Blog

„Krumme CO2-Kompensationsgeschäfte“

Viele Aufforstungs- und Klimakompensationsprojekte schaden Kleinbauernfamilien und indigenen Gemeinschaften in Asien, Lateinamerika und Afrika. Warum das so ist, erklärt Ingrid Jacobsen, Klimaexpertin bei Brot für die Welt – und worauf Regierungen, aber auch Verbraucher*innen bei Emissionszertifikaten achten sollten.

Von Martina Hahn am

Video: Land Rights and Climate Change in Southeast Asia and the Pacific

Frau Jacobsen, viele Länder wollen Treibhausgas-Emissionen reduzieren und setzen bei ihrer Klimapolitik auf Emissionshandelsprojekte, die versprechen, Wald anzupflanzen, weil Bäume CO2 speichern. Brot für die Welt hat dazu eine Studie verfasst, in der Sie dieses Vorgehen kritisieren. Warum?

Weil diese Projekte vielerorts die Existenz von Kleinbauernfamilien und indigenen Gemeinschaften in Asien, Afrika, Lateinamerika zerstören.

Wie tun sie das?

Alle 196 Staaten, die 2015 das Pariser Klima-Abkommen unterzeichnet haben, suchen nach Lösungen, wie sie CO2 reduzieren können, damit das 1,5-Grad-Niveau nicht überschritten wird. Viele Regierungen und auch die Privatwirtschaft setzen dabei auf CO2-Kompensationshandelsprojekte – überwiegend in großen Waldgebieten, in denen Kleinbauernfamilien oder indigene Gruppen leben. Gemäß dem Motto: Wir bezahlen dich dafür, dass wir deinen Wald zur Kompensation nutzen können. Aber sie verhandeln diese Klimaprojekte oft nicht auf Augenhöhe und auch nicht fair.

Können Sie Beispiele nennen?

Manche Gemeinden sehen nie den Vertrag, der nachher die Basis für den Handel mit Emissionszertifikaten ist. Oder es wird ihnen etwas unter die Nase gehalten, das sie nicht verstehen. Oder die Projektdurchführenden – in der Regel Privatfirmen – machen Verträge nur mit Einzelnen aus der Gemeinde, die dann vom Deal profitieren. Wieder anderen wird das Land für die Aufforstung – der Wald, in dem sie fischen, jagen und Lebensmittel anbauen – schlichtweg geraubt. Das ist möglich, weil Landrechte in vielen Regionen der Welt nicht verbindlich geregelt sind. Hinzu kommt, dass viele Betroffene die Verträge auch unterschreiben, weil sie arm sind und das Geld brauchen, das ihnen die Leute von den Kompensationsprojekten versprechen. Der Film  zeigt: In ihrer Not sind sie ein leichtes Opfer von krummen Geschäften. Was das Projekt mit ihnen macht, verstehen sie oft erst, wenn es bereits läuft.

Sie kritisieren, dass solche Carbon-Credit-Projekte auch zu Konflikten in den Dörfern und zu Vertreibung führen. Wie geschieht das?  

Konflikte entstehen, weil zum Beispiel Mitglieder von Gemeinschaften gegeneinander ausgespielt werden. Weil die eine Hälfte dem Projekt zustimmen möchte, die andere aber nicht – auch, weil die Menschen unterschiedlich davon betroffen sind. Das passiert vor allem bei Kompensationsprojekten, für die Verträge auf der lokalen Ebene abgeschlossen werden. Diese Verträge sind meist intransparent und schließen oft nur einige mächtige Vertreter*innen der Dorfgemeinschaften ein. Nur die bekommen dann eine Entschädigung für das Land, das sie zur Verfügung stellen. Vor allem Frauen und Jugendliche werden nicht miteinbezogen, sie verlieren. Das zerstört Dorfgemeinschaften von innen heraus. Viele werden vertrieben, weil sie ohne Land und Wald in andere Gebiete oder Städte ausweichen müssen, wodurch dann dort neue Armutsviertel entstehen.

Welche Rolle spielen bei diesen Carbon-Deals die Regierungen vor Ort?

Bei Kompensationsprojekten im Ausland, die über die deutsche Bundesregierung laufen, sitzt die nationale Regierung in der Regel mit am Tisch und gestaltet die Verträge mit. Sie spielen eine zentrale Rolle: Gute Regierungen lehnen entsprechende Initiativen ab, weil sie um die Gefahren wissen. Leider gibt es aber auch viele Regierungen, deren Mitglieder persönlich von schmutzigen Deals profitieren.  

Ihre Studie „Land and Climate: Rights at Risk“ sowie ein von Brot für die Welt gedrehter Film (siehe Video oben) zeigen Beispiele aus Papua Neuguinea und Indonesien. Sind indigene Gemeinschaften weltweit gleichermaßen von dieser Art des Landraubs und der Nichtbeteiligung betroffen wie in Asien?

Das Prinzip „Geld für Land“ gilt leider weltweit. Die Folgen für Indigene und Kleinbauerfamilien sind in Afrika und Lateinamerika ähnlich gravierend wie in Asien.

In letzter Zeit gab es viele negative Schlagzeilen über Projekte des Emissionshandels, deren positive Wirkungen für das Klima maßlos überschätzt wurden. Warum setzen die Regierungen weltweit – auch die in Berlin – trotz dieser Missstände und Rechtsverletzungen auf eine Carbon-Trade-Politik, die indigene Gemeinschaften ausbeutet?

Weil der Wunsch und zunehmend auch die Notwendigkeit vieler Industrieländer groß ist, sich aus ihrer Verpflichtung, Treibhausgase zu reduzieren, herauszukaufen. Das wiederum spült viel Geld in die Kassen der Empfängerländer. Ich denke, dass vielen Entscheidungsträger*innen die komplexen Zusammenhänge und Dynamiken gar nicht bekannt sind – weder denen in Berlin noch denen vor Ort. Viele Kompensationsprojekte werden am Schreibtisch entworfen und von dort aus begleitet. Umso wichtiger ist es, dass die Menschen vor Ort wirklich von Anfang an in eine Projektplanung miteinbezogen werden. Dass sie jederzeit gehört werden und dass es Abbruchkriterien gibt, wenn bei den Projekten etwas schiefläuft.

Wie schützt Brot für die Welt die Menschen in Asien, Afrika oder Lateinamerika vor unfairen Carbon-Trade-Deals?

Indem wir unsere Partnerorganisationen dabei unterstützen, Dorfgemeinschaften zu stärken und aufzuklären – etwa darüber, wie sie schlechte Deals erkennen und sich dagegen wehren können. Wir geben Rechtshilfe, damit sie Landrechte einfordern können. Wir sensibilisieren – und hier sind wir Vorreiter – Regierungsvertreter*innen in Berlin sowie in den Projektländern für die Ausbeutung durch Kompensationsprojekte, die den Gemeinschaften viel versprechen, aber davon wenig halten. All das ist wichtig, denn indigene Gemeinschaften sind die Hüter der Wälder und die vielleicht wichtigsten Kämpfer gegen den Klimawandel.

Sie sagen, die auf Aufforstung basierenden Kompensationsprojekte zerstören oft nicht nur indigene Gemeinschaften, sondern schaden häufig sogar dem Klima. Inwiefern?

Weil Emissionen durch sie nicht wirklich reduziert, sondern bestenfalls ausgeglichen werden. Selbst das funktioniert oft nicht. Dafür gibt es mehrere Gründe. Erstens: Um die CO2-Bindung von Wäldern messbarer zu machen, werden häufig Waldplantagen angelegt – meist dort, wo Menschen bis dato Gemüse oder Getreide angebaut haben. Oder es werden Urwälder abgeholzt, um an derselben Stelle Plantagen für die Kompensation von CO2 aufzuforsten, vor allem Eukalyptus. Dadurch geht Biodiversität verloren, was wiederum dem Klima schadet. Zweitens: Häufig wird nicht festgelegt, wie lange die neu gepflanzten Bäume stehen bleiben müssen, damit sie überhaupt CO2 in spürbarer Menge binden – das tun sie nämlich erst nach zehn bis 20 Jahren. Häufig gehen die Baumsetzlinge auch ein, weil niemand die Plantagen pflegt. Die Betreiber bringen die Emissionshandelszertifikate dennoch in Umlauf und verdienen daran. Drittens: Monokultur-Plantagen sind extrem anfällig für Schädlinge und brennen leichter komplett ab als Naturwälder. Kurz: Viele Plantagen, die Emissionen binden sollen, erreichen niemals das Stadium, mit dem sie ernsthaft zur Bekämpfung des Klimawandels beitragen könnten.

Freiwillige Kompensation versus EU-Emissionshandel – das sind die Unterschiede

Die überwiegend freiwilligen Kompensationsprojekte zur Aufforstung (auch Offsets genannt) funktionieren so: Treibhausgase, ausgestoßen beispielsweise in Deutschland, werden von Firmen und Privatleuten an anderen Orten durch u.a. Bewaldungsprojekte wieder eingefangen. In diesen Carbon Markets kaufen die Verursacher von Treibhausgasen den Kompensationsprojekten dafür fragwürdige Emissionszertifikate.

Anders – und für den Klimaschutz durchaus wirksam – funktioniert der Europäische Emissionshandel: Hier legt die EU als Obergrenze fest, wie viele Treibhausgase Emittierende überhaupt ausstoßen dürfen. Die einzelnen EU-Mitgliedstaaten teilen den Unternehmen diese Berechtigungen zu. Die EU verknappt die Zertifikate aber peu á peu als Anreiz, Emissionen zu reduzieren. Energieintensive Unternehmen können sauberer arbeitenden Unternehmen Zertifikate abkaufen. Je weniger Zertifikate im Umlauf sind, desto teurer sind sie.

Jetzt spenden Unterstützen Sie uns

Kleinbäuerin Claudine Hashazinyange mit Avocados vom Baum ihres Schwiegervaters.

Hinweis: Die Spendenbeispiele sind symbolisch. Durch Ihre zweckungebundene Spende ermöglichen Sie uns dort zu helfen, wo es am dringendsten ist.

56 € (Spendenbeispiel) Mit 56 € kann zum Beispiel ein Hygiene-Paket für eine geflüchtete Familie finanziert werden.

100 € (Spendenbeispiel) Mit 100 € kann zum Beispiel Gemüse-Saatgut für die Bewirtschaftung von ca. 10 Feldern bereitgestellt werden.

148 € (Spendenbeispiel) Mit 148 € kann zum Beispiel ein Regenwassertank mit 2.000 Liter Fassungsvermögen gekauft werden.

Hinweis: Die Spendenbeispiele sind symbolisch. Durch Ihre zweckungebundene Spende ermöglichen Sie uns dort zu helfen, wo es am dringendsten ist.

56 € (Spendenbeispiel) Mit 56 € kann zum Beispiel ein Hygiene-Paket für eine geflüchtete Familie finanziert werden.

100 € (Spendenbeispiel) Mit 100 € kann zum Beispiel Gemüse-Saatgut für die Bewirtschaftung von ca. 10 Feldern bereitgestellt werden.

148 € (Spendenbeispiel) Mit 148 € kann zum Beispiel ein Regenwassertank mit 2.000 Liter Fassungsvermögen gekauft werden.

Bitte eine gültige Eingabe machen

Als Fördermitglied spenden Sie regelmäßig (z. B. monatlich)