eindruck, über welchen Wasserreichtum das Land prinzipiell verfügt, das mit 21.000 Quadratkilometern die kleinste zentralamerikanische Nation ist.

Aber: „Die Realität weicht erheblich vom oberflächlichen Eindruck ab“, erklärt Amalia López. „Die Wasserreserven und der Zugang zu ihnen sind für die Bevölkerung ganz ungleich verteilt. Und die Wasserverschmutzung und zunehmende Extremwetterlagen bringen Probleme für die Gesundheit der Menschen und die Landwirtschaft.“ López arbeitet bei der Nichtregierungsorganisation Unidad Ecológica Salvadoreña (UNES), was sich als Salvadorianisches Umweltteam übersetzen lässt. UNES ist ein wichtiger Partner von Brot für die Welt in der Region, die Organisation besteht seit 35 Jahren. Anfangs konzentrierte sich das Salvadoreanische Umweltteam auf den reinen Naturschutz. Inzwischen arbeitet UNES zu Klimakrise, Klima-Risikomanagment, Wasserresourcen, Ernährungssicherheit und Extraktivismus. Nicht ohne Grund: In dem mit 300 Einwohner*innen pro Quadratmeter dichter als Deutschland besiedelten El Salvador sind fast das gesamte Territorium und die auf ihm lebende Bevölkerung erhöhten Klimarisiken ausgesetzt.

Arbeitsplätze fehlen

Die Fahrt in die Provinz Sonsonate hat die Hafenstadt Acajutla an der salvadorianischen Pazifikküste zum Ziel. Bei einem Zwischenstopp steigt Ana Saldaña zu. Sie wuchs in Acajutla auf, „ich bin praktisch am Meeresufer geboren“, sagt sie. Saldaña organisiert Frauen, damit sie für ihre Rechte eintreten, und arbeitete jahrelang in einem Community Radio. Häufig begleitet sie Aktivitäten von UNES. Sie will uns die Bocana de Limón zeigen, das Mündungsgebiet von drei Flüssen am Rand von Acajutla. Dort strömen der Sensunapan, der San Pedro und der Sunza über eine kleine Lagune ins Meer. Vor 500 Jahren kämpften die Einheimischen unweit der Lagune erbittert gegen den spanischen Eroberer Pedro Alvarado. Heute hat die Bevölkerung ganz andere Probleme. Zwar ist Acajutla immer noch die wichtigste Hafenstadt des Landes. Doch der einst betriebsame Bahnhof ist wie das gesamte Eisenbahnnetz El Salvadors seit Beginn des Jahrtausends stillgelegt. Arbeit für die Menschen ist knapp, das Einkommen der meisten niedrig.

Der erste Halt ist ein gutes Stück oberhalb der Mündung des Sensunapan. Hier fließt aus einem Rohr eine stinkende Brühe direkt in den Fluss. .] „Abwässer und Müll werden zu einem immer größeren Problem in den Flüssen“, erklärt Saldaña. Dies bestätigt sich ein paar hundert Meter weiter unten in der Lagune. Nur knapp zwei Wochen nach dem Hurrikan Julia und weiteren ergiebigen Regenfällen in seinem Gefolge ähnelt der Strand nach den letzten ergiebigen Regenfällen über weite Strecken eher einer Müllhalde für Plastikabfall. Der Müll kommt zum Teil aus dem Meer, überwiegend aber aus den drei Flüssen.

Mit dem Regen kommen Müll und Überschwemmungen

Für Ana Saldaña ist die Müllflut unter anderem eine Folge des Klimawandels: „Früher waren die Regenfälle moderat und langanhaltend. Jetzt sind sie extrem heftig und kürzer.“ Das habe zur Entwurzelung vieler Bäume in Uferbereichen geführt. „Viele Stellen sind jetzt kahl und alles wird direkt in die Flüsse geschwemmt. Auch gute Erde wird von den Flüssen mitgenommen.“ Dies wiederum bedeute Verluste in der kleinbäuerlichen Landwirtschaft im Einzugsgebiet der Gewässer. Gleichzeitig hätten die Wasserstände der Flüsse im Durchschnitt sogar abgenommen. „Das ist ein Problem in der Trockenzeit von Mitte November bis Ende März.“   

Wenige Tage zuvor hatten Vertreterinnen des salvadorianischen Gemeindezusammenschlusses Acudesbal, einer weiteren Partnerorganisation von Brot für die Welt, auf dem Forum Verletzbares Zentralamerika ähnliches geschildert: In Teilen des unteren Verlaufs des Río Lempa, dem wichtigsten und längsten Fluss El Salvadors haben die immer heftigeren Überschwemmungen bereits zu einer anderen Hausbauweise geführt. Statt der traditionellen Lehmbauweise gehen Uferanrainer*innen laut Acudesbal dazu über, die Häuser mit Zement zu errichten und auf Stützen zu stellen. Der Lempa leidet zudem seit Jahrzehnten unter wachsender Verschmutzung durch Schadstoffe. Dies gefährdet seine Funktion als wichtige Trinkwasserquelle für die Bevölkerung. Nun droht durch den geplanten Gold- und Silberabbau des guatemaltekischen Großprojektes Cerro Blanco eine weitere Verschmutzung. Über den von Guatemala und El Salvador geteilten Güija-See, der den Río Lempa speist, könnten giftige Abwässer aus Cerro Blanco auch in El Salvador ankommen. Das Team von UNES engagiert sich nicht nur wegen dieser konkreten Bedrohung in der Zentralamerikanischen Allianz gegen den Bergbau (Acafremin). „Die zunehmende Kontamination der Flüsse ist vor allem für die Frauen ein Problem, weil sie dort oft die Wäsche für die Familie waschen“, sagt Amalia López. Haut- und Vaginalkrankheiten seien die Folge. Das Wasser werde vielfach auch durch Glyphosat verschmutzt. Im ehemaligen Kaffeeanbauland El Salvador rücke zuletzt auch die Monokultur Zuckerrohr immer mehr vor. „Das ist mit dem intensiven Einsatz von Agrargiften verbunden“, so die UNES-Mitarbeiterin. Umweltorganisationen im Land bringen diese Gifte mit gehäuften Fällen von Niereninsuffizienz und Gebärmutterkrebs in Verbindung.

Die Fische bleiben weg, die Armut nimmt zu

In Bocana de Limón ist für viele Anwohner*innen der Fischfang ein kleiner Nebenerwerb. An diesem Freitagnachmittag stehen vier Männer mit ihren Netzen bis zu den Hüften im Wasser der Lagune. Nur der 53-jährige Ricardo ist bereit, sich etwas zu unterhalten. Als Beruf gibt er Schweißer an. Er fische, um ein Extraessen für die Familie auf den Tisch zu bringen. Die Begriffe Klimakrise und Klimawandel sagen ihm wenig, aber ja, das Wetter habe sich in den vergangenen 20, 30 Jahren geändert. Durch den Starkregen führten die Flüsse mehr Äste und Bäume mit sich. „Die Fische verstecken sich davor in Ufernähe.“ Die Vielfalt des Fangs habe abgenommen, „heute fange ich normalerweise nur kleine Arten wie Sardinen“. Auch Ricardo kritisiert die Müllflut. „Früher brachten die Flüsse nur Steine in die Lagune, jetzt ist überall Müll.“

Nicht allzu weit weg von der Bocana de Limón lebt Doña Miriam Castañeda in der Siedlung La Coquera. Beim Gang durch die Siedlung wird an den vielen prekär gebauten Hütten und einfachen Häusern schnell deutlich: Hier ist der überwiegende Teil der Bevölkerung arm. Die 54-jährige Doña Miriam arbeitet seit 10 Jahren trotz schwerer Diabetes ehrenamtlich für ihre Siedlung beim Zivilschutz mit. Der Sensunapan fließt kaum einen Steinwurf entfernt längs an La Coquera vorbei, bevor er in die Lagune mündet. Wenn der Fluss oberhalb der Siedlung eine bestimmte Wassermarke übersteigt, bleibt den Anwohner*innen gerade noch eine halbe Stunde Zeit, ihre Behausungen zu evakuieren. Eine wirksame Schutzmauer an der Uferseite zur Siedlung hin gibt es nicht.

Evakuierungen mit einfachen Mitteln

Bei anhaltend starkem Regen wie beispielsweise während und nach Tropensturm Julia steht Miriam Castañeda auch mitten in der Nacht auf, um zu sehen, wo Wasser in die Häuser und Hütten läuft, ob Menschen aus den Häusern geholt werden müssen. „Erst die Alten, dann die Kinder, dann die Schwangeren, dann die mit Behinderungen“, erklärt sie. Die Arbeitsbedingungen für die ehrenamtlichen Helfer*innen sind prekär: Ein Seil muss reichen, um Nachbarn durch das Wasser zu ziehen. Im besten Fall haben die Helfer*innen noch Schwimmwesten. Vernünftige Gummistiefel, Walkie-Talkie, Taschenlampen, Schutzhelme: Mangelware. Ebenso fehlt es an Möglichkeiten, im Notfall Trinkwasser aufzubereiten.  „Obwohl alle möglichen Abfälle im Fluss sind, auch von Krankenhäusern in Acajutla“, bedauert Doña Miriam. 

Die Siedlung La Coquera verfügt über ein Grundstück, auf dem die Bewohner*innen gerne eine feste Notunterkunft errichten würden. Doch ein Brief an den salvadoreanischen Präsidenten brachte bisher ebenso wenig Hilfe wie Ansuchen beim Bürgermeister von Acajutla. So dient weiterhin das kleine Gemeindehaus als provisorische Herberge im Katastrophenfall. Beim Hurrikan Julia hielten sich die direkten Schäden in La Coquera im Vergleich zu anderen Tropenstürmen wie Eta und Iota im November 2020 in Grenzen. Doch Doña Miriam weist auf die indirekten Auswirkungen hin: „Die Menschen hier leben vom Fischfang, vom Verkauf von Krebsen, sie verkaufen Sand und Holz. Wenn die Unwetter kommen, können sie diese Tätigkeiten oft mehrere Tage nicht ausüben.“ Dann werde die große Armut in der Siedlung besonders sichtbar. „Viele leben von der Hand in den Mund.“ Als Sturm Julia über Acajutla zog, gab es über einen längeren Zeitraum keinen Strom. Der Verkauf von frischen Maisfladen stockte, weil eine zentrale Maismühle nicht arbeiten konnte.

Lokale Lösungen sind gefragt 

Klimawandel und Klimakrise werden sich den Prognosen zufolge in El Salvador und der gesamten mittelamerikanischen Region weiter verschärfen. „Dies gefährdet nicht nur Leben, sondern akut die Ernährungssicherheit und die Ernährungssouveränität“, ist Amalia López überzeugt. Das Salvadoreanische Umweltteam versucht mit unterschiedlichen Aktivitäten etwas dagegen zu tun. In einigen Landesteilen unterstützt es den Aufbau von gemeindebasierten Klimastationen. In anderen Regionen fördert UNES eine ökologische Selbstversorgungslandwirtschaft und organisiert kleine Agrarmärkte. 

Die politische Lage im Land macht die Arbeit von engagierten Menschen wie Amalia López jedoch nicht einfacher. Seit Präsident Nayib Bukele 2019 ins Amt kam, nimmt die Regierung immer autoritärere Züge an. Unter dem Vorwand der Verbrechensbekämpfung herrscht seit März 2022 der Ausnahmezustand im Land. Die klare Regierungsmehrheit im Parlament hat ihn auf Antrag von Bukele schon mehr als zehnmal jeweils um einem Monat verlängert. Menschenrechte, Umweltengagement und regierungsunabhängiges zivilgesellschaftliches Handeln stehen in diesem Kontext nicht hoch im Kurs. Durch sein auf großen Verhaftungswellen beruhendes radikales Vorgehen gegen die Bandenkriminalität hat Bukele trotz aller wirtschaftlichen Probleme derzeit die Mehrheit der Bevölkerung hinter sich.

Umweltschützerinnen in Gefahr

Auch seine Gegner*innen bestreiten dies nicht. „Wir Umweltschützer*innen müssen uns manchmal in unseren eigenen Familien für unsere Arbeit rechtfertigen, wenn wir die Regierung kritisieren“, sagt Amalia López mit einem bitteren Unterton. Sie ist dennoch überzeugt, dass die Gemeinden in El Salvador sich angesichts von Klimawandel, Monokulturen und Kontamination der Böden organisieren müssen. „Letztendlich müssen hier die Lösungen von den Menschen selbst kommen“, sagt sie nachdenklich und bestimmt auf der Rückfahrt nach San Salvador. UNES will dabei unterstützen. Und bekommt dabei Unterstützung von Brot für die Welt.

 

Der Beitrag wurde von dem Journalisten Gerold Schmidt verfasst.

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