Wir erleben gerade einen beispiellosen Angriff auf die Werte dieses Landes. Werte wie Solidarität und Mitgefühl sind Fremdwörter für Populistinnen und Populisten. Auch deshalb wird in Deutschland im Moment so erbittert über den Bundeshaushalt und die Etats für Entwicklungszusammenarbeit und Humanitäre Hilfe gestritten. Es war jahrzehntelang überparteilicher Konsens, dass Deutschland eine starke Entwicklungspolitik braucht – begründet aus seiner gewaltvollen Geschichte, dem wirtschaftlichen Aufschwung nach zwei Weltkriegen, der ohne Unterstützung aus dem Ausland undenkbar gewesen wäre. Aber auch begründet aus der Notwendigkeit von Kooperation und Partnerschaft.
In der aktuellen politischen Diskussion erleben wir das genaue Gegenteil. Immer lauter wird die Frage: „Was haben wir davon?“, wenn darum gestritten wird, wie viel Geld Deutschland in Zukunft ausgeben soll für den Kampf gegen Hunger, gegen die Folgen der Klimakrise oder für die Unterstützung von Kriegstraumatisierten.
Entwicklungszusammenarbeit unterstützt demokratische Strukturen
Wir erleben eine weltweite Krise der Demokratie. Schon jetzt gibt es mehr Autokratien als Demokratien. Entwicklungszusammenarbeit ist ein wichtiger Schlüssel, um einer weiteren Erosion entgegenzuwirken. Sie unterstützt den Aufbau und Erhalt demokratischer Strukturen, sie unterstützt konkret die Zivilgesellschaft, ohne die keine Demokratie existieren kann.
Man muss nur die Perspektive wechseln, um zu verstehen, was gerade auf dem Spiel steht. Das gelingt, indem man mit Menschen spricht, die in ihren Ländern eine solche Erosion der Demokratie seit Jahren beobachten. Sie beschreiben sehr eindrücklich, was es für sie bedeutet, wenn der Globale Norden seine Investitionen zurückfährt. Rechte Regierungen drangsalieren oder schließen immer mehr Nichtregierungsorganisationen. Wenn der Globale Norden sich zurückzieht, werden die ohnehin schon Schwächsten der Gesellschaft noch mehr an den Rand gedrängt. Die Armen und Ausgegrenzten sind am stärksten betroffen und das bleibt nicht ohne Folgen – auch für uns.
Ich zitiere eine unserer Partnerinnen, Rosemary Viswanath aus Indien:„Der Globale Norden muss verstehen, dass die einseitige Fokussierung auf gute Handelsbeziehungen dazu führen wird, Menschen und Umwelt noch weiter zu Nebensächlichkeiten zu erklären. Langfristig werden die Folgen auf ihn selbst zurückfallen.“
Doch genau jetzt möchte die Bundesregierung den Entwicklungsetat so radikal einkürzen wie keine Regierung seit dem Zweiten Weltkrieg. Zum Vorschein kommt eine Schneckenhaus-Mentalität. Doch Isolation und Abschottung können wir uns nicht erlauben.
Wir brauchen nicht weniger Kooperation, sondern mehr. Das gilt für Klimapolitik: Jede Tonne Co2, die irgendwo auf der Welt eingespart wird, ist gut für das Klima auf der ganzen Welt. Es gilt auch für Ernährungspolitik: Wenn wir unsere subventionierten Überschüsse billig in Länder des Globalen Südens verkaufen, hemmen wir dort die Entwicklung und die Fähigkeit, die Bevölkerung ohne Importe – und damit krisenfester – zu versorgen. Mehr Kooperation brauchen wir ebenso für eine sichere Welt: Gute Entwicklungszusammenarbeit beugt Konflikten vor und hilft, Frieden zu sichern.
Kürzungen sind in der deutschen Geschichte beispiellos
Die Pläne der Bundesregierung sind noch nicht offiziell bekannt, klar ist aber, dass es weitere gravierende Kürzungen bei der Entwicklungszusammenarbeit geben soll. Deutschland würde sich im Schneckenhaus weiter einkapseln. Das zu verhindern, ist nun die Aufgabe des Bundestages. Die Kürzungen in diesem und im nächsten Jahr sind – unabhängig von ihrer exakten Höhe – in der Geschichte der Bundesrepublik beispiellos. Dabei ist die Schmerzgrenze für den Etat des Entwicklungsministeriums bereits heute überschritten.
Der Finanzminister begründet diese Kürzungen damit, dass es der Respekt gegenüber den Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern gebiete, Staatsaufgaben und Staatsausgaben immer wieder auf den Prüfstand zu stellen. Was ist notwendig, was ist effektiv? Das stimmt. Schauen wir uns ein paar Beispiele an.
Am Horn von Afrika führen auch nach dem Ende des Tigray-Kriegs gewalttätige Konflikte zu humanitären Katastrophen. Um dem entgegenzuwirken, unterstützen unsere Partner dort hauptsächlich Binnenvertriebene und Geflüchtete – aber auch die Gemeinden, in denen die Menschen nun leben. Um das erlebte Grauen zu überwinden, erhalten Zehntausende Unterstützung von der Mekane-Yesus-Kirche, einem Partner von Brot für die Welt. So kommen die Menschen wieder in die Lage, sich selbst um die Ernährung ihrer Familien und die Schulbildung der Kinder zu kümmern.
In Bangladesch dringt wegen des ansteigenden Meeresspiegels immer mehr Salzwasser ins Landesinnere. Wir unterstützen unsere Partner bei der Entwicklung von salzresistentem Saatgut, bei der Finanzierung von Wasser-Entsalzungsanlagen und beim Katastrophenschutz.
In Guatemala erzeugt eine indigene Gemeinschaft mit unserer Unterstützung Strom aus Wasserkraft mit kleinen Generatoren in Flüssen. Dörfer konnten sich entwickeln, kleine Betriebe haben erstmals Strom und Kinder können auch nach Einbruch der Dunkelheit lesen und lernen.
Warum Deutschland eine starke Entwicklungszusammenarbeit braucht
Natürlich halten wir es als christliches Entwicklungswerk für ethisch geboten, Menschen zu helfen, wenn wir dazu in der Lage sind. Doch völlig unabhängig davon ist es auch ökonomisch sinnvoll. Studien der Weltbank zeigen: Jeder Euro, der heute in strukturbildende Entwicklung geht, spart am Ende vier Euro an humanitärer Hilfe.
Die aktuellen Kürzungen werden auch damit begründet, dass der Krieg in der Ukraine die Lage grundsätzlich verändert habe. Deutschland müsse nun erst einmal in die eigene Sicherheit investieren. Ich finde aber: Entwicklungspolitik und Sicherheit dürfen nicht gegeneinander ausgespielt werden. Sie sind vielmehr eng miteinander verbunden. Entwicklungspolitik leistet einen wichtigen Beitrag dazu, die Welt sicherer zu machen. Wir sind in Deutschland nur sicher, wenn die Welt insgesamt sicher ist. Mit unseren Partnerorganisationen erleben wir jeden Tag, wie und wo unsere Projekte dazu beitragen. Übrigens auch in der Ukraine, wo wir mit Partnern Kriegstraumata behandeln und den sozialen, den kommunalen Wiederaufbau schon jetzt voranbringen.
Deutschland steht an einem Scheideweg. Zurück zur Kooperation oder weiter ins nationale Schneckenhaus? Der Bundesregierung sollte klar sein, dass sich Kürzungen im Bereich internationaler Zusammenarbeit langfristig rächen würden. Ein Zurückfahren der Entwicklungszusammenarbeit wäre politisch unklug und ganz sicher nicht im Interesse Deutschlands. Die Regierung muss sich auch bewusst sein, dass dieser Rückzug eine Absage an die Werte ist, die sie sich selbst gesetzt hat. Bundeskanzler Olaf Scholz hat es am vergangenen Freitag in der Bundespressekonferenz auf den Punkt gebracht: ‚Wir dürfen uns nicht mit uns selbst beschäftigen.‘
Die Rede war Teil der Jahresbilanz-Pressekonferenz am 11. Juli. In deren Zentrum stand der Jahresbericht 2023.