Die Studie wurde unter dem Titel „Negotiating an End to the War in Ukraine – Ideas and Options to Prepare for and Design a Negotiation-Process“ Anfang September veröffentlicht. Die Autor:innen - Thania Paffenholz, Alexander Bramble, Philip Poppelreuther und Nick Ross - zeigen an historischen Beispielen auf, welche umfassenden Vorbereitungsmaßnahmen erforderlich sind, um Kriege zu beenden und Waffenstillstände zu erwirken oder gar Friedensverhandlungen einzuleiten. Sie verdeutlichen, dass diese wichtigen Vorarbeiten oft während fortgesetzter Kampfhandlungen erfolgen. Die Untersuchung richtet sich an politische Mandats- und Entscheidungsträger:innen, Zivilgesellschaft, Forschende und Medienschaffende und soll den Diskurs über mögliche Verhandlungen mit umfangreichen Fakteninformationen unterlegen. Der Report bietet keine Rezepte dafür, wie und zu welchem Zeitpunkt im Fall des Angriffskriegs Russlands gegen die Ukraine eine Waffenruhe erreicht und ein gerechter Frieden ausgehandelt werden kann. Das ist verständlich, da die Bereitschaft für Verhandlungen wesentlich davon abhängt, wie die Beteiligten die militärischen Aussichten einschätzen. Auch äußert sich die Studie nicht zum konkreten Inhalt und Gegenstand möglicher Verhandlungen. Die Verfasser:innen sondieren eher, welche Rahmenbedingungen nötig sind und welche Formate in der gegenwärtigen Situation erfolgversprechend erscheinen.
Diplomatische Koordinierung
Aufgrund der historischen Vergleiche gehen die Autor:innen davon aus, dass sich Friedensschlüsse, die durch Verhandlungen erzielt wurden, nachhaltiger erweisen als eine Beendigung von Kämpfen durch militärischen Sieg, sofern die zugrundeliegenden Konfliktursachen bearbeitet werden können. Im Falle des aktuellen Kriegs Russlands gegen die Ukraine weisen sie zudem darauf hin, dass diverse militärische Lageeinschätzungen inzwischen eine Pattsituation beschreiben, in der voraussichtlich keine Seite einen militärischen Sieg erringen kann. Dies spricht erst recht dafür, Verhandlungsoptionen zu durchdenken und frühzeitig dafür zu sorgen, geeignete Rahmenbedingungen zu schaffen. Dafür braucht es diplomatische Koordinierungsmechanismen zwischen Staaten (Kontaktgruppen, oder Gruppen von Mediatoren), sowie thematische Expertengruppen, die Aushandlungsprozesse für einen Waffenstillstand und gegebenenfalls daraus resultierende Friedensverhandlungen über einen längeren Zeitraum hin begleiten. Zudem sollten zivilgesellschaftliche Allianzen beteiligt werden, auch um einen Wiederaufbau in gerechter Weise mitzugestalten.
Bilaterale und multilaterale Verhandlungen verknüpfen
Nach Einschätzungen der Autor:innen umfasst der aktuelle Krieg vielfältige Dimensionen, nämlich zum einen den seit Februar 2022 geführten „heißen zwischenstaatlichen Krieg“, dem ein „internationalisierter innerstaatlicher Krieg“ in der Ostukraine vorausging, und zum anderen einen übergeordneten „kalten Krieg“ zwischen Russland und der NATO mit zahlreichen geopolitischen Implikationen. Angesichts dieser komplizierten Ausgangslage plädiert die Studie für einen komplexen und mehrdimensionalen Verhandlungsrahmen: „The complex situation calls for at least two and potentially three interrelated but discrete levels of negotiation: bilateral talks could ultimately result in a ceasefire/armistice/peace agreement), multi-party negotiations (including Ukraine) on new terms for the Eurasian peace and security architecture, and – potentially – a space for intra-Ukraine exchange on an inclusive reconstruction process. (…) The negotiations—in both bilateral and multi-party formats—could be divided into separate tracks to address different thematic issues, either sequentially or in parallel. They could also involve specialised working groups or commissions that support the work of the respective thematic tracks. One rationale for this would be to create a degree of flexibility regarding the sequencing of negotiations in the face of currently unknowable questions, such as whether a ceasefire can be reached while other issues remain unresolved.”
„Ownership“ der Ukraine gewährleisten
“Ownership” des Prozesses durch die Ukraine sei die oberste Prämisse, meinen die Autor:innen. Man müsse aus den Fehlern der Verhandlungen um die Minsk-Akommen (2014 und 2015) lernen, wo deren Interessen nicht genügend beachtet worden seien. Die Devise laute daher: “nothing about Ukraine without Ukraine.” (Report, S. 5) Gleichwohl seien bilaterale Verhandlungen zwischen der Ukraine and Russland angesichts der globalisierten Dimension nicht ausreichend, sondern die regionale Sicherheitslage müsste mit thematisiert werden: „As such, two further options present themselves: a small group of states could be given official roles in Ukraine–Russia talks short of full participation; or a multi-party format could be adopted to foster a more cooperative dynamic by affording a degree of representation to a greater number of actors. Both these options could also include a small group of thirdparty states, and actors from civil society, business, or faith organisations in the modalities described above. Some form of external intermediaries, such as mediators, facilitators, or guarantors, could support the parties in pursuing negotiations, both for bilateral talks between Ukraine and Russia, and a multi-party format.” (Report, S. 5)
Sichtweisen des globalen Südens einbeziehen
Angesichts des sich neu formierenden „kalten Kriegs“ zwischen Russland und der NATO, so beobachten die Autor:innen, formiere sich derzeit eine Art Neuauflage einer internationalen Bewegung von Staaten im Globalen Süden („non-aligned movement“), die teilweise massiv von den ökonomischen Folgen des Kriegs betroffen seien, sich aber nicht in einen neuen „kalten Krieg“ einbinden lassen wollen. Einige hätten begonnen, sich für Friedensverhandlungen im Russland-Ukraine-Krieg einzusetzen. Die Interessen und Perspektiven dieser Länder müssten ebenfalls berücksichtigt werden.
Die Studie umfasst einen 90-seitigen Report, sowie eine 8-seitige zusammenfassende Briefing Note. Beide Texte sind in pdf-Version (in englischer Sprache) auf der Website von "Inclusive Peace" kostenlos erhältlich. Die volle Studie finden sie hier. Die Briefing Note ist hier erhältlich.