„Papa, muss ich Deutschland verlassen, wenn ich in der Schule mal Blödsinn baue?“, fragt meine zehnjährige Tochter mich gestern beim Frühstück.
„Nein, wie kommst du denn auf so verrückte Ideen?“, frage ich zurück. Aber mir dämmert schon, woher der Wind weht. Meine Tochter hat Radio gehört. Und sie hat eine doppelte Staatsbürgerschaft, wenn auch eine ziemlich langweilige (deutsch-österreichisch).
„Der jetzt Bundeskanzler werden will, der will allen Menschen, die was Dummes tun, und die noch einen deutschen Pass haben, wegschicken“, fährt meine Tochter fort. „Haben sie im Radio gesagt.“ Volltreffer.
„Nein, das wird niemals passieren“, versuche ich sie (und auch mich) zu beruhigen. „Hast du Angst?“ Keine Reaktion.
Ich könnte jetzt sagen: „Keine Sorge, du bist mit dem Vorschlag nicht gemeint, dir wird das nicht passieren.“ Und das stimmt wahrscheinlich auch. Der Vorstoß von CDU-Kanzlerkandidat Friedrich Merz zielt eher nicht auf deutsch-österreichische Doppelstaatsbürger*innen, zumindest solange sie weiß sind und höchstens einen niedlichen österreichischen Zungenschlag haben. Aber was ist mit Aliya, der Mitschülerin meiner Tochter? Oder mit Baghwan? Oder Maxym? Was sagen deren Eltern ihren Kindern, wenn sie mit der gleichen Frage auf sie zukommen? „Ihr seid nicht gemeint“? Wohl kaum. Denn: Sie sind gemeint.
Politik der Spaltung
Friedrich Merz´ Vorstoß, straffälligen Deutschen mit Doppelpass die Staatsbürgerschaft abzuerkennen, treibt einen scharfen Keil in die deutsche Gesellschaft – und weckt Erinnerung an die Debatte vor der Einführung des neuen Staatsangehörigkeitsrechts. Merz und die CDU teilen die Gesellschaft in zwei Gruppen: jene, denen die deutsche Staatsbürgerschaft qua Abstammung gehört; deren Deutschsein so tief verwurzelt scheint, dass man es ihnen einfach nicht wegnehmen kann. Und den anderen, die die Deutsche auf Zeit sind, Deutsche auf Bewährung.
Unterschiedliche Kritiker*innen haben Merz´ Überlegungen als rassistisch bezeichnet, als populistisch und verfassungswidrig. Gesellschaftspolitisch ist der Vorstoß vor allem auch eins: ausgrenzend und spalterisch. Er sendet an einen konstitutiven Teil der deutschen Gesellschaft – den Aliyas, den Baghwans und den Maxyms – die Botschaft: „Ihr gehört hier eigentlich nicht dazu. Ihr seid grundsätzlich anders als wir, die wirklichen Deutschen. Und deswegen werdet ihr auch grundsätzlich anders behandelt.“
Was für ein rückwärtsgewandtes Signal an eine Migrationsgesellschaft, die Deutschland längst geworden ist! Was für ein gefährliches Signal in einem Land, welches gerade einen neuen Rekord an rechtsextremen Gewalttaten zu verzeichnen hat. Und was für ein fatales Signal für die Schule meiner Tochter, in der nach Merz´ Einteilung viele Schüler*innen Staatsbürger*innen zweiter Klasse sind. Was macht dieser Diskurs mit diesen Schüler*innen – und mit ihrer Beziehung zu ihrer Heimat Deutschland? Bei mir (österreichischer Pass – zugegebenermaßen derzeit auch zum Fremdschämen) führt es zu einer starken Entfremdung. Ich will nicht Teil einer Gesellschaft sein, die auf dem Ausschluss anderer basiert.
Gleiche Rechte für alle
Zurück in unser Wohnzimmer. „Hab' keine Angst“, sage ich meiner Tochter. „Egal, ob du Blödsinn baust oder nicht, du kannst für immer in Deutschland bleiben und immer nach Deutschland zurückkommen. Deutschland ist ein Rechtsstaat. Hier gelten für alle die gleichen Gesetze – und die gleichen Rechte. Dafür werde ich kämpfen. Und viele andere auch. Versprochen.“