In Ihren bisherigen Büchern haben Sie über Greenwashing oder die Palmölindustrie geschrieben. Für Ihr aktuelles Buch „Öl ins Feuer“ sind Sie an Schauplätze der Fossil-Industrie gereist. Was waren die Eindrücke, die am stärksten bei Ihnen nachhallten?
Ich hatte wie viele wahrscheinlich eine abstrakte Vorstellung von der Öl- und Gasindustrie. Deshalb wollte ich wissen: Wie sieht diese Industrie wirklich aus, wie fühlt sie sich an? Ich war mit Aktivistinnen und Aktivisten unterwegs, die in Communities direkt an diesen petrochemischen Anlagen leben. Es sind insbesondere people of color, arme Menschen, die seit Generationen diesem Gift und dieser Luftverschmutzung ausgesetzt sind. Man nennt diese Orte „sacrifice zones“ – Opferzonen. Zu sehen, wie diese Industrie menschenverachtend agiert und sie die Politik mit laxen Vorschriften unterstützt, wie viele Unfälle dort passieren – das hat mich wirklich umgehauen. Ich habe immer wieder nachfragen müssen: Ist das wirklich legal?
Wo waren Sie genau und was haben Sie gesehen, was Sie an der Rechtmäßigkeit hat zweifeln lassen?
Ich war in Louisiana und in Texas unter anderem an der sogenannten „cancer alley“ unterwegs, der Krebsallee. Die Straße führt 180 Kilometer entlang des Mississippi. Dort sind 200 petrochemische Anlagen aneinandergereiht. Dazwischen waren Friedhöfe, als würden sie zu diesen Anlagen gehören. Und das tun sie im Prinzip auch.
Inwiefern?
Dort liegen die Opfer dieser Industrie. Sie sind Nachfahrinnen und Nachfahren der Versklavten. Denn diese Fabriken stehen auf ehemaligen Zuckerrohrfeldern, auf denen deren Vorfahren gearbeitet haben. Zwischen Versklavung und Umweltrassismus verläuft also eine sehr gerade Linie. Nach meinem Besuch habe ich regelmäßig Videos zugeschickt bekommen. Da explodieren Tanks in unmittelbarer Nähe zu Wohnhäusern. Gas wird abgefackelt, was Luftverschmutzung und einen unglaublichen Krach zur Folge hat. Bis heute lässt mich das nicht los, weil ich weiß, dass die Menschen, die ich dort kennen und lieben gelernt habe, diesem Irrsinn jeden Tag ausgesetzt sind. Mit einem Satz: Ich habe in die Hölle geschaut.
„Gegenwehr kommt von Leuten aus der Ölindustrie“
Wie haben Sie die Menschen erlebt, die Sie auf Ihren Reisen getroffen haben?
Ich war zum Beispiel mit dem Afroamerikaner John Beard dort unterwegs, wo der texanische Ölboom Anfang des 20. Jahrhunderts begann. Er ist in einem Viertel aufgewachsen, das eingekeilt ist zwischen zwei der größten Ölraffinerien der USA. Wir sind nachts durch den Ort gefahren, von dessen Villen und Banken nur noch Ruinen stehen, und wir sahen die großen Giftwolken über den Himmel ziehen. Man denkt, das ist nur an einem Ort so krass. Aber es ist entlang der ganzen Küste ziemlich ähnlich. Dann habe ich Sharon Lavigne getroffen. Als ich mit ihr im Auto saß, konnte ich gar nicht so schnell mitschreiben, wie sie auf Häuser zeigte und sagte: Hier hat der Vater Krebs. Dort die Mutter. Da die beiden Kinder. Sie hat mit einer Graswurzelbewegung eine Plastikfabrik vor ihrer Haustür verhindern können. Was ich dabei interessant fand: Der Aktivismus kommt nicht von einer Umweltorganisation, die aus den Städten kommt, ein Plakat aufhängt und wieder verschwindet. Da ärgern sich dann alle und sagen: Moment mal, hier geht’s um unsere Jobs. Die Gegenwehr kommt vielmehr von Leuten, die selbst aus der Ölindustrie stammen. John Beard hat dort selbst 40 Jahre gearbeitet. Dadurch genießen diese Leute ein ganz anderes Vertrauen und sie haben viele Menschen um sich, die einfach keine Opfer mehr sein wollen.
Nach wie vor haben Konzerne der Fossil-Industrie großen Einfluss auf Gesellschaft und Politik, unter anderem mit dem Argument, Arbeitsplätze zu schaffen. Welche Konsequenzen hat das?
Das Interessante ist, dass es diese Arbeitsplätze gar nicht in der Menge gibt, wie sie versprochen werden. Für die Golfküste gibt es Studien, die belegen, dass die Anzahl der Anlagen gestiegen ist, aber die der Arbeitsplätze gesunken sind, weil vieles automatisiert ist. Der Einfluss ist schon seit Jahrzehnten groß. Die Industrie hat über lange Zeit Klimawandelleugner finanziert. Und jetzt inszeniert sie sich als Retter mit Scheinlösungen. Also zum Beispiel mit Carbon Capture Storage, kurz CCS. Damit soll CO2 abgeschieden und gespeichert werden. Man denkt, es ist eine Klimaschutz-Technologie. Dabei ist es eine Ölförder-Strategie: CO2 wird in Ölfelder gepumpt. Denn dadurch lässt sich die Ölausbeute steigern. Oder es werden in irrer Geschwindigkeit LNG-Export-Terminals errichtet, von denen aus das Flüssigerdgas unter anderem nach Deutschland transportiert wird. Solche Scheinlösungen ins Zentrum der Debatten zu rücken, um immer weiter wachsen zu können, ist für mich die fatalste Konsequenz.
„Ökologische und soziale Fragen gehören zusammen“
Was ist aus Ihrer Sicht die Erklärung dafür, dass die Fossilindustrie trotz aller Demonstrationen und Proteste immer weiter expandiert?
Was ich in den USA beobachtet habe: Die Expansion findet vor allem bei Plastik und Dünger statt. Das sind die Haupttreiber des Wachstums der petrochemischen Industrie. Drei Viertel der aus Öl und Gas produzierten Chemikalien gehen in diese Industrien. Und ein Drittel der Plastik-Produktion wird für Verpackungen verwendet. Auch das Gas aus den LNG-Terminals, die jetzt in Deutschland errichtet werden, geht vor allem in die chemische Industrie. Diese Konzerne fliegen völlig unter dem Radar. Es wird also ein irrer Schaden angerichtet, um Dünger herzustellen, der die Böden ruiniert, und Einwegverpackungen, die letztlich im Müll landen.
Ihr Buch zeichnet ein sehr düsteres Bild von unserer Welt. Was macht Ihnen selbst Hoffnung?
Wir müssen uns mehr global vernetzen, um diesen Kampf gegen die fossile Industrie voranzubringen. In den USA habe ich viele tolle Beispiele gesehen, wie das funktionieren kann. Gerade im Kampf gegen die LNG-Terminals haben sich viele Menschen zusammengetan, um zum Beispiel gemeinsam Einreichungen zu formulieren. Und es gibt noch einen weiteren Aspekt, der mir Mut macht. Das Klima rutscht immer wieder von der politischen Agenda nach dem Motto: Darum kümmern wir uns, wenn es keine anderen Probleme gibt. In den USA habe ich Menschen erlebt, die viele andere ermutigen mitzumachen. Das haben sie geschafft, indem sie die ökologischen und die sozialen Fragen nie voneinander trennen. Ich habe den Eindruck: Sobald Menschen spüren, dass es um sie geht und nicht um irgendwas Abstraktes, sind sie auch ansprechbar. Um den Wandel zu beschleunigen, muss man immer wieder klar machen: Von der Klimakrise ist man umso stärker betroffen, je weniger Geld man hat.
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Offenlegung: Kathrin Hartmann und Kai Schächtele haben in der Vergangenheit zusammen gearbeitet und sich gemeinsam in einem Verband für freie Journalistinnen und Journalisten engagiert.