Frau Hoffmann, Sie waren im August Teil einer internationalen Delegation, die die argentinische Provinz Jujuy besucht hat. Warum waren Sie da?
Im Juni wurde in der Provinz eine unrechtmäßige Verfassungsreform durchgeführt und Proteste dagegen gewaltsam niedergeschlagen. Wir haben mit Akteurinnen und Akteuren der Zivilgesellschaft, mit Vertreterinnen und Mitgliedern indigener und nicht indigener Gemeinden und mit Provinz- und Nationalbehörden gesprochen. Das Ziel war, uns ein unabhängiges Bild von der Situation vor Ort zu machen.
Was ist das Problem dieser Reform?
Drei Punkte der Reform haben besonders negative Auswirkungen auf den Schutz und die Rechte indigener Gemeinden. Die Reform schränkt die Nutzung von Wasser ein und berührt den Umgang mit öffentlichen Ländereien. Viele Gebiete indigener Gemeinden liegen auf solchen Ländereien. Die reformierte Verfassung könnte dazu führen, dass ökonomische Interessen in diesen Gebieten Vorrang gewährt wird und diese den Bedürfnissen indigener Gemeinden entgegen stehen. Außerdem wurde das Recht auf friedlichen sozialen Protest wie Straßenblockaden beschnitten. Und zum dritten halten wir den Prozess für problematisch, der zur Verfassungsänderung geführt hat. Das UN-Hochkommissariat für Menschenrechte stellte fest, dass die Interessengruppen, insbesondere indigene Völker, nicht ausreichend beteiligt worden waren, und hat die Provinzregierung zu einem konstruktiven und interkulturellen Dialog mit allen Interessengruppen aufgefordert.
Können Sie das genauer erklären?
Ein zentraler Punkt dieser Verfassungsänderung war, den Zugang zu und die Befugnisse über Wasser und Ländereien zu beschneiden und der privatwirtschaftlichen Nutzung mehr Rechte einzuräumen. Davon sind überproportional indigene Gemeinden betroffen, denn sie haben dadurch schlechteren Zugang zu Wasser.
Und die Reform gilt nur in dieser Provinz?
Ja. Dazu muss man wissen, dass Argentinien ein föderaler Staat ist, ähnlich wie Deutschland. Die Provinzen haben ihre eigenen Verfassungen und auch ihre eigenen Bergbaugesetze.
„Seit über 13 Jahren kämpfen Gemeinden gegen den Abbau von Lithium“
Zu welchen konkreten Konsequenzen hat die Reform geführt?
Zunächst hat die Reform wegen der Art, wie sie zustande kam, zu Protesten geführt. Es gab keine Beteiligung der indigenen Gemeinden. Sie wurden weder informiert noch konsultiert, obwohl ihnen das rechtlich zusteht. Zudem wurde sie sehr schnell durchgezogen, ohne jegliche öffentliche Debatte. Als die Reform am 16. Juni verabschiedet wurde, kam es noch in der Nacht zu Straßensperrungen durch die Bevölkerung. Insbesondere durch Angehörige indigener Gemeinden, die besonders von der Verfassungsreform betroffen sind.
Warum kam es dazu?
Straßensperrungen sind in Lateinamerika ein klassisches Instrument des Protestes. Die Polizei hat die Proteste gewaltsam niedergeschlagen und zahlreiche Teilnehmende festgenommen. Wir haben mit Opfern dieser Gewalt gesprochen und mit indigenen Anführer:innen, die sich gegen diese Reform auflehnen. Sie fordern das Recht der indigenen Gemeinden auf Konsultation ein. Das ist im argentinischen Nationalrecht verankert.
Die Reform erhöht die Sorge der indigenen Gemeinden, dass sich die negativen Auswirkungen des Bergbaus verstärken, insbesondere beim Abbau von Lithium. Was haben Sie vor Ort beobachtet?
In Jujuy, einer Provinz im Nordwesten Argentiniens, wird aktuell in der Salztonebene Olaroz-Caucharí Lithium abgebaut. Wo wir waren, in Salinas Grandes, findet im Moment erst die Erkundung weiterer potentieller Lithiumförderung statt und noch kein Abbau. Dort haben sich 33 indigene Gemeinden zusammengeschlossen und kämpfen seit über 13 Jahren gegen den Abbau von Lithium. Bis jetzt waren sie damit erfolgreich. Vor allem, weil sie gut organisiert sind und eng zusammenarbeiten. Es besteht aber große Angst, dass es zur Wasserverknappung kommen wird, weil der Lithiumabbau viel Wasser verbraucht. Man muss wissen: Die Wasserressourcen sind knapp. Die Gegend liegt auf 3000 bis 4000 Metern Höhe. Die Verdunstungsrate ist sehr hoch, die Niederschlagsmengen sind gering. Die Gemeinden gehen daher sparsam mit ihren Ressourcen um. Sie leben von Viehzucht, Tourismus und Salzabbau. Wenn es zum Abbau von Lithium kommen sollte, ist damit zu rechnen, dass das Wasser deutlich knapper wird. Bis jetzt hat die Provinzregierung keine umfassenden Umweltverträglichkeitsprüfungen vorgenommen. Die ist eigentlich eine Grundvoraussetzung, um die potenziellen Umweltauswirkungen der Lithiumextraktion wirklich bewerten zu können.
„Dieselben Unternehmen, die Öl, Gas und Kohle fördern, setzen jetzt auf Lithium“
Lithium ist für die Energietransformation ein essenzieller Bestandteil. Es wird für Batterien gebraucht, zum Beispiel in Elektroautos. Brot für die Welt fordert einerseits, das Verbrennen von Öl, Gas und Kohle möglichst schnell zu beenden. Andererseits beobachten Sie vor Ort, zu welchen Konsequenzen es führt, wenn die Welt im großen Maßstab Lithium benötigt. Wie gehen Sie mit einem solchen Widerspruch um?
Wir brauchen den Umstieg auf erneuerbare Energien, aber immer unter Achtung der Menschenrechte und der planetaren Grenzen. Wenn wir die global gerechte sozial-ökologische Transformation wirklich ernst nehmen, dann müssen sich auch die Unternehmensmodelle der Energieproduzenten und Bergbaukonzerne verändern. Aktuell setzen teilweise dieselben Firmen, die Öl, Kohle oder Gas fördern und importieren, jetzt auf Lithium, Kupfer oder andere Rohstoffe – und das im Namen der Rettung des Klimas. Ihre ausbeuterischen Unternehmensmodelle, die Menschenrechte verletzen und die Umwelt zerstören, behalten sie bei. Diese Unternehmen betreiben Greenwashing, wenn sie sagen: Wir müssen Lithium abbauen, um dem Klimawandel entgegenzuwirken. Denn das ist nur ein Teil der Wahrheit.
Was ist der andere Teil der Wahrheit?
Wir fordern im Rahmen unserer rohstoffpolitischen Arbeit eine Reduktion des Primärrohstoffverbrauchs. Das bedeutet: Neben der Dekarbonisierung müssen wir unsere Konsum- und Produktionsmuster umfassend verändern und letztlich weniger Ressourcen und damit auch langfristig weniger Lithium nutzen. Es ist nicht zukunftsfähig, wenn wir in Deutschland alle aktuell zugelassenen 66 Millionen Autos einfach vom Verbrenner- auf Elektromotor umrüsten. Wir fordern daher auch eine umfassende Mobilitätswende. Das heißt: mehr öffentlicher Personennahverkehr und weniger und kleinere Autos. Denn nach aktuellen Prognosen werden im Jahr 2030 rund 90 Prozent des global genutzten Lithiums allein für Batterien für E-Autos gebraucht.
Welche Forderungen haben Sie an die Politik?
Die Bundesregierung, aber auch die EU müssen in ihren Gesetzgebungen zur Rohstoffpolitik die Debatte um die Reduktion unseres Primärrohstoffbedarfs vorantreiben und dafür verbindliche Ziele und umfassende Maßnahmen festlegen. Gleichzeitig müssen die Einhaltung der Menschenrechte, insbesondere der Rechte indigener Völker, und der Umweltschutz entlang von globalen Wertschöpfungsketten gesetzlich verankert und ambitioniert umgesetzt werden. Das aktuell diskutierte europäische Lieferkettengesetz bietet die Chance dafür.
Was sind nach Ihrer Reise die nächsten Schritte?
Wir haben direkt nach der Reise einen Kurzbericht verfasst und vervollständigen aktuell eine Langfassung, die wir an die Provinz- und die Nationalregierung in Argentinien schicken sowie an alle Interviewten. In Deutschland und auf EU-Ebene treten wir an Entscheidungsträger:innen heran. Die EU hat gerade erst eine Rohstoff-Partnerschaft mit Argentinien gestartet. Frau von der Leyen war eine Woche vor dem Beginn der Proteste in Argentinien und hat mit dem damaligen Präsident Alberto Ángel Fernández eine Absichtserklärung unterzeichnet. Das bedeutet, dass die EU stärker mit Argentinien zusammenarbeiten möchte, insbesondere bei der Gewinnung von Lithium und grünem Wasserstoff. Damit wächst auch die Verantwortung der EU, die Menschenrechtssituation vor Ort in den Blick zu nehmen und den Druck auf vulnerable Bevölkerungsgruppen in rohstoffreichen Regionen wie in der Provinz Jujuy nicht zu verstärken. Nach dem Wahlsieg des ultralibertären Präsidentschaftskandidaten Javier Milei ist dies noch dringlicher geworden.