Ähnliche Forderungen wie auf der Agrardemo für den globalen Umbau des Ernährungssystems waren auch auf dem 15.Agrarforum GFFA des Landwirtschaftsministeriums (BMEL) zu hören. Hier sind aber die Rufe nach einem radikalen Umbau des Ernährungssystems noch keine Tradition. Denn zum ersten Mal standen auf dem Agrarforum (GFFA) nicht die üblichen „Leistungen“ der industriellen Landwirtschaft im Mittelpunkt, so etwa neue Technologien und „neue“ wissenschaftliche Methoden zur Produktionssteigerung, das Ausnutzen weiterer Kostenvorteile durch eine Vertiefung globaler Lieferketten oder eine weitere Deregulierung der Weltagrarmärkte zugunsten von Fleisch- und Milchkonzernen oder der Agrarchemie. Kritik an dieser industriellen Landwirtschaft übten im Rahmen der Agrardemonstration Brot für die Welt, FIAN, AbL und das internationale Netzwerk „La Via Campesina“ mit einer Protestnote an Minister Özdemir zum Erhalt der Saatgutvielfalt und gegen die Abhängigkeit von Gentechnik-Konzernen.
Das Landwirtschaftsministerium hatte mit der Themensetzung des diesjährigen Agrarforums die Suche nach einer grundsätzlichen Antwort auf die aktuelle globale Ernährungskrise in den Mittelpunkt gestellt. Erfreulich war, dass nicht nur das übliche neoliberale Mantra offener Märkten oder massiver Produktionssteigerungen zur Krisenbewältigung heruntergebetet wurde, sondern die Themensetzung des BMEL Raum ließ, über einen radikalen Umbau der Welternährungssysteme zu debattieren.
Transformation der Ernährungssysteme
Im Mittelpunkt der geforderten Transformation der Ernährungssysteme sollte die Umsetzung des Menschenrechts auf eine gesunde Ernährung und die Interessen der bäuerlichen Produzent:innen stehen und nicht die Gewinnerwartungen der Agrarkonzerne und der industriellen Landwirtschaft. Diese Debatte als roter Faden des Agrarforums wurde vom Ministerium dadurch gefördert, dass es Michael Fakhri, den UN-Sonderberichterstatter für das Recht auf Nahrung zum Eröffnungspodium eingeladen hatte.
Neu auch, dass die Stimmen von kleinbäuerlichen Produzent:innen und Aktivist:nnen aus dem Globalen Süden nicht wie in den letzten Jahren in die wenigen Fachforen der deutschen NROs geschoben wurden. Auch auf den Hauptpodien durften Landwirt:innen von kleinen Familienbetrieben, aber auch gewählte Vertreter:innen der Zivilgesellschaft im Welternährungsausschuss, das CSIPM ihre Stimme einbringen. Mehr noch, selbst vor den versammelten 70 Agrarministerinnen am Schlusstag waren sie eingeladen, ihre Vorschläge zur Überwindung der globalen Hungerkrise und für einen radikalen Umbau der Ernährungssysteme vorzutragen. So auch Chengeto Muzira von der Brot für die Welt-Partnerorganisation ZIMSOFF als Vertreterin der eingeladenen Gruppe junger Bäuer:innen mit einem detaillierten Forderungspapier, um ihre Zukunft als Agrarproduzent:innen zu sichern. Einige dieser Forderungen nach einer Nahrungsproduktion, die auf der Umsetzung des Rechts auf Nahrung, der UN-Erklärung der Rechte von Nahrungsproduzent:innen und dem Konzept der Ernährungssouveränität beruhen, finden sich sogar im Abschlusskommuniqué der Agrarministerkonferenz wieder.
Das Recht auf Nahrung als Grundlage für agrarpolitisches Handeln
Das Abschlusskommuniqué verweist erfreulicherweise auf die inklusiven Ergebnisse des Welternährungskomitees (CFS) und auf die wichtigen Beiträge dort von Zivilgesellschaft, Kleinbäuer:innen und indigenen Gemeinschaften (Absätze 28 und 29). Allerdings konnten sich die Minister:innen in Berlin wohl nicht drauf einigen, in diesem Gremium auch das Hauptforum zu sehen, wo ein Kriseninterventionsmechanismus geschaffen wird, der zur Lösung der aktuellen und zukünftigen Welternährungskrisen entwickelt und verabschiedet werden muss. So bleibt das CFS nur ein Instrument neben anderen, wie der vom deutschen Entwicklungsministerium favorisierten „Initiative für Ernährungssicherheit (GAFS)“.
Allerdings vermeidet das Abschlusskommuniqué mit vielen Vorschläge und Selbstverpflichtungen für eine Transformation, die Widersprüche und Interessenkonflikte zu benennen.
Zum Beispiel ruft das Dokument zum Offenhalten von Märkten (Absatz 9) und gleichzeitig zur Förderung lokaler Produktion (Absatz 11) auf. Wie soll beides funktionieren?
EU-Agrarpolitik im Widerspruch
Diesen Widerspruch konnte man auch auf der Abschlusspressekonferenz noch einmal erleben. Während Minister Özdemir etwas salopp als ein Ziel der Ernährungswende den Satz „Getreidesilos bauen statt Getreidesäcke schicken“ formulierte und damit dem Abbau der Importabhängigkeit als Krisenlösung für Hungerbewältigung und hohe Nahrungsmittelpreise den Vorrang gibt, betonten seine Tischnachbarn, der EU-Kommissar Janusz Wojciechowski und die kanadische Agrarministerin Marie-Claude Bibeau die Fähigkeiten ihrer Intensivlandwirtschaft mit Agrarexporten die Welt ernähren zu können. Daher ist der Satz des deutschen Landwirtschaftsministers schon verwunderlich, haben doch alle seine konservativen Vorgänger:innen ihre vehemente Unterstützung von Absatzmärkten für deutsche Produkte wie Milch, Fleisch und Getreide hervorgehoben. Da Herr Özdemir auf Nachfrage von Journalist:innen auch noch betonte, dass auch die EU Teil der globalen Transformation in der Ernährungswirtschaft sein müsste und seinen negativen Einfluss auf die Märkte von Entwicklungsländer abbauen sollte, so durch die massiven die EU Milch- und Geflügelexporte, dürften nicht wenige aus der Agrarwirtschaft nun laut gegen seinen „Verrat an deutschen Agrarinteressen“ wettern.
Da die Hauptzuständigkeit für Agrar- und Handelspolitik aber in Brüssel liegt, dürfte das deutsche Agrobusiness im EU-Agrarkommissar weiter einen starken Lobbyisten haben, der die Zeichen der Zeit auch nach diesem Agrarforum nicht gehört hat. Bester Beleg war das von der EU-Agrarkommission veranstaltete Podium auf dem GFFA. So antwortete Wojciechowski auf die Kritik an EU-Agrarexporten, wie stolz er darauf sei, dass die EU inzwischen der weltgrößte Agrarexporteur ist. Zur Freude der Agrarindustrie hatte die EU-Kommission auch schnell den Krieg gegen die Ukraine benutzt, um bereits beschlossene ökologische Vorgaben für die EU-Agrarsubventionen aufzuheben, damit angeblich noch mehr Weizen für die „hungernde Welt“ produziert wird. Verschwiegen wird dabei, dass schon weniger Verfüttern und Verheizen von Weizen für vielleicht anfallende Kriseninterventionen völlig ausreichen würden. Wen wundert es da noch, dass Kommissar Wojciechowski von den Agrarminister:innen der großen Agrarexportnationen Kanada und Australien auf den Podien abgefeiert wurde. Da wird es Bundesminister Özdemir schwer haben, die EU-Agrarpolitik in eine andere Richtung zu drehen.
Statt neuer Absichtserklärungen und Initiativen – handeln und umsetzen!
Diese widersprüchliche Haltung der EU und anderer Agrarexportnationen zeigt, dass die positive Stimmung des Agrarforums und das Abschlusspapier nicht automatisch zur Umsetzung einer Agrarwende in der Agrarproduktion führen werden. Aber genau das wäre nun notwendig, wie auch die Agrarkommissarin der Afrikanischen Union, Josefa Sacko auf einem Podium betonte. Dafür bedarf es rechtlicher Rahmen und Unterstützung, damit Initiativen wie die des ivorischen Agrarministers mit lokalem Maniok und Mais die Brotabhängigkeit von importiertem Weizen beenden, Erfolg haben.
Leider greift das Abschlussdokument die Hauptkritik, die Michael Fakhri am Vorgehen der Staatengemeinschaft geäußert hat, nicht auf. Auch fast ein Jahr nach dem Beginn des Angriffskriegs Russlands auf die Ukraine mit den schweren Folgen für die Welternährung kann sich die Weltgemeinschaft nicht einigen, wie eine nachhaltige Struktur für Krisenreaktionen aussehen soll. Ein paar Milliarden Dollar für kurzfristige Nothilfe zu sammeln oder sogar mit Kreditprogrammen der Weltbank den Kauf von Kunstdünger zu fördern, ist keine Krisenstrategie. Man nimmt dabei in Kauf, die Staatsverschuldungen der armen Länder zu steigern und ganz nebenbei auch die Gewinne der Agrarkonzerne zu vermehren. Wirkliche Krisenbewältigung sieht anders aus. Michael Fakhri hat auch recht, wenn er die Blockade für eine Krisenlösung im CFS nicht wirklich im Streit um eine solidarische Haltung zur Ukraine begründet sieht, sondern darin, dass zu einer nachhaltigen Überwindung der Welternährungskrise die großen Agrarexportnationen ihre Interessen zugunsten lokaler, agrarökologischer Lösungen reduzieren müssten.
Deutsch-Afrikanisches Agrardialogforum
Ob das einzige konkrete Projekt, ein deutsch-afrikanisches Agrardialogforum, das auf dem Agrarforum beschlossen wurde, ein Schritt in die gewünschte Richtung ist, bleibt abzuwarten. Es wird nicht deutlich, ob an diesem Dialog auch Zivilgesellschaft und Kleinbäuer:innen beteiligt werden. Außerdem dominieren auch bei afrikanischen Regierungen Phantasien von großen Intensivierungsprojekten in der Landwirtschaft, um selbst zu Agrarexportgrößen heranzureifen. Damit würden zukünftige Landkonflikte mit Kleinbäuer:innen vorprogrammiert. Die Einladung der afrikanischen Agrarkommissarin Josefa Sacko an Investoren die angeblichen 60 Prozent ungenutzter Landflächen zu kultivieren und die Versicherung, dass Afrika in spätestens 8 Jahren zum Global Player beim Weizenexport werden wird, dürfte vielen Bauernfamilien mit ihren in den meisten Ländern unsicheren Landtiteln eher Angst bereiten, als sie zu ermuntern, mehr und vielfältiger Produkte für ihre Märkte anzubauen. Wir hoffen also, dass das BMEL bei diesem Agrardialog eher entsprechend der Abschlusserklärung Agrarökologie, lokale Märkte und regionale Verarbeitung unterstützt und Betroffene und ihre Repräsentanten einbezieht.
Für ein neues Instrument zur Krisenintervention im Welternährungsausschuss
Wenn dieser Dialog mit afrikanischen Regierungen und Zivilgesellschaft aber dazu beitrüge, gemeinsam im Welternährungsausschuss den notwendigen Mechanismus für inklusive Lösungen von Welternährungskrisen mit allen Beteiligten zu entwickeln und gegen die Interessen der Agrarexporteure durchzusetzen, dann hätte das nächste Agrarforum 2024 auch schon ein neues Thema, nämlich die konkrete Ausgestaltung von Krisenbewältigung und Transformation und ein neues Abschlusskommuniqué wäre mehr als nur eine Absichtserklärung.