Der Verzehr von aquatischen Lebensmitteln erreichte 2020 mit 20,5 Kilogramm pro Kopf und Jahr (insg. 156 Millionen Tonnen) im Vergleich zu 9,9 Kilogramm in den 1960er - Jahren einen Rekordwert (SOFIA-Bericht der FAO; 2022).Aber während uns im Globalen Norden auch andere Proteinquellen für eine gesunde Ernährung zur Verfügung stehen, sind Fischereiprodukte in anderen Regionen der Welt zur Deckung des Eiweißbedarfs unabdingbar.
Bis 2030 haben sich die Vereinten Nationen vorgenommen, jegliche Formen von Mangelernährung zu überwinden. Mit dem Nachhaltigkeitsziel 2: Ernährung sichern will man den Wachstumshemmungen und Auszehrung bei Kindern unter fünf Jahren bis 2025 beenden und eine ausreichende Ernährung insbesondere von heranwachsenden Mädchen, schwangeren und stillenden Frauen sowie älteren Menschen sichern. Dass Fisch dabei eine Schlüsselrolle im Globalen Süden spielt, hat die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen, FAO, in mehreren Studien detailliert begründet. Auch Verbände der handwerklichen Fischerei im Globalen Süden werden nicht müde, darauf hinzuweisen, wie wichtig das Nahrungsmittel Fisch für ihre Gemeinschaften ist. Dennoch konzentrieren sich Teile der Fachdiskussion – auch im Hinblick auf Entwicklungsstrategien bei uns – allzu oft auf die nachhaltige Bewirtschaftung der Ressource Fisch und drängen auf mehr Meeresschutz. Genug Fisch zur Verfügung zu haben, ist aber wichtig für Beseitigung von Hunger und Mangelernährung. Daher gilt es, für die nachhaltige Nutzung der Meere sowohl Umwelt- als auch Entwicklungsziele in Einklang zu bringen.
Warum die kleine Sardinelle ein wichtiges Nahrungsmittel ist
Wer regelmäßig Fisch isst, kann sein Risiko für einen tödlichen Herzinfarkt, einen Schlaganfall und Fettstoffwechselstörungen reduzieren. Das ist vor allem bei fettreichem Fisch der Fall. Neben tierischem Eiweiß trägt Fisch erheblich zur Gesamtproteinaufnahme des Menschen bei, da die Verdaulichkeit von Fischprotein (die sogenannte Bioverfügbarkeit) fünf bis fünfzehn Prozent höher ist als die von pflanzlichen Quellen. Zudem ist die Lipidzusammensetzung von Fisch einzigartig, denn er enthält langkettige, mehrfach ungesättigte Fettsäuren mit vielen potenziell positiven Auswirkungen auf die Gesundheit.
Vor zehn Jahren hat eine Expertenkommission der FAO einen Bericht über nachhaltige Fischerei und Aquakultur für Ernährungssicherheit vorgelegt, der Maßstäbe gesetzt hat. Laut dieser Studie macht Fisch – aus dem Meer, aus Flüssen und Seen und zunehmend aus Fischzucht – etwa 17 Prozent des gesamten tierischen Proteinverbrauchs der Weltbevölkerung und um die 6,5 Prozent des gesamten Eiweißkonsums der Weltbevölkerung. Anders gerechnet, geht man inzwischen davon aus, dass mehr als 3,3 Milliarden Menschen mindestens ein Fünftel ihres Bedarfes an tierischem Eiweiß mithilfe von Fischereiprodukten decken, in einigen Regionen sogar bis zu 50 Prozent. Viele Küstengemeinschaften, in südlichen Regionen, in Entwicklungsländern und den kleinen Inselentwicklungsländern (SIDS), leben vom Fischfang und sind auf diese gesunde Proteinquelle angewiesen. Auch in westafrikanischen Küstenländern, wo Fischfang traditionell eine wichtige Rolle spielt, ist die Proteinaufnahme durch Fisch überdurchschnittlich hoch. Besonders die Sardinelle erfreut sich großer Beliebtheit. Sie ist erschwinglich, wird von handwerklich arbeitenden Fischern gefangen und von Frauen im lokalen Fischereisektor verarbeitet und vermarktet. Der kleine silberne Schwarmfisch ist reich an Omega-3-Fettsäuren, Proteinen und anderen Nährstoffen und wird im Ganzen verzehrt (mit Gräten, Kopf und Eingeweiden), was die Aufnahme der wichtigen Nährstoffe im Körper noch verstärkt. Getrocknet oder geräuchert sind Sardinellen von der Küste bis weit ins Binnenland eine wichtige Proteinquelle.
Welchen Beitrag die Kleinfischerei für Ernährungssicherheit leistet
Die FAO schätzt, dass fast eine halbe Milliarde Menschen von Einkommen aus dem Fischereisektor abhängen, das hauptsächlich im handwerklichen Bereich erzielt wird. Frauen spielen dabei eine entscheidende Rolle, da sie die Hälfte der Beschäftigten im gesamten Sektor ausmachen und oft für die Fischverarbeitung, Zubereitung und den Handel verantwortlich sind.
Im Vergleich zur industriellen Fischerei leistet die handwerkliche Fischerei in der Regel einen größeren direkten und indirekten Beitrag zur lokalen Ernährungssicherheit: Sie macht erschwinglichen Fisch für die lokale Bevölkerung verfügbar und ist ein wichtiges Mittel zur Sicherung des Lebensunterhalts vieler Familien.
FAO-Leitlinien für die Rechte des handwerklichen Fischereisektors
Vor zehn Jahren hat die FAO mit den sogenannten Freiwilligen Leitlinien zur Sicherung einer nachhaltigen Kleinfischerei (SSF-Leitlinien) das erste internationale Instrument entwickelt, welches sich ausschließlich dem Sektor der handwerklichen Fischerei widmet. Die Richtlinien betonen die Bedeutung von Partizipation und des Schutzes von Kleinfischereigemeinschaften, die Förderung nachhaltiger Fischereipraktiken, die Sicherung von Land- und Zugangsrechten, die Verbesserung der sozialen Absicherung und des Wohlergehens der Fischereigemeinschaften sowie die Förderung von Geschlechtergleichstellung und der Rechte von indigenen Völkern.
„Es geht um Menschen, nicht nur um Fische“ – Zur Unterstützung der Umsetzung der SSF-Leitlinien legte die FAO zum Internationalen Jahr der handwerklichen Fischerei und Aquakultur 2022 mit der empirischen Studie Illuminating Hidden Harvest nach. Auch diese belegt die entscheidende Rolle der Kleinfischerei in den Bereichen Nahrungsmittelsicherheit und Ernährung. Durch die kluge Nutzung dieses Wissens im Rahmen eines menschenrechtsbasierten Ansatzes und im Einklang mit den SSF-Leitlinien sollte endlich ein integrativerer, gerechterer, nachhaltigerer und widerstandsfähigerer Sektor der Kleinfischerei erreicht werden. Die Verwirklichung dieses Ziels würde Hunderttausenden von Fischereigemeinden und der Gesellschaft insgesamt zugutekommen.
Cornelia Wilß (Passage-Agentur für WeltThemen) hat das Verfassen dieses Blogs mit Recherchen und Textbeiträgen unterstützt.