Was können Sie uns über Handelsstrukturen in traditionellen afrikanischen Gesellschaften sagen?
Afrikanische vorkoloniale Gesellschaften trieben untereinander Handel. Der Handel basierte auf dem Austausch von spezialisierten Waren, die bestimmte Gemeinschaften herstellten. Im Norden des heutigen Uganda etwa wurden besondere Eisenwerkzeuge gefertigt, in der nordwestlichen Region Bunyoro wurde Salz aus dem Katwe-See gewonnen. Die Buganda-Region wiederum war dafür bekannt, dass die Bewohner*innen aus dem lokalen Mutuba-Baum Rindenstoff herstellten, mit dem Kleidung genäht wurde. Mit solchen Produkten fand reger Tauschhandel statt.
Wie hat der Kolonialismus die traditionellen Wirtschafts- und Handelsstrukturen beeinflusst?
Der Kolonialismus strukturierte die traditionellen Volkswirtschaften um: Sie wurden zu Außenposten der kolonialen Wirtschaft. Die Kolonien wurden Lieferanten von Rohstoffen wie Baumwolle, Kaffee, Tee und Tabakblättern, um den Bedarf der kolonialen Exportwirtschaft zu decken. Um diese Rohstoffe oder Vorprodukte in großen Mengen zu erhalten, raubten die Kolonialisten Land und vertrieben lokale Gemeinschaften. Statt weiter untereinander Handel zu treiben und Spezialisierungen wie auf Eisen auszubauen, wurden alle Gesellschaften auf den Anbau von Nutzpflanzen umgestellt. Die Verbindungen zwischen den afrikanischen Gesellschaften rissen dadurch ab, was sich bis heute auswirkt: Der Handel im Rahmen der Afrikanischen Kontinentalen Freihandelszone (AfCFTA) wird herausfordernd. Denn der innerafrikanische Handel wird auch dadurch beeinträchtigt, dass sich viele Länder mehr Waren mit ihren ehemaligen Kolonien austauschen als mit ihren Nachbarn in Afrika.
Gab es in der Kolonialzeit Unterschiede zwischen den afrikanischen Ländern? Begannen vielleicht einige mit der Weiterverarbeitung ihrer Rohstoffe?
Es gab keine großen Unterschiede: Alle afrikanischen Länder exportierten Rohstoffe und importierten die Fertigprodukte. In einigen Ländern wie Simbabwe gründeten die Kolonialherren zwar Industrien, aber das lag daran, dass sie dort Siedlungen gegründet hatten und entschlossen waren, für immer zu bleiben.
Welchem Zweck dienten die Produkte und Infrastrukturen?
Rohmaterialien wie Baumwolle wurden in der europäischen Textilindustrie weiterverarbeitet. Die Infrastruktur wurde entwickelt, um Rohstoffe an die Küste und dann nach Europa zu transportieren. Die erste von den Briten gebaute Eisenbahnlinie führte von der Ostküste bis zu den Kupferminen von Kilembe in West-Uganda. Die während des Kolonialismus geschaffenen Strukturen wurden Enklaven der Kolonialherren – und sind es im Grunde noch heute. Denn auch nach der formellen Unabhängigkeit wurden koloniale Strukturen durch Initiativen wie die Lomé-Abkommen gestärkt, indem die Kolonialherren den exportorientierten Sektoren der ehemaligen Kolonien weiterhin finanzielle Hilfe, technische Unterstützung und zollfreien Marktzugang gewährten.
Wie gingen die afrikanischen Staaten nach Erklärung ihrer Unabhängigkeit mit den alten kolonialen Handelsstrukturen um?
Die neuen unabhängigen Staaten sahen sich gezwungen, sich zu industrialisieren. Einige bauten eigene Leichtindustrien auf – mit Erfolg, weshalb die 1970er Jahre als „Goldenes Jahrzehnt“ bezeichnet werden. Die ehemaligen Kolonialherren wollten dies jedoch nicht gelten lassen – sie schlugen zurück, diesmal durch politische Auflagen wie den Strukturanpassungsprogrammen von Internationalem Währungsfonds und Weltbank. Auch das Cotonou-Abkommen aus dem Jahr 2000, das auf die Lomé-Abkommen folgte, und neuerdings die Wirtschaftspartnerschaftsabkommen verschärfen die Beziehungen zwischen Europa und seinen ehemaligen Kolonien.
Wie haben die Kolonialmächte nach der Unabhängigkeit versucht, die Interessen der Kolonialunternehmen zu verteidigen?
Europa hat versucht, die Interessen seiner Unternehmen durch handels- und investitionsbezogene Abkommen und Initiativen zu schützen. Im Rahmen der Lomé- und des EU-Präferenzsystems (Zollfreiheit für arme Länder) wurde sichergestellt, dass EU-Unternehmen Zugang zu Rohstoffen haben, aber vor Konkurrenz von Mehrwertprodukten auf dem EU-Markt geschützt sind. Die Wirtschaftspartnerschaftsabkommen (WPA) verbieten die Erhebung von Ausfuhrabgaben, was ebenfalls bedeutet, dass die Unternehmen problemlos Zugang zu Rohstoffen haben.
Sind die WPA eine Folge des Beitritts afrikanischer Länder zur Welthandelsorganisation (WTO)?
Die WPA sind eine Zumutung der EU. Die afrikanischen Länder haben sich in den vergangenen 20 Jahren geweigert zu unterzeichnen. Um sie zum Einverständnis zu zwingen, wendet Europa die Zuckerbrot-und-Peitsche-Taktik an: mal werden Hilfe und Finanzmittel versprochen, mal die Einfuhrzölle erhöht. Vor allem übt die EU innerhalb der regionalen Wirtschaftsgemeinschaften Druck auf die etwas besser entwickelten Länder aus. In der Ostafrikanischen Gemeinschaft hat deshalb Kenia die WPA unterschrieben und ratifiziert. Allerdings wird es für Kenia schwierig sein, das WPA umzusetzen, da die Region einen gemeinsamen Außenzolltarif hat.
Was halten Sie von der Doha-Runde, zu der sich die Wirtschafts- und Handelsminister*innen derWTO-Staaten 2001 in Katar trafen, um eine neue multilaterale Liberalisierung zu beschließen?
Die Doha-Runde war ein Versuch, die Probleme anzugehen, die die Entwicklungsländer seit langem in der WTO ansprechen hinsichtlich Schutzmaßnahmen im Agrarhandel, der Landwirtschaft oder Sonder- und Vorzugsbehandlungen für Entwicklungsländer. Das Scheitern der Doha-Runde zeigt den Zusammenbruch des multilateralen Handelssystems – und die wachsende Macht der Konzerne.
Ist die Freihandelszone AfCFTA (African Continental Free Trade Area) ein afrikanisches Modell?
Das AfCFTA ist eine afrikanische Initiative, eine Erfüllung der im Lagos-Aktionsplan festgelegten Ziele, auf die sich die Staatsoberhäupter der Organisation für Afrikanische Einheit (Vorgängerorganisation der Afrikanischen Union) schon 1980 geeinigt hatten. Es ist eine Initiative, die die Zersplitterung und Entflechtung der afrikanischen Märkte als Ergebnis des Kolonialismus und Neokolonialismus korrigieren soll. Obwohl AfCFTA mit einer Reihe von Anlaufschwierigkeiten zu kämpfen hat und auch Mängel bei der Konzeption und Umsetzung aufweist, ist es eine afrikanische Idee zur Bewältigung der Herausforderungen Afrikas.
Welche Rolle sollte der informelle Sektor im Rahmen dieser Afrikanischen Freihandelszone (AfCFTA) spielen?
Der informelle Sektor stellt in vielen afrikanischen Volkswirtschaften mehr als 70 Prozent der Arbeitsplätze. Ein großer Teil des grenzüberschreitenden Handels in Afrika wird von informellen Händler*innen abgewickelt. Dieser Sektor hat eine Schlüsselbedeutung für afrikanische Volkswirtschaften. Darum haben eine Reihe regionaler Wirtschaftsgemeinschaften, wie die Ostafrikanische Gemeinschaft, vereinfachte Handelsregularien eingeführt, um kleinen grenzüberschreitenden Händler*innen, deren Produkte aus der jeweiligen Region stammen, den Handel zwischen den benachbarten Regionen der Mitgliedsländer zu erleichtern.
*Jane Seruwagi Nalunga ist Direktorin von SEATINI Uganda. Einer NRO, die in Ostafrika über Wirtschafts- und Handelsfragen informiert. Jane berät auch die Handelsexpert*innen der Regierungen Ostafrikas in Fragen der WTO und Verhandlungen mit der EU. Sie ist Expertin für Handels-, Steuer- und Investitionsfragen im Allgemeinen und für multilaterale, bilaterale, regionale und nationale Handels- und Investitionsrichtlinien und -abkommen im Besonderen. Jane ist Mitglied der Global Reference Group, die Brot für die Welt in strategischen Fragen aus Perspektive von Partnerorganisationen und Fachexpert*innen des Globalen Südens berät.
*Boniface Mabanza Bambu ist Koordinator der Kirchlichen Arbeitsstelle Südliches Afrika (KASA) in der Werkstatt Ökonomie Heidelberg e. V.
Dieser Beitrag erscheint anlässlich des 140. Jahrestages der Berliner Kolonialkonferenz, die vom 15. November 1884 bis zum 26. Februar 1885 stattfand. Bei der Konferenz teilten die Kolonialmächte den afrikanischen Kontinent unter sich auf und legten ihre Einflusssphären fest. Die Ergebnisse der Konferenz haben bis heute Auswirkungen auf die Lage in Afrika und internationale Politikprozesse insgesamt.