Am 24. April 2024 hat das EU-Parlament über das EU-Lieferkettengesetz abgestimmt – und dieses gebilligt. Tagesgenau elf Jahre, nachdem in Bangladesch die Textilfabrik Rana Plaza einstürzte und mehr als eintausend Menschen ums Leben kamen. Verschiedene europäische Modemarken wie Mango oder KiK ließen dort Kleidung produzieren. Dass die Textilfabrik mehrere Monate vor dem Einsturz noch einen Sozialaudit durchlief, in dem Gebäudesicherheitsrisiken unentdeckt blieben, verdeutlicht: freiwillige CSR-Maßnahmen reichen nicht aus, um unternehmensbezogenen Menschenrechtsverletzungen effektiv entgegenzuwirken.
Boykott-Versuch der FDP gescheitert: EU-Lieferkettengesetz ist durch das EU-Parlament
Im November 2023 hatten sich die gesetzgebenden Organe der EU nach drei Jahren Verhandlung auf einen Kompromiss zum EU-Lieferkettengesetz geeinigt. Eigentlich ist die Annahme eines sogenannten „Trilog-Kompromisses“ durch EU-Rat und EU-Parlament reine Formsache. Die FDP beschloss jedoch im Januar 2024, das EU-Lieferkettengesetz als politischen Spielball zu nutzen. Durch ein fehlendes Machtwort des Bundeskanzlers schaffte sie es, die Bundesregierung im Ausschuss der Ständigen Vertreter der Mitgliedsstaaten zu blockieren und machte durch die Bundesminister Buschmann und Lindner bei anderen EU-Mitgliedsstaaten Stimmung gegen das wichtige Umwelt- und Menschenrechtsvorhaben.
Die Enthaltung der Bundesregierung konnte das Gesetz jedoch nicht aufhalten: Nach Nachverhandlungen erhielt es am 15. März 2024 eine qualifizierte Mehrheit im Ausschuss der Ständigen Vertreter des Rats und wurde mittlerweile auch schon vom Rechtsausschuss des Europäischen Parlaments angenommen. Nun ist ein weiterer Meilenstein genommen – das Gesetz ist am 24. April 2024 durch das EU-Parlament und muss jetzt noch formal vom EU-Rat final verabschiedet werden.
Massive Drosselung: Nur noch ein Bruchteil der Unternehmen sind vom Gesetz erfasst
Im Zuge der Nachverhandlungen durch die belgische Ratspräsidentschaft wurden über den Kopf des EU-Parlaments hinweg und entgegen etablierten demokratischen Verfahren schmerzhafte Einschnitte beschlossen, um das Vorhaben noch zu retten. Am einschneidendsten ist dabei die Beschränkung des Gesetzes auf sehr große Unternehmen: Während mit dem ursprünglichen Kompromiss geschätzte 16.800 Unternehmen erfasst worden wären, sind es nun nur noch geschätzte 5.300. Der Anwendungsbereich wird sogar noch weiter eingeschränkt als im Falle des deutschen Lieferkettengesetzes. Hier gilt es, das deutsche Lieferkettengesetz im Zuge der Umsetzung der Richtlinie in deutsches Recht nicht zu schwächen.
Denn die Tragödie von Rana Plaza hat gerade gezeigt, dass sektorweite, systemische Ansätze am effektivsten Menschenrechtsverletzungen vorbeugen können. Als Reaktion auf die Katastrophe wurde das rechtlich verbindliche Abkommen über Brandschutz und Gebäudesicherheit in Bangladesch verabschiedet. Zahlreiche europäische Unternehmen sind Mitzeichner des sogenannten „Accords“. Die Sicherheit in Fabriken in Bangladesch hat sich hierdurch nachweislich erhöht.
Kern des Gesetzes ist ein Meilenstein für den Schutz der Menschenrechte in der Weltwirtschaft
Der Kern des Gesetzes bleibt im jetzigen Kompromiss jedoch erhalten und erhöht den Schutz im Vergleich zum deutschen Lieferkettengesetz: Die Ausgestaltung der Sorgfaltspflichten orientieren sich eng an den anspruchsvollen Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte der Vereinten Nationen, die Umweltpflichten sind weitreichender als im deutschen Gesetz, es gibt zumindest einige Verpflichtungen zum Klimaschutz. Vor allem aber sieht die Richtlinie eine zivilrechtliche Haftung für Schäden an Menschen, die ein Unternehmen verursacht oder zu denen es beigetragen hat, vor, sowie einige Maßnahmen, um den Zugang zu Gericht für Betroffene zu verbessern. Im Falle von Rana Plaza haben beteiligte Unternehmen bis heute keine rechtliche (jedoch freiwillige, wie zum Teil oben beschrieben) Verantwortung für den Einsturz übernommen – sie verwiesen beispielsweise auf Zertifikate zu Sicherheits- und Arbeitsstandards. Mit dem EU-Lieferkettengesetz wäre das nicht mehr so einfach möglich: Das Gesetz hält fest, dass das Vorhandensein von Zertifikaten Unternehmen nicht per se von ihrer rechtlichen Verantwortung befreit. Weiterhin soll die EU-Kommission eine Guidance für einen effektiven Umgang mit Zertifikaten erstellen – damit ineffektive Audits der Vergangenheit angehören.
Eine effektive Umsetzung muss global vernetzt erkämpft werden
Ein Gesetz zur Regulierung der Unternehmensverantwortung ist gut – schafft allein jedoch noch keine Veränderung in den Produktionsländern. Es braucht weiterhin lokale und international vernetzte zivilgesellschaftliche Kämpfe, wie es sie aktuell auch im Textilsektor in Bangladesch gibt: Löhne der Textilarbeiterinnen, die weit davon entfernt sind, ein würdiges Leben zu ermöglichen, und ein Staat, der gewerkschaftlichen Protest mit massiver Gewalt unterdrückt, führten 2023 zu blutigen Arbeitskämpfen. Vier Menschen verloren dabei ihr Leben. Bangladeschische Gewerkschaften haben deutsche Unternehmen aufgefordert, sich dafür einzusetzen, dass der Mindestlohn in Bangladesch auf ein existenzsicherndes Niveau gehoben wird, dass ihre Einkaufspreise faire Löhne in Bangladesch ermöglichen und dass sie die Gewalt gegen Menschenrechtsverteidiger:innen und die Unterdrückung von Gewerkschaften öffentlich verurteilen. Hierfür haben die bangladeschischen Gewerkschaften mit zivilgesellschaftlichen Organisationen des deutschen Textilbündnisses zusammengearbeitet.
Dass die Forderungen von Betroffenen und zivilgesellschaftlichen Organisationen aus den Produktionsländern maßgeblich die Umsetzung von Lieferkettengesetzen bestimmen, ist zentral, damit diese Gesetze ihr Ziel erreichen – diese Gesetzesauslegung ist jedoch kein Selbstläufer, sondern muss immer wieder und in verschiedenen Foren erstritten werden. In diesem Sinne gilt: Nach dem Ringen um rechtlich verbindliche unternehmerische Sorgfaltspflichten, ist vor der Auseinandersetzung um deren wirksame Umsetzung!