Ein Jahr nach meinem letzten Besuch auf Kos stehe ich wieder vor dem Closed Controlled Access Center (CCAC) – dem 34 Millionen Euro teuren Asylaufnahme- und Abschiebezentrum auf der griechischen Touristeninsel, welches einen düsteren Einblick in Gegenwart und Zukunft der EU-Flüchtlingspolitik gibt. Das CCAC soll laut EU und Griechenland Asylverfahren an den Außengrenzen schneller und effektiver machen. Doch die Guantanamo-ähnliche Architektur lässt erahnen, welche Absichten noch mit der Installierung der Anlage verbunden sein könnten: Abschreckung, Abschottung, Kontrolle. Essentieller Bestandteil dieser Strategie: die Internierung von Menschen in verschiedenen Phasen ihres Asylverfahrens.
Von Bulgarien bis Polen: Inhaftierung als neue Normalität
Diese Strategie wird nicht nur auf Kos und in Griechenland verfolgt. Mittlerweile praktizieren sie alle EU-Außengrenzstaaten. Darüber berichten die rund 90 Teilnehmenden - überwiegend Anwältinnen - einer Konferenz, zu der unser Partner Equal Rights Beyond Borders vom 7. bis 9. Juni auf Kos einlud. Ob Bulgarien, Italien, Kroatien, Litauen, Malta oder Polen – überall werden ankommende Schutzsuchende, die sich keines Verbrechens schuldig gemacht haben, über Tage, Wochen, ja oft Monate einfach weggesperrt. Bei der Nennung von Gründen für die Inhaftierung sind die Mitgliedsstaaten einfallsreich: Quarantänemaßnahmen, um die Verbreitung von Krankheiten zu verhindern; Inhaftierung wegen irregulären Grenzübertritts; notwendiges Festhalten aufgrund fehlender Personaldokumente; Internierung zum „Schutz“ der Betroffenen. Doch wie kreativ diese Begründungen auch immer sein mögen – viele EU-Mitgliedsstaaten haben mit diesen Praxen die rechtliche Grundlage für die Inhaftierung von Menschen weit überdehnt. Das Prinzip, dass Haft immer nur als letztes Mittel angewendet werden darf – es gilt an den Außengrenzen schon lange nicht mehr.
Alleingelassen
Die Folgen für die Menschen sind fatal. Konferenzteilnehmende erklären übereinstimmend, dass es immer schwieriger wird, Kontakt zu Menschen in den Grenzlagern aufzubauen. „EU-Staaten wie Malta schränken den Zugang für Externe stark ein“, schildert Neil, ein Anwalt aus Malta. „Zugleich ist es für die Inhaftierten fast nicht möglich, nach außen zu kommunizieren und unsere Unterstützung anzufordern. Rechtliche Vertretung ist so nur in Ausnahmefällen möglich.“ Dazu trägt auch die EU-weit verbreitete Praxis von Grenzpolizei und Asylbehörden bei, die Handys der Ankommenden zu beschlagnahmen, oder die Handykameras zu zerstören (mehr zu diesem Thema findet sich bei unserem Online-Tool Mit dem Smartphone auf der Flucht).
Ein weiteres gravierendes Problem ist die unzureichende medizinische Versorgung in den Außengrenzlagern. In Kos etwa gibt es seit 2021 keinen Arzt mehr. Nicht besser sieht es bei der psychologischen Betreuung der Menschen aus. Gerade diese wäre bitter nötig. Viele Ankommende haben Schreckliches durchgemacht, sind vor Krieg und Verfolgung geflohen und haben lebensgefährliche Fluchtwege hinter sich. „Um diese Erfahrungen zu verarbeiten, bräuchten sie dringend eine geschützte, sichere und menschenfreundliche Umgebung,“ erklärt Natalia von Amna, einer Trauma-Initiative für Geflüchtete. „Genau das Gegenteil davon erwartet sie in den Lagern an den Außengrenzen. Das führt zu schweren Retraumatisierungen.“
Neuer EU-Asylpakt: wie illegale Praktiken legal werden
Als wäre das noch nicht genug an kaum erträglichen Informationen. Mitten in die Konferenz platzt dann noch die Bombe: Die EU-Mitgliedsstaaten haben sich auf einen neuen EU-Asylpakt geeinigt. Anstatt sich dem permanenten Rechtsbruch an den EU-Außengrenzen entgegenzustellen, schlagen die Regierungen einen anderen Weg ein: bisher illegale Praktiken sollen teilweise legalisiert werden. Dazu zählt Haft. Die Pläne von EU-Kommission und Rat sehen vor, Menschen in mehreren Phasen ihres Asylverfahrens zu internieren: während des Screenings (der Erstaufnahmeprozedur), den verpflichtenden Grenzverfahren (in der geprüft wird, ob ein Asylantrag überhaupt zulässig ist), sowie in drohenden Abschiebeverfahren. Bis zu 25 Wochen können Menschen damit am Stück festgehalten werden – in Krisensituationen über 40 Wochen. Deutschland hat letztendlich sogar auf seine Forderung verzichtet, Kinder bis 18 Jahren von dieser Praxis auszunehmen. Ein klarer Bruch der Kinderrechtskonvention.
Brot für die Welt: An den Außengrenzen für ein humanes Europa kämpfen
Wer noch daran glaubt, dass die EU ein Garant für Humanität, eine Verteidigerin der Universalität der Menschenrechte sei, sollte an die EU-Außengrenzen reisen. Dort werden diese Versprechen derzeit zu Grabe getragen. Um diese fatale Entwicklung zu stoppen, müssen wir mit dem – manchmal hilflosen, manchmal desinteressierten – Schulterzucken brechen, mit der ein Großteil der europäischen Bevölkerung eben dies hinnimmt. Deswegen ist die Arbeit von Equal Rights Beyond Borders und der anderen an der Konferenz beteiligten Organisationen so wichtig. Sie leisten nicht nur individuelle Unterstützung, sondern zielen mit ihrer Arbeit auch darauf ab, generelle Verbesserungen zu erzwingen. Brot für die Welt wird sie dabei auch in Zukunft mit allen Kräften unterstützen. Denn an den Außengrenzen Europas entscheidet sich nicht nur das Schicksal der Menschen, die bei uns Schutz suchen. Dort entscheidet sich die Zukunft Europas.