Die Zunahme der Erderwärmung wirkt sich immer heftiger auf die weltweite Ernährungssicherheit und die Wasserversorgung aus. Gleichzeitig ist die Landwirtschaft mit über 30 % des weltweiten CO² - Ausstoßes eine der größten Verursacherinnen des Klimawandels und des Verlustes an biologischer Vielfalt. 70% der weltweiten Süßwasserreserven werden in der Landwirtschaft verbraucht. Anders ausgedrückt: wenn wir den Klimawandel und ein großflächiges Absterben von Ökosystemen bremsen und die weltweite Wasserversorgung sichern wollen, kommen wir an grundlegenden Veränderungen unserer landwirtschaftlichen Produktionssysteme nicht vorbei.
Dessen sind sich alle wichtigen Akteur*innen bewusst, und deswegen wird die „Food Systems Transformation“, also der Umbau unserer Ernährungssysteme überall groß auf die Fahnen geschrieben. Doch was heißt das eigentlich?
Ernährungssysteme umfassen die ganze Ernährungskette von der landwirtschaftlichen Produktion über die Veredelung landwirtschaftlicher Produkte, die Verpackung und den Transport von Lebensmitteln bis zu Konsum und Umgang mit Lebensmittelabfällen. Ihre Ausgestaltung bestimmt die Vielfalt und Qualität von Nahrungsmitteln und die Möglichkeit, sich über das ganze Jahr hinweg gesundes Essen in ausreichender Menge leisten zu können. Es geht also nicht nur um die Produktion von Nahrungsmitteln sondern um ein holistisches und damit komplexes Konzept zur Ernährungssicherung.
Komplexität der Ernährungssysteme wird nicht berücksichtigt
Konkretes politisches Handeln spiegelt diese Komplexität jedoch nicht wider. Die Weltklimakonferenz im Dezember dieses Jahres in Dubai wird von einer Initiative zur Ernährungssicherung dominiert, die ihre Transformation auf rein technische Neuerungen zur Erhöhung der Nahrungsmittelproduktion reduziert, die „Agriculture Innovation Mission for Climate (AIM 4 C)“. AIM 4 C wurde auf der Weltklimakonferenz 2021 in Glasgow auf Initiative der Vereinigten Staaten und der Vereinigten Arabischen Emirate mit dem Ziel gegründet, staatliche Akteur*innen, Privatwirtschaft und Forschungsinstitute zusammenzubringen. Nahrungsmittelkrisen sollen durch gentechnisch verändertes Saatgut und Digitalisierung vermieden werden, künstliche Intelligenz soll den Wasser-, Dünger und Pestizidverbrauch optimieren. Fleischersatzprodukte und Retortenfleisch sollen tierische Eiweiße ersetzen. Dies alles soll gendersensibel, inklusiv und menschrechtskonform gestaltet werden. Die Initiative verfügt bereits über ein Finanzvolumen von über 13 Milliarden US Dollar, 10 Milliarden aus staatlichen Mitteln und 3 Milliarden aus anderen Quellen. In ihr sind über 50 Staaten und über 450 nichtstaatliche Akteur*innen vertreten. Auch die Bundesregierung ist dieser Initiative kürzlich beigetreten.
Klein- und Familienbetriebe werden ausgeschlossen
Betriebe, die diese Mittel nutzen wollen, brauchen jedoch einen dauerhaft gesicherten Zugang zu Land, zu Wasser und zu digitalen Informationen. Kapital, Maschinen und Arbeitskräfte müssen das ganze Jahr über verfügbar sein. Das alles trifft auf Klein- und Familienbetriebe, Kleinfischer*innen und Pastoralist*innen, die im Globalen Süden das Rückgrat der Ernährungssicherung bilden, nicht zu. Stattdessen profitieren kapitalstarke, international vernetzte Technologieunternehmen, die vornehmlich auf die industrielle Landwirtschaft setzen. Die im System bestehende Ungleichheit wird weiter vertieft. Ausgeblendet wird zudem, dass Produktionssteigerungen allein die komplexen Ursachen des Hungers in der Welt nicht adressieren. Die gegenwärtige Ernährungskrise wird vor allem durch den Zusammenbruch der internationalen Lieferketten und damit verbundenen massiven Preissteigerungen für Nahrungsmittel ausgelöst. Diese führen dazu, dass sich selbst ökonomisch bessergestellte Familien im Globalen Süden nicht mehr ausreichend gesundes Essen leisten können.
Nachhaltige Lösungen liegen auf dem Tisch
Dabei gibt es bewährte Konzepte für Ernährungssysteme, die die Menschheit weltweit klimafreundlich ernähren können, wie beispielsweise das Konzept der Agrarökologie. Dieses basiert auf dem Menschenrecht auf Nahrung und stellt die Ernährungssouveränität in den Mittelpunkt. Agrarökologische Produktion schützt das Klima und die Biodiversität, liefert eine Vielzahl von Produkten und trägt zur langfristigen Bodenverbesserung bei. Agrarökologie kann weitgehend auf externe Inputs verzichten, hat kurze Vermarktungswege und hilft somit, die Abhängigkeit von internationalen Lieferketten zu reduzieren. Mit dem Welternährungskomitee, welches an die Ernährungsorganisation der Vereinten Nationen angedockt ist und das Menschenrecht auf Nahrung und die Ernährungssouveränität in den Mittelpunkt stellt, haben wir zudem bereits eine international mandatierte Institution zur Bearbeitung von Welternährungskrisen, die keine Parallelstruktur braucht.
Systemtransformation statt Nebelkerzen
Initiativen wie AIM 4 C suggerieren mit scheinbar einfachen Lösungen, dass wir unsere Produktions- und Lebensweise nicht verändern müssen. Sie sind deswegen politisch leicht durchsetzbar. Jedoch tragen sie nicht dazu bei, den CO²- Fußabdruck der Landwirtschaft maßgeblich zu reduzieren. Sie unterminieren nachhaltige landwirtschaftliche Ansätze wie die Agrarökologie, weil sie von dort finanzielle Mittel und Forschungskapazitäten abziehen. Schlagwörter wie Gender, Diversität und Inklusion werden zu bloßen Worthülsen degradiert. AIM 4 C wird von den gleichen Akteur*innen getragen und folgt den gleichen Prinzipien wie die industrielle Landwirtschaft, die uns in die gegenwärtige Ernährungskrise geführt hat. Ein blindes Vertrauen in rein technische Lösungen wird unsere Abhängigkeit von der industriellen Landwirtschaft auf lange Sicht zementieren.
Wir stehen am Scheideweg. Wir brauchen jetzt eine echte Systemtransformation und keine weiteren Nebelkerzen. Natur, Menschen, Leben und Lebensgrundlagen müssen wieder in den Fokus aller klimapolitischen Anstrengungen gestellt werden.