Am 18./19. November 2024 fand der G20-Gipfel in Rio de Janeiro (Brasilien) statt. Das 19. Gipfeltreffen stand unter dem Motto: „Aufbau einer gerechten Welt und eines nachhaltigen Planeten“. Das Thema des Gipfels kommt zum richtigen Zeitpunkt. Erst im September 2024 haben die Vereinten Nationen einen „Pakt für die Zukunft“ verabschiedet, der einen Global Digital Compact und eine Erklärung für künftige Generationen enthält. Die Internationale Staatengemeinschaft verspricht darin, sich für eine Transformation der globalen Regierungsführung sowie die Stärkung des multilateralen Systems einzusetzen. Das Ziel: Eine Welt zu schaffen, die sicher, friedlich, gerecht, gleichberechtigt, inklusiv, nachhaltig und wohlhabend ist.
G20 halten (neo-)koloniale Strukturen aufrecht
Eine neue Struktur für die Global Governance ist dringend notwendig, denn nach wie vor wird die internationale Ordnung von einigen wenigen Akteuren dominiert. Die G20 machen hiervon keine Ausnahme. Im Gegenteil. Ihre Politik dient bislang der Aufrechterhaltung einer Weltwirtschaftsordnung, die altbekannten, kolonialen Mustern folgt. Auf den vergangenen G20-Gipfeln wurden keine Maßnahmen ergriffen, um die Machtasymmetrien in der globalen Handels- und Finanzarchitektur zu beseitigen. Diese Machtasymmetrien sind verantwortlich für Armut, Ungleichheit und den sich beschleunigenden Klimawandel.
Die USA, China, die EU und einige andere Global Player aus der Gruppe der G20-Staaten setzen eine Jahrhunderte alte, kolonial geprägte Handelspolitik mit den Ländern des Globalen Südens fort. Beispiel: Afrika. Mehr als 75 Prozent der afrikanischen Exporte bestehen aus fossilen und mineralischen Rohstoffen oder landwirtschaftlichen Produkten.
Diese Rohstoffexporte sind der Stützpfeiler der Industrie- und Verarbeitungssektoren einiger weniger G20-Staaten. Aufgrund des Exports günstiger Rohstoffe und des Imports teurer Fertigwaren weisen zahlreiche afrikanische Staaten hohe Handelsbilanzdefizite gegenüber einigen G20-Staaten, darunter der EU auf. Ein Beispiel: Die EU erzielt über 32 Prozent der weltweiten Einnahmen der 140 Milliarden Dollar schweren Kaffeeindustrie, weil sie die größte Kaffeeröstindustrie der Welt beheimatet. Auf die Kaffeebauern selbst entfallen nur klägliche zehn Prozent. Darüber hinaus ist kein Unternehmen aus den kaffeeerzeugenden Ländern des Globalen Südens an der Börse notiert. Dieses Privileg genießen nur die großen Kaffeemarken der G20 wie Starbucks und Nestlé.
Ein weiteres, strukturelles Problem ist die Fiskalpolitik. Afrikas Staatsschulden werden hauptsächlich von nicht-afrikanischen Kreditgebern und in Fremdwährungen gehalten, was eine Umstrukturierung oder Refinanzierung der Schulden erschwert und die Wechselkursrisiken auf dem Kontinent aufrechterhält. Zwar ist Afrikas Gesamtschuldenstand (1,8 Billionen US-Dollar oder zwei Prozent der weltweiten Staatsverschuldung) niedriger als in wichtigen G20-Mitgliedern (Deutschlands Schulden belaufen sich beispielsweise auf 2,9 Billionen US-Dollar), doch gerät die Bundesregierung dadurch nicht in Bedrängnis, da 98 Prozent ihrer Staatsschulden in ihrer Landeswährung gehalten werden. Gleiches gilt für das Vereinigte Königreich, Kanada, China, die USA und EU, die Schulden in ihren Landeswährungen halten.
Afrikas Beitritt, ein erster Schritt
Ein erster Schritt in Richtung mehr Gleichberechtigung in den internationalen Beziehungen war der Beitritt der Afrikanischen Union (AU) zu den G20-Staaten beim letzten Gipfel 2023 in Indien. Die Gruppe der G20 setzt sich seitdem aus 19 Einzelstaaten sowie der EU und AU zusammen. Der Beitritt der AU kam nicht von ungefähr. 54 AU-Mitgliedstaaten hatten sich erst kürzlich zur panafrikanischen Freihandelszone (African Continental Free Trade Area, AfCFTA) zusammengeschlossen, in der 1,3 Milliarden Menschen leben. Die UN-Wirtschaftskommission für Afrika glaubt, die Freihandelszone habe das Potenzial, den innerafrikanischen Handel um 53 Prozent zu steigern. Die afrikanischen Regierungen hoffen, mit der Freihandelszone den Grundstein für eine Zollunion zu legen, die langfristig in eine Afrikanische Wirtschaftsgemeinschaft führt. Die EU dient dabei als Vorbild.
Der Beitritt kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass innerhalb der G20-Gruppe ein enormes Machtgefälle herrscht. Ohne die AU entfallen auf die G20-Staaten rund 85 Prozent des weltweiten Bruttoinlandsprodukts (BIP) und 75 Prozent des Welthandels. Allein das BIP Deutschlands ist mit 4,6 Billionen US-Dollar fast doppelt so hoch wie das BIP aller Staaten Afrikas, welches sich auf 2,8 Billionen US-Dollar beläuft.
Feigenblatt oder Neuanfang?
In der Abschlusserklärung versprechen die G20-Staaten, einige Aspekte des UN-Zukunftspakts umzusetzen, um die globale Ordnung [wieder] multilateraler zu gestalten. Die Verhandlungen in multilateralen Foren, wie den UN-Klimaverhandlungen und der Welthandelsorganisation (WTO), werden zeigen, ob diesen Versprechungen auch Taten folgen. Bislang sind noch keine Anzeichen erkennbar, dass Ländern des Globalen Südens in Handelsverträgen zukünftig mehr Spielraum für eine eigenständige Industriepolitik eingeräumt wird. Der Aufbau einer eigenen Industrie ist jedoch dringend notwendig, um sich aus den kolonialen Fesseln zu befreien. Solange diese strukturellen Probleme in den Wirtschaftsbeziehungen zwischen den G20-Staaten nicht behoben werden, gleicht die Mitgliedschaft der AU einem Feigenblatt gleichen, das den Global Playern der Weltwirtschaft dazu dient, ihre (neo-)koloniale Politik zu legitimieren.
Gastbeitrag von Africa Kiiza von unserer Partnerorganisation SEATINI aus Uganda.