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Migration in Nordafrika: Ausgesetzt in der Wüste

Wie ergeht es Migrant*innen, die an den Grenzen im Norden Afrikas zurückgewiesen werden? Von den Folgen einer europäischen Politik, die Migrationskontrolle partout auslagern möchte und vor den Folgen die Augen verschließt. Ein Reisebericht

 

Von Silke Pfeiffer am
Niger Migration Rückführung Asylpolitik EU

Drei Männer machen sich von Niger aus auf den Weg durch die Wüste zur Grenze Algeriens.

Zwei- bis viertausend seien es derzeit pro Woche, sagt Moctar Nalosso von Alarm Phone Sahara (APS), einer Partnerorganisation von Brot für die Welt, die wir im Sahelstaat Niger besuchen. Er spricht von Migrantinnen und Migranten, die von den algerischen Sicherheitskräften derzeit an der Grenze zu Niger zurückgewiesen werden (siehe Landkarte unten). Was bedeutet: ausgesetzt in der Wüste. Mit seinen drei Motorrädern versucht das kleine Team von APS täglich den Vulnerabelsten auf dem Weg durch die Wüste zu helfen, älteren Menschen, schwangeren Frauen, Frauen mit Kleinkindern.

Assamaka, der nächstgelegene Ort in Niger, ist 15 Kilometer von der algerischen Grenze entfernt, 15 Wüstenkilometer; viele Menschen verlieren sich auf dem Weg. Von der libyschen Grenze aus, an der auch Abschiebungen stattfinden, sind es ungleich mehr Kilometer zum nächsten nigrischen Ort. Eine der traurigen Aufgaben von APS besteht darin, die Toten in der Sahara zu bergen. Assamaka hat 1.500 Einwohner, dazu kommen jetzt Tausende von gestrandeten Migrant*innen. In Assamaka sitzt auch die Internationale Organisation für Migration (IOM) der Vereinten Nationen und versucht, die Rückführung der Menschen in ihre Herkunftsländer zu organisieren. Der Weg führt meist über die nigrische Wüstenstadt Agadez, 450 km entfernt von Assamaka.

Viele Frauen erleben Gewalterfahrungen

In Agadez treffen wir Kolleg*innen von APS. Sie versorgen Migrant*innen, die Monate, wenn nicht Jahre auf ihre Rückführung warten. Wobei in Agadez mittlerweile zwischen Migrant*innen unterschieden wird, die von Algerien zurückgeschoben wurden, und denjenigen, die aus Libyen zurückkommen. Erstere werden in den IOM-Zentren mehr schlecht als recht versorgt. Für Letztere reicht das Geld derzeit nicht – die IOM ist deutlich unterfinanziert. Sie leben auf den Straßen von Agadez, unter Bäumen, in Bauruinen. Wir sprechen mit Esther, Evelyn und Adama aus Sierra Leone, Adama scheint die Wortführerin zu sein. Die drei hausen mit anderen Männern und Frauen und vielen Kleinkindern, 150 Menschen insgesamt, in einer Bauruine von Agadez. Bei 42 Grad Celsius gibt es kein Dach über dem Kopf, Wasser ist rar, Essen wird erbettelt, an Seife ist nicht zu denken. In den letzten Wochen seien sechs Kinder an Unterernährung gestorben, so Adama. Nach Europa sollte die Reise ursprünglich gehen. Raus aus dem Elend in Sierra Leone. Zusammen mit ihrer Schwester hatte Adama sich auf den Weg gemacht. Seit die Schwester auf der Reise ums Leben kam, ist Adama mit ihren eigenen drei kleinen Kindern und den zweien ihrer Schwester unterwegs. Esther, Evelyn und Adama wollen nun zurück nach Sierra Leone. Die Tage bestehen aus Warten und dem Versuch, irgendwie zu überleben. Viele der Frauen haben Gewalterfahrungen hinter sich.

Nicht nur algerische und libysche Sicherheitskräfte schieben Migrant*innen in die Wüste ab. Ende Mai berichteten Medien über Verschleppungen von Migrant*innen auch aus Tunesien, Mauretanien und Marokko. Alle drei Ländern haben großzügige EU-Finanzhilfen unter anderem zur Begrenzung der Migration erhalten. Die Berichte über gewalttätige Übergriffe und Folter an Migrant*innen in Haftzentren durch EU-finanzierte libysche Sicherheitskräfte gingen vor ein paar Jahren durch die Medien.

Lippenbekenntnisse ohne Konsequenzen

Der Kommissionspräsidentin dürften diese Praktiken gut bekannt sein. Reichlich zynisch muten daher vor dem Hintergrund fortlaufender Finanzierung die jüngsten Verlautbarungen Frau von der Leyens an: Die EU erwarte „von ihren Partnern, die Menschenrechte und die Menschenwürde aller Migranten, Flüchtlinge und Asylsuchenden zu respektieren“. Wohlfeile Lippenbekenntnisse, die ohne Konsequenzen bleiben. In Agadez sind sich die Aktivist*innen einig: Im Endeffekt ist es der EU nur recht, wenn die schmutzige Arbeit von den nordafrikanischen Staaten übernommen wird. Ein weiterer „Kollateralschaden“ dieser Politik: Wo auf europäischen Druck hin Grenzen hochgezogen werden, wird regionale Binnenmigration unterbunden, die eine tragende Säule von wirtschaftlicher Entwicklung ist.

Zurück in unserer Herberge in Agadez höre ich im Deutschlandfunk von den Ergebnissen der jüngsten Ministerpräsident*innenkonferenz. Zentrales Thema ist die Auslagerung von Asylverfahren an außereuropäische Drittstaaten – ein weiteres Modell, durch welches europäische Länder, nun auch Deutschland, Migrationskontrolle an Länder des Globalen Südens auslagern möchten. Trotz deutlicher Kritik der überwiegenden Mehrheit der Expertinnen und Experten, die das Bundesinnenministerium im Rahmen eines Prüfauftrags zur Machbarkeit einer möglichen Auslagerung gehört hat, beauftragen die Länderchefs die Regierung mit der Ausarbeitung konkreter Vorschläge. Eine Auslagerung sei rechtlich und praktisch kaum umsetzbar, hatten die Sachverständigen, darunter auch Brot für die Welt, gewarnt. Sie würde keine Kapazitätsengpässe im deutschen Asylsystem beheben, im Gegenteil: Der Ansatz würde zu einer erheblichen Mehrbelastung der Behörden führen – und wäre extrem teuer.

Deutschland braucht Migrant*innen

Expertise und Fakten zählen wenig, wenn man der Bevölkerung partout Ergebnisse präsentieren möchte, wie das „Problem“ Migration in den Griff zu bekommen sei. Dass kurzfristige Scheinlösungen den Regierenden und unserer Gesellschaft mittelfristig auf die Füße fallen, spielt offenbar leider keine Rolle, wenn man sich von der AfD treiben lässt.

Wann beginnen wir endlich zu verstehen, dass es für das Thema Migration keine einfache Lösung gibt? Dass rund 85 Prozent der Flüchtenden Zuflucht im Globalen Süden finden? Dass sie sich auch aus Gründen zur Flucht und Migration veranlasst sehen, die wir mitverursacht haben? Dass Herkunfts- und Transitländer und Organisationen, die sich um Geflüchtete und Migrant*innen in diesen Ländern kümmern, deutlich mehr Unterstützung für die Versorgung brauchen? Dass wir deutlich mehr legale Migrationswege schaffen müssen, damit Menschen wie Adama nicht durch die Wüste müssen, sondern Möglichkeiten haben, sich in Sierra Leone um ein Visum zu bewerben und, im Rahmen zirkulärer Migration, möglicherweise nach einiger Zeit wieder in ihr Land zurückzukehren? Wann begreifen wir, dass unser Land Migrant*innen dringend braucht?

Stattdessen im Radio die Ankündigung des Diskussionsthemas in der Sendung „Kontrovers“: „Was bringt mehr Schärfe in der Flüchtlingspolitik?“

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