Luis, du arbeitest schon lange beim Salvadoreanischen Umweltteam UNES. Was macht die Arbeit von UNES aus?
UNES besteht nun schon seit 35 Jahren. Anfangs lag der Schwerpunkt auf dem Naturschutz. Nach und nach verlegte er sich auf die politische Ökologie. Der Klimawandel gehört als Thema unausweichlich dazu. Wir beschäftigen uns mit Wasserressourcen, dem Risikomanagement, Ernährungssicherheit, Extraktivismus. Klimagerechtigkeit ist für die UNES wichtig. Wer den Klimawandel verursacht, muss dafür die Verantwortung übernehmen.
Bei unserer Arbeit vor Ort wollen wir die Menschen sensibilisieren. Wir untersuchen in Landkreisen und Provinzen, welche Anpassungsnahmen an den Klimawandel sinnvoll sind und tragen mit Informationen zum Risikomanagement auf nationaler Ebene bei. Dabei hilft uns ein gemeindebasiertes Klima-Monitoringsystem, das wir aufgebaut haben. Ebenso entwickeln wir ausgerichtet an unseren Schwerpunkten Vorschläge für die öffentliche Politikgestaltung.
Auf regionaler Ebene sind wir Teil von Plattformen, die Lobby- und Advocacy-Arbeit betreiben. Ein Beispiel dafür ist das Forum Verwundbares Zentralamerika, ein anderes die globale Kampagne für Klimagerechtigkeit. Auch beim Climate Action Network Latin America (CANLA) sind wir präsent. Bei Ereignissen wie den COPs, den UN-Klimakonferenzen, oder bei anderen Klimaveranstaltungen versucht UNES in Zusammenarbeit mit anderen Organisationen, ein bisschen Einfluss auf die Position auszuüben, die die armen, unterentwickelten Länder bei den Verhandlungen einnehmen. Wir unterbreiten Vorschläge zu Themen wie Schäden und Verluste, Anpassung und Linderung, Finanzierung, Technologietransfer. Ich selber bin ausgebildeter Anwalt und sehe mich als Umweltaktivist. Bei UNES bin ich unter anderem für die Lobbyarbeit zuständig.
Uns muss aber klar sein, dass die erzielten Fortschritte bisher gering sind. Das Interesse der zentralamerikanischen Regierungen an den Klimathemen ist beschränkt. In El Salvador und mehreren Ländern der Region macht der zunehmende Autoritarismus die Situation komplizierter. Menschenrechte werden weniger beachtet, die Demokratie erleidet Rückschläge. Umweltthemen werden in diesem Kontext zweit-, dritt-, oder viertrangig.
Welche konkrete Schäden und Verlusten durch den Klimawandel in El Salvador beobachtest du?
Schäden und Verluste treten dann auf, wenn die Anpassungsmaßnahmen nicht mehr greifen, beispielsweise eine Ernte unwiderruflich verloren ist. Es gibt mehrere Wirtschaftsbereiche, in denen diese Schäden und Verluste auftreten. Am wichtigsten ist jedoch das Ernährungsthema. Es gibt landwirtschaftliche Flächen, die keine vernünftigen Erträge mehr bringen. Wenn der Maisertrag aufgrund von Klimaveränderungen zurück geht, bleibt nur die Möglichkeit, nach Saatgut zu suchen, das mehr Regen erträgt oder mit weniger Regen auskommt. Ich kann Bodenuntersuchungen vornehmen, um zu erforschen wie die Anpassung bei Verlusten aussehen muss. Aber wenn es gar keinen Regen mehr gibt oder es so viel regnet, dass in jedem Fall Verluste auftreten, dann sprechen wir von wirklich dauerhaften Schäden und Verlusten. Ein anderes Beispiel: Komplette Ökosysteme wie die Mangrovenwälder gehen durch den Temperaturanstieg verloren.
Du hast das Monitoring-System als lokale Erfahrung erwähnt. Wie funktioniert es?
Wir haben das System mit Unterstützung von Organisationen aus Nicaragua aufgebaut, weil dort schon Expertise bestand. Hier in El Salvador arbeiten wir mit Frauen und Männern, die in ihren Gemeinden anerkannt sind. Sie kontrollieren beispielsweise Niederschlagsmengen, registrieren die Temperaturen. Außerdem führen sie biophyische Arbeiten durch, untersuchen den Säuregehalt des Wassers und der Böden, dokumentieren die biologische Vielfalt. Damit wollen wir gemeindebasierte Klimaindikatoren sammeln, Klima und Niederschläge in den Kontext von historischen Parametern stellen. Diese informieren beispielsweise darüber, ab welcher Wasseransammlung sich eine Katastrophe ankündigt.
Wir hatten Anfang Oktober den Tropensturm Julia mit seinen heftigen Folgen. Es war ein extremes Ereignis mit viel Wasser und Wind, wobei letzterer an vielen Orten für heftige Schäden sorgte. Doch durch das Monitoring haben wir festgestellt, dass die nachfolgenden Niederschläge in den Provinzen Ahuachapán und Sonsonate die Regenmengen von Julia sogar noch überstiegen haben. Das Monitoring hilft in so einem Fall die Risiken zu identifizieren. Das kann beispielsweise zu einer schnellen gemeindebasierten Evakuierung führen, selbst wenn von den staatlichen Behörden weit und breit keine Spur zu sehen ist. Die Menschen in den Gemeinden haben sich diesen Prozess angeeignet. Sie haben gesehen, wie wichtig es ist, die Daten zu dokumentieren, um auf lokaler Ebene Entscheidungen zu treffen.
UNES und andere zentralamerikanische Organisationen wollen das Thema der Schäden und Verluste auf die Agenda der UN-Klimakonferenz COP 27 in Ägypten bringen. Welche Erwartungen hast du an die Konferenz?
Eine gute Frage… Wir haben die fehlenden Fortschritte beim Thema Schäden und Verluste auf den vergangenen Klimakonferenzen analysiert. Das Komplizierte dabei: Nach dem Abkommen von Paris, der COP21, ist kein Finanzierungsmechanismus entwickelt worden, der in der Praxis umgesetzt werden könnte. Es hat nur Gespräche dazu gegeben, den Glasgow Dialog, das Santiago Netzwerk. Doch es gibt kein wirkliches Angebot. Keines der Industrieländer, die den Klimawandel verursacht haben, will seine Verantwortung als historische Verantwortung übernehmen und Schäden und Verlust wirklich kompensieren. Wenn, dann als humanitäre Hilfe, als allgemeine Unterstützung angesichts des Klimawandels. Es existiert der stark von Deutschland unterstützte Vorschlag, sich über Klimarisikoversicherungen gegen Schäden und Verluste abzusichern. Möglicherweise könnte der Staat die Kosten dafür als Teil einer öffentlichen Politik tragen. Aber auch hier möchte ich anmerken, dass die wirklichen Verursacher ihre Verantwortung nicht übernehmen. Das Risiko wird letztendlich wie eine Privatangelegenheit behandelt.
Andererseits gilt: Das multilaterale System der Vereinten Nationen ist DER existierende Raum, in dem wir unsere Anliegen vorbringen können. Bei aller Langsamkeit wird der Klimawandel heute zumindest als globales und menschengemachtes Phänomen anerkannt. Das sah vor 20 Jahren noch anders aus. Was erwarten wir also von dieser COP? Es darf nicht alles weiter nur auf Versprechen aufbauen. Die Mechanismen müssen operationalisiert werden. Die Zivilgesellschaft muss sich verstärkt beteiligen können. Nicht nur bei den Klimakonferenzen, sondern den Verhandlungsprozessen insgesamt. Das mögen vage Hoffnungen sein. Es bleibt uns aber nichts anderes übrig als zu versuchen, eine antreibende Rolle zu spielen.
Das Interview wurde am 20. Oktober 2022 auf dem XIII. Forum Verwundbares Zentralamerika in San Salvador von Gerold Schmidt geführt.