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Der Umgang mit dem kolonialen Erbe

Mit der Kolonialisierung zogen Missionierende durch Afrika, um christliche Werte zu verbreiten. Als kirchliche Institution trägt Brot für die Welt einen Teil dieses Erbes. Und stellt selbstkritische Fragen: Wie lässt sich das Machtungleichgewicht zum Globalen Süden aufheben? Wie dekolonial sind wir in unserer Arbeit?

Von Valerie Viban*, Referent Antirassismus- und Dekolonialisierungsarbeit, EWDE

Von Gastbeiträge Politik am
Besuch des Ortes der Berliner Kolonialkonferenz

Besuch des Ortes der Berliner Kolonialkonferenz

Im November 1884 fand in Berlin ein Treffen statt, welches die Weltpolitik und die globalen Beziehungen für Jahrzehnte entscheidend prägte. Die vom deutschen Reichskanzler Otto von Bismarck einberufene Berliner Kolonialkonferenz, auch Kongokonferenz genannt, hatte zum Ziel, den europäischen Wettbewerb um afrikanische Gebiete und Ressourcen zu steuern. An der Konferenz nahmen Vertreter aus Belgien, Dänemark, Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien, den Niederlanden, Österreich-Ungarn, Portugal, Russland, Spanien, Schweden-Norwegen (damals noch vereinigt), der Türkei und den Vereinigten Staaten teil. Die Konferenz leitete den „Wettlauf um Afrika“ ein: In den kommenden drei Jahrzehnten wurde der Kontinent entlang geopolitischer Linien aufgeteilt, ohne die bestehenden afrikanischen Kulturen, ethnischen Gruppen und politischen Systeme zu berücksichtigen.

Einer der wichtigsten Beschlüsse, das Prinzip der „Effektivität“, verlangte von den europäischen Nationen, die tatsächliche Inbesitznahme und Kontrolle über die von ihnen beanspruchten Gebiete nachzuweisen. Auf der Konferenz wurde auch ein sogenannter freier Handel im Kongobecken beschlossen, der de facto der Startschuss zu willkürlicher Raubwirtschaft durch die Kolonialmächte war. Die Konferenz legitimierte Ausbeutung durch Ressourcenabbau, Zwangsarbeit und Unterdrückung afrikanischer Kulturen und Institutionen. Allein im neugegründeten Kongo-Freistaat, der sich rechtlich im Privatbesitz des belgischen Königs Leopold II. befand, kamen durch dessen brutales Regime schätzungsweise bis zu zehn Millionen Menschen um.

Das Erbe der Berliner Konferenz ist ein schmerzhaftes und komplexes Kapitel der afrikanischen Geschichte. Afrika wurde in koloniale Gebiete geteilt, wobei bereits bestehende kulturelle und politische Grenzen ignoriert wurden – Aufteilungen, die bis heute Konflikte und Instabilität in vielen afrikanischen Ländern beeinflussen. In den 1920er Jahren, als Deutschland nach dem verlorenen Ersten Weltkrieg seine Kolonien abgeben musste, änderte sich die Kartographie noch einmal erheblich. Diese neue Schattierung des Kolonialismus führte zu noch komplizierteren neuen Grenzen wie im Fall von Entitäten wie Kamerun, das englisches und französisches Territorium wurde, mit einem Erbe, das bis heute Identitätskonflikte auslöst und anheizt.

Mission und Kolonialismus

Kolonialismus und Missionsarbeit waren oft eng miteinander verknüpft. Die Kolonialmächte sahen in den Missionierenden häufig ein wertvolles Instrument zur Bestätigung und Stärkung ihrer Kontrolle über die kolonisierten Gebiete – ein Mittel zur Verbreitung westlicher Ideale, Werte und Religion. Die Missionierenden wiederum profitierten von der Unterstützung, der Infrastruktur und dem Schutz durch die Kolonialbehörden, die es ihnen ermöglichten, auch entlegenere Gebiete zu erreichen und Missionsschulen, Kirchen und Krankenhäuser einzurichten. Durch diese Zusammenarbeit waren die Missionierenden in der Lage, das Christentum zu verbreiten und westliche Erziehungsmethoden einzuführen, die als wesentlich für die „zivilisatorische“ Mission des kolonialen Unternehmens galten. Die Verbreitung westlicher Überzeugungen und Praktiken untergrub jedoch die indigenen Kulturen, spirituellen Praktiken und sozialen Systeme, was zu einer Erosion des traditionellen Wissens und traditioneller Werte führte. Viele indigene Gemeinschaften sahen sich gezwungen, ihre kulturellen Praktiken aufzugeben oder zu verändern. Die neue fremde Weltanschauung störte etablierte Lebensweisen und stand oft im Widerspruch zu lokalen Glaubensvorstellungen.

Die Beziehung zwischen Missionierenden und Kolonialbehörden war jedoch komplex und nicht konfliktfrei. Während einige die Kolonialpolitik befürworteten und unterstützten, weil sie glaubten, dass sie mit ihren religiösen Zielen übereinstimmte, wurden andere zu ausgesprochenen Kritikern der kolonialen Praktiken. Einige Missionar*innen setzten sich für die Rechte und Würde der „Eingeborenen“ ein und stellten die ausbeuterische Natur der Kolonialherrschaft in Frage. Sie wandten sich gegen Zwangsarbeit, Landenteignung und andere Ungerechtigkeiten, dokumentierten Missstände, forderten Reformen und versuchten manchmal, die lokalen Gemeinschaften durch Bildung und Alphabetisierung zu stärken.

Warum betrifft diese Geschichte Brot für die Welt?

Als Organisation für Entwicklungszusammenarbeit wurde Brot für die Welt 1959 gegründet, mehrere Jahrzehnte nachdem Deutschland seine Kolonien aufgegeben hatte. Trotz dieses zeitlichen Abstands war die Auseinandersetzung mit dem Kolonialismus und seinen Kontinuitäten von Anfang an relevant. Denn Entwicklungszusammenarbeit hat oft eine mit dem Kolonialismus verbundene Geschichte. Die Idee, bestimmte Länder zu „entwickeln“, wirkt manchmal wie eine Fortsetzung vergangener Machtungleichgewichte. Ländern, die einst Kolonien waren, wird unterstellt, dass es ihnen an Wissen, Ressourcen und richtigen Werten fehle.

Mit dieser Idee von Überlegenheit diktieren wohlhabendere Länder, wie sich ärmere Länder zu entwickeln haben, ohne deren einzigartige Kulturen und Bedürfnisse zu verstehen oder zu respektieren. Als Institution, die in diesem Bereich tätig ist, verstärkt Brot für die Welt definitiv einige dieser kolonialen Untertöne in seinem Handeln. Das zeigt sich zum Beispiel in Fragen des Machtungleichgewichts zwischen der Institution und ihren Partnern. Zweitens ist Brot für die Welt eine kirchliche Fachorganisation, die im Auftrag der deutschen evangelischen Kirche Entwicklungsarbeit leistet. Angesichts der langen Geschichte von Mission und Kolonialismus erbt Brot für die Welt als ein Kind der Kirche etwas von dieser Vergangenheit.

Deshalb hinterfragt Brot für die Welt seine Instrumente hinsichtlich kolonialer Kontinuitäten und Rassismus. Zentraler Teil davon ist die Auseinandersetzung mit dem eigenen Partnerschaftsverständnis. Brot für die Welt will kein Hilfswerk sein, wo es um einseitig erbrachte paternalistische Hilfe geht, die andere entmündigt. Gemeinsam mit den Partnerorganisationen weltweit setzen wir uns für mehr Gerechtigkeit ein. Vor einigen Jahren hat zudem die Bildungsabteilung das Förderprogramm „Dekolonisierung“ eingerichtet: Organisationen oder Initiativen, die sich mit Kolonialismus und seinen Kontinuitäten oder mit der Dekolonisierung im weiteren Sinne auseinandersetzen wollen, können finanzielle Mittel für die Durchführung ihrer Projekte erhalten. Diese reichen von der Organisation von Konferenzen und Workshops über die Erstellung von Bildungsmaterial bis hin zu Forschungsarbeiten. Zudem wurde auf Leitungsebene beschlossen, eine beratende Stelle für die eigene Befassung mit Antirassismus und Dekolonisierung und Antirassismus einzurichten – eine Stelle, die der Autor dieses Texts nun seit zwölf Monaten innehat.

Im ersten Jahr in dieser Funktion habe ich mit dem Team analysiert, was das Haus für den Umgang mit Kolonialität und Rassismus braucht. Wie beleuchten wir kritisch unsere Instrumente? Welchen Ansatz verfolgen wir bei der Öffentlichkeitsarbeit? Was hat das bereits zuvor existierende, informelle Netzwerk für Vielfalt und Antirassismus (DIRAK) geleistet, welche Schulungen, Workshops, andere Aktivitäten gab es? In den kommenden Monaten werden wir verstärkt daran arbeiten, als Institution dekolonialer zu werden. Das schließt Rekrutierungsprozesse ein, um in den nächsten Jahren einen diversifizierten Personalhintergrund zu fördern. Gezielt werden außerdem die operativen, politischen und strategischen Bereiche von Brot für die Welt mit dem Fokus auf Dekolonialität bearbeitet.

Im Jahr 2034 werden wir erneut fragen, wo Brot für die Welt steht – 150 Jahre nach der Berliner Kolonialkonferenz. Wie dekolonialisiert wird die Institution dann sein? Auf dem Weg dahin, zu globaler sozialer Gerechtigkeit, müssen wir bereit sein, harte Gespräche zu führen, zu verlernen und neu zu lernen.

 

*Valerie Viban, geboren in Kumbo, Kamerun, ist Referent für Antirassismus- und Dekolonialisierungsarbeit im Evangelischen Werk für Diakonie und Entwicklung. Er hat einen Masterabschluss des Instituts für Internationale Beziehungen in Kamerun und einen der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin.

Dieser Beitrag erscheint anlässlich des 140. Jahrestages der Berliner Kolonialkonferenz, die vom 15. November 1884 bis zum 26. Februar 1885 stattfand. Bei der Konferenz teilten die Kolonialmächte den afrikanischen Kontinent unter sich auf und legten ihre Einflusssphären fest. Die Ergebnisse der Konferenz haben bis heute Auswirkungen auf die Lage in Afrika und internationale Politikprozesse insgesamt.

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