Der kamerunische Staat ist eine deutsche Schöpfung. Ein imaginäres Territorium, dass auf der Kongo-Konferenz in Berlin formell durch europäische Mächte bestätigt wurde. Durch willkürliche Grenzziehungen wurden in den folgenden Jahren Gemeinschaften wie das Volk der Fang den Staaten Kamerun, Gabun oder Äquatorialguinea zwangsweise zugewiesen und ihre ursprünglichen Königreiche und Gemeinschaften in Stücke zerrissen. Dadurch wurden uns Regierungsstrukturen und Fremdsprachen aufgezwungen, die für uns folgenreich sind.
Ich bin, wie alle Kameruner, eine Fortsetzung des Kolonialismus. Ich habe einen christlich-französischen Vornamen und kann mich auf Französisch besser ausdrücken als in jeder anderen Sprache (dieser Text wurde im Original auf Französisch geschrieben – die Redaktion). Doch ich bin in Douala, Kamerun, geboren und aufgewachsen, weit entfernt von der Französischen Republik. Das Wort „camerounais“, kamerunisch, gibt es in meiner Muttersprache Ghomalaa nicht. Ich kann Ga ba ye hom (Ich bin aus Baham) sagen, aber nicht „Ich bin kamerunisch“ auf Ghomalaa. Nur auf Französisch oder in anderen Sprachen ist es mir möglich, meine Nationalität zu nennen. Man kann also sagen, dass ich, wenn ich mich als kamerunisch bezeichne, die Kontinuität des Kolonialismus betone.
Meine Vorfahren waren keine Kameruner*innen
Sie waren keine Kameruner*innen und hätten sich nicht vorstellen können, dass sie das eines Tages sein würden. Sie hatten auch nicht vor, ihren Nachkommen eine andere Sprache als Ghomalaa beizubringen. Aber Deutschland hat an ihrer Stelle brutal entschieden, so wurde ich als Kameruner geboren. Ich trage diese Nationalität überall auf der Welt, weil ein paar Weiße, die in einem Raum in Berlin saßen, es sich zur Aufgabe gemacht hatten, ihre wirtschaftlichen Interessen zu markieren, zu teilen und umzusetzen. Damit haben sie sich für immer in das Leben der Töchter, Söhne, Männer, Frauen, Königinnen und Könige der Völker Bamiléké, Fang, Bamoun, Douala, Bassa, Peul, Tikar, Mandara, Maka, Monkon, Kom, Bamenda, Chamba, Mboum, Haoussa, Mbororo, Baka, Bakola, Bagyéli, Bedzang und vieler anderer eingeprägt.
Während Sie diese Zeilen lesen, schreiben wir Ende 2024: Wenn Sie die Schulen, Gymnasien und Universitäten in Kamerun besuchen, sehen Sie, wie die zukünftigen Generationen in Französisch und/oder Englisch unterrichtet werden. Wenn Sie durch unsere Straßen gehen, hören Sie Camfranglais und Pidgin. Wenn Sie sich dann mit den Communities treffen, werden Sie eine gewaltige sprachliche Mischung zwischen Jugendlichen, Erwachsenen und Großeltern erleben. Um sich verständlich zu machen, muss jeder das, was er aus allen Sprachen gelernt hat, so gut wie möglich mixen.
Sprache als Machtinstrument
Oft drückt man sich auf Französisch schlechter aus, wenn man seine Muttersprache, zum Beispiel Ghomalaa, gut spricht – und umgekehrt. 140 Jahre nach der brutalen Gründung Kameruns durch die deutsche Verwaltung hat der zentralisierte Staat noch immer keinen Plan für eine Nationalsprache, die sich an den lokalen Sprachen orientiert. Deshalb wird jede*r, die*der nicht fließend Französisch oder Englisch spricht, in Kamerun als Analphabet*in eingestuft und entsprechend schlecht behandelt.
Seit 2016 herrscht in meinem Land zudem Krieg und auch hier ist die koloniale Geschichte mitverantwortlich. Der festgefahrene Konflikt hat seit 2017 über 6.000 Menschen das Leben gekostet und geht zurück auf die Teilung des kamerunischen Territoriums zwischen Großbritannien und Frankreich nach dem Ersten Weltkrieg. Die anglophone Bevölkerung ist bis heute im Zentralstaat marginalisiert und durchlebt eine beispielslose Krise, bei der sich Separatistenbewegungen und Regierungsarmee bekämpfen.
Hätte es die Gründung der „Deutschen Kolonie Kamerun“ nicht gegeben, wäre ich kein Kameruner, hätten wir nicht Französisch und Englisch als Amtssprachen, gäbe es nicht den anglophonen und den frankophonen Bereich und nicht die strukturellen und sozialen Konflikte aufgrund von Sprachunterschieden und Regierungsformen, die unser Land immer wieder aufs Neue erschüttern.
*Djoko Hilaire ist ein Rapper und zivilgesellschaftlicher Akteur in Kamerun und Deutschland. 2020 eröffnete Djoko mit seinem Verein "Initiative Perspektivwechsel" (Initiative de Changement de Perspective) die Anlu Bibliothek in Douala, Kamerun, um afrikanische und Afroliteratur zu fördern. In Deutschland erarbeitete Djoko gemeinsam mit der "Initiative Perspektivwechsel" die Comic-Reportage „Drei Generationen antikolonialer Protest in Kamerun“ als Bildungsmaterial gegen antischwarzen Rassismus.
Dieser Beitrag erscheint anlässlich des 140. Jahrestages der Berliner Kolonialkonferenz, die vom 15. November 1884 bis zum 26. Februar 1885 stattfand. Bei der Konferenz teilten die Kolonialmächte den afrikanischen Kontinent unter sich auf und legten ihre Einflusssphären fest. Die Ergebnisse der Konferenz haben bis heute Auswirkungen auf die Lage in Afrika und internationale Politikprozesse insgesamt.