In der letzten Maiwoche fand die Weltgesundheitsversammlung der Mitgliedsstaaten der Weltgesundheitsorganisation (WHO) statt. Auf der Tagesordnung stand unter anderem der Pandemievertrag, ein internationales Abkommen zur Pandemieprävention, -vorsorge und -bekämpfung, auf dessen Erarbeitung sich die WHO-Mitgliedsstaaten drei Jahre zuvor geeinigt hatten. Eigentlich war geplant, das Pandemieabkommen bei der diesjährigen Weltgesundheitsversammlung zu verabschieden. Doch es kam anders.
Seit rund zweieinhalb Jahren beraten die Mitgliedsstaaten der WHO die Details des Vertrages, wie einen globalen Informationsaustausch über Krankheitserreger, Regeln für einen Technologie- und Wissenstransfer, ein passendes Finanzierungsinstrument und einen gerechten Verteilungsmechanismus für medizinische Güter wie Impfstoffe, Medikamente und Schutzausrüstung. Aufgrund unterschiedlicher Positionen der WHO-Mitgliedsstaaten konnte aber bislang kein Konsens geschaffen werden, weshalb die Verhandlungen nun bis maximal zur kommenden Weltgesundheitsversammlung 2025 verlängert werden.
Wie bei der Covid-19-Pandemie ist von europäischer Solidarität wenig zu spüren
Bislang pocht die Europäische Union, die stellvertretend für die europäischen Mitgliedsstaaten den Pandemievertrag verhandelt, unverändert auf Freiwilligkeit und die Wahrung von geistigen Eigentumsrechten der Pharmahersteller – eine Position, die auch die Bundesregierung vehement vertritt. Die Auswirkungen dieser Beharrlichkeit sind im Textentwurf zu sehen. So gibt es bisher kaum verbindliche Regeln, die einen gerechten und schnellen Zugang zu medizinischen Produkten für alle Menschen bei künftigen Pandemien sicherstellen. Zudem steht im Entwurf, dass der Schutz des geistigen Eigentums für die Entwicklung neuer Arzneimittel wichtig sei – ein Sieg für die pharmazeutische Industrie, die diese Position stark lobbyiert.
Die Gefahr ist also real, dass es bei einer zukünftigen Pandemie erneut zu Engpässen von medizinischen Produkten kommt. So geschah es bei der Covid-19-Pandemie. Damals äußerten sich die damalige Bundeskanzlerin Angela Merkel und Charles Michel, Präsident des Europäischen Rates, mit einem Statement voller Solidarität für die Länder des Globalen Südens: „Wir haben uns verpflichtet, einen gerechten Zugang zu sicheren, wirksamen und erschwinglichen Impfstoffen […] für diese und künftige Pandemien für alle sicherzustellen.“ In den seit Jahren laufenden Verhandlungen über den internationalen Pandemievertrag ist von dieser europäischen Solidarität gegenüber der Weltgemeinschaft genauso wenig zu spüren wie während der Pandemie. Damals kaufte die Europäische Union mittels bilateraler Verträge mit Pharmaunternehmen große Vorräte des Covid-19-Impfstoffs auf (und schmiss sie wegen eines Überangebots anschließend teilweise weg).
Länder des Globalen Südens sprechen sich für Gerechtigkeit aus
Die Länder des Globalen Südens kämpfen hingegen seit über zwei Jahren für „equity“. Das englische Wort für Gerechtigkeit wurde so zum geflügelten Wort dieser Länder im Rahmen der Verhandlungen über den Pandemievertrag. „Equity“ beinhaltet unter anderem die zeitige Aufhebung von geistigen Eigentumsrechten und einen Technologie- und Wissenstransfer, um zukünftig schneller Zugang zu medizinischen Produkten zu erhalten.
Brot für die Welt unterstützt diese Position. Weltweite Gerechtigkeit ist ein hohes Gut. Deutschland und der EU muss das Menschenrecht auf Gesundheit wichtiger sein als die Interessen einiger weniger Profiteure. Jetzt ist die Zeit, das beharrliche Festhalten an bisherigen Positionen aufzugeben und den Ländern des Globalen Südens während der Verlängerung der Vertragsverhandlungen entgegenzukommen. Das wäre solidarisch und gerecht.
Auch am Prozess der Verhandlungen übt Brot für die Welt Kritik. Für zivilgesellschaftliche Organisationen sind die Verhandlungen in weiten Teilen kaum zugänglich. Viele Verhandlungsrunden finden hinter verschlossenen Türen statt, neuere Versionen des Textes werden erst spät veröffentlicht.
Die Weltgesundheitsversammlung ist das Entscheidungsgremium der WHO. An ihr nehmen Delegationen aus allen WHO-Mitgliedstaaten teil, auch Deutschland, und befassen sich mit einer vorbereiteten spezifischen Gesundheitsagenda. Die wichtigsten Aufgaben der Weltgesundheitsversammlung sind die Festlegung der künftigen Arbeitsprogramme, die Ernennung des Generaldirektors, die Überwachung der Finanzpolitik sowie die Überprüfung und Genehmigung des vorgeschlagenen Programmbudgets. Die Gesundheitsversammlung findet jährlich in Genf in der Schweiz statt.