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»Europe First« – auch in der Rohstoffpolitik

Heute hat die EU-KOM einen Gesetzesvorschlag vorgelegt, der europäischen Unternehmen den Zugriff auf Rohstoffe aus dem Ausland sicherstellen soll. Für den ökologischen Strukturwandel scheint dieser Schritt unausweichlich. Doch was für Europa der Startschuss für eine Investitionsoffensive in grüne Technologien ist, birgt für den Globalen Süden die Gefahr der Verfestigung neokolonialer Strukturen.

Von Teresa Hoffmann am
Probebohrung Lithium

Probebohrung für Lithiumextraktion im Salar Pastos Grandes, Bolivien

Kommentar von Teresa Hoffmann & Sven Hilbig

Die Corona-Pandemie und der russische Angriffskrieg auf die Ukraine haben deutlich gemacht, wie sehr Europa auf den Import von Rohstoffen aus wenigen Ländern angewiesen ist. Insbesondere die starke Abhängigkeit von kritischen Rohstoffen aus China sind vielen Politiker*innen ein Dorn im Auge. Als kritisch werden jene Rohstoffe bezeichnet, die für die Wirtschaft und Verteidigung essentiell sind und bei denen Versorgungsengpässe drohen.

Getrieben von der Angst, den Anschluss beim Rennen um klimaneutrale Technologien zu verlieren und bei Schlüsselindustrien wie der Batterien-Produktion für E-Autos weiterhin einseitig von China abhängig zu sein, veröffentlichte die EU-Kommission im Januar 2023 den European Green Deal Industrial Plan. Er sieht unter anderem vor, Staatshilfen für Investitionen in grüne Technologien zu erleichtern. Unter dem Motto „Open trade for resilient supply chains“ soll mittels Handelsabkommen der Bezug knapper Rohstoffe ausgebaut werden.

Der Green Deal Industrial Plan ist Europas Antwort auf den Inflation Reduction Act (IRA) der USA. Mit dem IRA will Washington den Einsatz klimafreundlicher Technologien fördern, indem entsprechende Produkte, die in den USA hergestellt werden, bis 2033 mit etwa 340 Milliarden Euro subventioniert werden. Der heute veröffentlichte Critical Raw Materials Act (CRMA) ist Teil dieses europäischen Plans und soll den rechtlichen Rahmen bieten, um Unternehmen in der EU ausreichend Zugang zu den für die Transformation benötigten Rohstoffe zu gewährleisten.

Verstetigung neokolonialer Strukturen

Was auf den ersten Blick nach einem progressiven ökologischen Vorhaben klingt, ist bei näherer Betrachtung ein ökonomisches Projekt. Mit einem klaren Ziel: Europas Wohlstand abzusichern. Die zugedachte Rolle der Länder im Globalen Süden bei der ökologischen Transformation in Europa ist klar und eindeutig: Sie werden weiterhin auf die Rolle des Rohstofflieferanten reduziert.

Auch die Bundesregierung folgt dieser Linie. Das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) legte Anfang des Jahres „Eckpunkte für eine nachhaltige und resiliente Rohstoffversorgung“ vor. Gleich der europäischen Agenda soll die Rohstoffversorgung für Unternehmen gesichert und ein nachhaltiges Wirtschaften in Deutschland gewährleistet werden.

Beide Pläne machen deutlich: Berlin und Brüssel denken Nachhaltigkeit nicht über den europäischen Tellerrand hinaus. Zwar setzt sich die Bundesregierung zum Ziel, Lieferketten nachhaltig zu gestalten und eine Kreislaufwirtschaft zu unterstützen. Ziele wie den (absoluten) Rohstoffverbrauch zu senken, werden hingegen klar abgelehnt – und das, obwohl dies im Koalitionsvertrag festgeschrieben ist. Im Gegenteil: Um sich von China unabhängiger zu machen, sollen sogar noch mehr Rohstoffe aus Ländern des Globalen Südens importiert werden als in der Vergangenheit.

Bei mehreren Gelegenheiten hat Brot für die Welt selbst beobachtet, zu welchen problematischen Konsequenzen diese politische Linie führen kann.

Partner für eine „nachhaltige Zukunft“ im Globalen Norden

So reisten hochrangige Politiker*innen aus dem BMWK und dem Auswärtigen Amt in den vergangenen Monaten unter anderem nach Argentinien, Brasilien und Chile. Sogar Bundeskanzler Olaf Scholz war mit einer Wirtschaftsdelegation auf Staatsbesuch in Südamerika. Im industriepolitischen Fokus der Gespräche: Investitionen und Kooperationen in sogenannten „nachhaltigen“ Bergbau und grünen Wasserstoff. So betonte die deutsche Parlamentarische Staatssekretärin Franziska Brantner in einem Interview im Rahmen der Eröffnung der Bergbaumesse Exponor, 2022 in Chile, das Ziel eine grüne Bergbauindustrie mit hohen Umweltstandards in Chile voranzutreiben. Dabei wird jedoch außer Acht gelassen, dass sich zahlreiche vom Rohstoffabbau betroffene Gemeinden aufgrund der hohen Umweltauswirkungen grundsätzlich gegen den Bergbau aussprechen, da er ihre Lebensgrundlagen zerstört. 

Aber nicht nur der Bergbau, auch die Gewinnung von Lithium aus Salzseen geht mit sozialen und ökologischen Verwerfungen einher. BMW etwa bezieht Lithium von dem US-amerikanischen Unternehmen Livent.

Der Rohstoff wird als kritischer Rohstoff eingestuft und vor allem für die Produktion von Lithium-Ionen-Batterien für E-Autos benötigt. Die EU erwartet im Jahr 2050 einen 57-mal so großen Bedarf wie bisher. Der US-Konzern wird beschuldigt, aufgrund seiner wasserintensiven Aktivitäten im argentinischen Salar de Hombre Muerto einen Fluss fast trocken gelegt zu haben. Trotzdem soll der Lithiumabbau weitergehen, die Abbaumengen sogar verdreifacht werden. Während deutsche Politiker*innen „nachhaltigen“ Bergbau mit höchsten europäischen Standards und lokaler Wertschöpfung versprechen, fürchten lokale Gemeinden um ihre Wasserressourcen. Eine nachhaltige Zukunft für alle sieht anders aus.

Alter Wein in neuen, grünen Schläuchen

Der freie Zugang zu Rohstoffen aus Entwicklungs- und Schwellenländern bestimmt seit langem die deutsche und europäische Außenwirtschaftspolitik. Das einzig wirklich Neue an dem heute veröffentlichen CRMA und dem Vorgehen der Bundesregierung ist lediglich ihr ökologisches Narrativ. Wurde der ungehinderte Rohstoffzugang in der Vergangenheit damit gerechtfertigt, die Industriestandorte in Europa zu erhalten (einschließlich ‚schmutziger‘ fossiler Industrien), sollen die Importe etwa von Lithium jetzt der Bewältigung der Klimakrise dienen, indem sie den notwendigen Strukturwandel hin zu Klimaneutralität ermöglichen.

Zwar grenzt sich die Ampel-Koalition insofern von früheren Bundesregierungen ab, als sie betont, rohstoffreiche Länder beim Aufbau lokaler Wertschöpfung zukünftig unterstützen zu wollen. Dieser Paradigmenwechsel scheint jedoch bis dato rhetorischer Natur zu sein. Denn die diesbezüglichen Aussagen sind sehr vage und es fehlen konkrete Umsetzungsinstrumente. Im CRMA steht nun sogar ein gegenteiliges Ziel:  So soll die Verarbeitungskapazität der EU von strategischen Rohstoffen, einschließlich aller Zwischenverarbeitungsstufen, auf mindestens 40 % des Jahresverbrauchs der Union ansteigen. Angesprochen auf die Frage, ob die neuen Offensiven in der Rohstoffpolitik dazu dienen sollen, die Wertschöpfung im Globalen Süden zu stärken, betonten Vertreter des BMWK bei einem Treffen mit zivilgesellschaftlichen Organisationen Ende Januar 2023, die Bundesregierung hätte den Bundesbürgern ein Versprechen abgegeben, hierzulande Ökonomie und Ökologie in Einklang zu bringen. Sie stünden in der Pflicht, in Deutschland Arbeitsplätze im Bereich der Erneuerbaren Energie zu schaffen sowie Energie- und Verkehrswende voranzubringen. Voraussetzungen zur Umsetzung dieser ökologischen und sozialen Herausforderung sei der freie Zugang zu Rohstoffen aus dem Ausland. Mit anderen Worten: Europe First.

Für die Länder im Globalen Süden bleibt somit alles beim Alten. Wie in der Kolonialzeit verkaufen sie Europa günstige Rohstoffe und dienen zugleich als Absatzmarkt für deren teure – jetzt: grüne - Industrieprodukte. Die Folgen: eine negative Zahlungsbilanz, da die importierten (Industrie-)Güter teurer sind als die exportierten Rohstoffe. Und die Behinderung des Aufbaus einer eigenen Green Economy. Ohne eine eigenständige wirtschaftliche Entwicklung, die im eigenen Land Arbeitsplätze schafft, können die Länder des Globalen Südens jedoch nicht dem Teufelskreislauf der Armut entkommen und schon gar nicht in eine eigene klimaneutrale Wirtschaft investieren.  

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