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Umstrittenes „Agentengesetz“ in Georgien beschlossen

Am 14. Mai hat das georgische Parlament trotz großer Proteste das hoch umstrittene „Gesetz zur Transparenz ausländischer Einflussnahme“ verabschiedet. Georgische NGOs befürchten, dass die Regierung damit kritische und unabhängige NGOs und Medien unterdrücken und gängeln wird. Das Land ist polarisierter denn je. Dies ist Teil 2 der Background Blogs zum Atlas der Zivilgesellschaft.

Von Christine Meissler am
Weltkarte des Atlas der Zivilgesellschaft 2024

Die Weltkarte des Atlas der Zivilgesellschaft 2024 zeigt, dass Freiheitsrechte in den meisten Ländern dieser Welt beschränkt werden.

Über Wochen ging die georgische Zivilgesellschaft in Massen fast täglich auf die Straße, um gegen den Gesetzentwurf zu protestieren. Die Demonstrierenden nahmen dabei Polizeigewalt und Verhaftungen in Kauf. Unsere Partnerorganisation Georgian Young Lawyers‘ Association (GYLA) beschreibt die Situation in der Nacht vom 30. April auf den 1. Mai mit folgenden Worten: „Die angewandte physische Gewalt kam Folter, unmenschlicher und erniedrigender Behandlung gleich.“ Mit der Untersuchungshaft gegen Demonstrierende sei die Versammlungsfreiheit verletzt worden. Premierminister Kobakhidze, erst seit Februar 2024 im Amt, und seine Regierung ließen sich von den Massenprotesten nicht beirren. Noch vor einem Jahr zog sein Vorgänger den Gesetzentwurf wegen der großen Proteste zurück.

Was beinhaltet das Gesetz?

Das Gesetz sieht vor, dass Nichtregierungsorganisationen, die mehr als 20 Prozent ihrer Einnahmen aus dem Ausland erhalten, sich als „Agenten ausländischer Einflussnahme“ registrieren lassen müssen oder mit hohen Geldstrafen zu rechnen haben. Die georgische Präsidentin Zourabichvili bezeichnete das Gesetz in einem Interview als Kopie des russischen Gegenstücks, das 2012 in Kraft trat. Sie hat angekündigt, ihr Veto einzulegen. Es wird aber erwartet, dass dieses vom georgischen Parlament überstimmt und das Gesetz damit letztendlich in Kraft treten werden wird.

Gerade weil das Gesetz dem russischen so ähnlich ist, befürchten viele, dass es wie in Russland zur Unterdrückung von Dissens, freier Meinungsäußerung und Vereinigungsfreiheit eingesetzt werden wird. Denn die unabhängige georgische Zivilgesellschaft, wie Menschenrechts- oder Umweltorganisationen, sind wie unabhängige Medien auf Finanzmittel aus dem Ausland angewiesen. Allein durch Spenden aus Georgien können sie ihre Arbeit nicht finanzieren. Problematisch ist, dass der Begriff „ausländischer Agent“ unterstellt, dass NGOs mit Gebern aus dem Ausland wie Brot für die Welt „verräterische“ Aktivitäten im Dienste „ausländischer Interessen“ ausüben. Das Gesetz in Russland hat gezeigt, wie zerstörerisch sich „Ausländische-Agenten-Gesetze“ in ihrer Umsetzung auf die Zivilgesellschaft auswirken können: Betroffene Organisationen müssen dort jedes halbe Jahr detaillierte Berichte und Finanzübersichten einreichen und sich Prüfungen unterziehen. Wenn selbst ältere Publikationen nicht mit dem Label „Ausländischer Agent“ gekennzeichnet werden, drohen Strafverfahren. Durch das Agenten-Label werden NGOs, ihre Mitarbeitenden und Freiwilligen gesellschaftlich diskreditiert, sodass sich sogar Menschen, die von der Arbeit der NGOs profitiert haben abwenden. Die Regierung verweigert die Zusammenarbeit. Diese Entwicklungen und tätliche Angriffe auf NGOs und ihre Vertreter:innen (Störung ihrer Veranstaltungen, Überfälle usw.) haben dazu geführt, dass viele Organisationen zum Aufgeben gezwungen wurden.

Einschüchterung von NGOs und Mitarbeitende

Brot für die Welt erreichten in den letzten Tagen Berichte von Partnerorganisationen aus Georgien, dass Büros von NGOs nachts aufgebrochen, durchwühlt und mit Farbe besprüht wurden. Private Autos und Häuser von NGO-Mitarbeitenden und deren Familienangehörigen wurden mit diffamierenden Slogans wie „Verräter“ großflächig besprüht oder beklebt. Aktivist:innen erhielten anonyme Anrufe von Menschen, die sie bedrohten und dazu aufforderten, ihre Handlungen gegen das Gesetz zu stoppen.

Zusammen mit anderen NGOs forderte das Anwaltskollektiv GYLA über Wochen, dass der Gesetzesentwurf zurückgezogen werden müsse. Sie sehen in dem Gesetz „in seinen Zielen und Inhalten ein russisches Gesetz, das sich gegen den vom georgischen Volk unterstützten westlichen Kurs richtet.“ Das Gesetz wurde für alle diejenigen, die Georgien auf dem Weg zur EU Integration und mehr Demokratie sehen, zum Symbol derer, die Georgien an der Seite Russlands wollen. Überall dem schwebt auch die Angst vor einen Krieg mit Russland. Fünfeinhalb Jahre vor der Besetzung der Krim im Jahr 2014 überrollten im Jahr 2008 russische Truppen Georgien. Seit dem Fünf-Tage-Krieg ist russisches Militär in den Regionen Abchasien und Südossetien (zusammen ca. 20% des georgischen Staatsgebiets) stationiert und hält die völkerrechtlich zu Georgien zählenden Provinzen faktisch besetzt. Viele Georgier:innen befürchten, dass Russland bei einem militärischen Erfolg in der Ukraine als nächstes ihr Land für weitere Gebietseroberungen ins Visier nehmen wird.

Wie reagiert die EU?

Im Dezember 2023 erklärten die Mitgliedsstaaten der EU Georgien offiziell zum Beitrittskandidaten. In einem Brief einige Tage vor der Parlamentsentscheidung forderten zwölf EU-Außenminister:innen, darunter Annalena Baerbock, den Außenbeauftragten der Union, Josep Borrell, auf, der Regierung in Tiflis eine „direkte und klare“ Warnung zukommen zu lassen. Am Montagabend sollen die Regierungen der EU Mitgliedstaaten an einer gemeinsamen Reaktion gearbeitet haben. Doch Ungarn, das von der Slowakei unterstützt wurde, lehnte eine gemeinsame EU-Erklärung ab, in der das Gesetz verurteilt werden sollte. So kam keine gemeinsame Verurteilung des Gesetzes durch die EU-27 zustande, sondern ein Statement Borrells, in dem er Georgien auffordert, dass Gesetz zurückzuziehen. Die UN, NATO, die USA und der Europarat taten es ihm gleich.

Wahlen im Oktober

Im Herbst wird in Georgien ein neues Parlament gewählt. Ein erneuter Sieg der Regierungspartei „Georgischer Traum“ ist wahrscheinlich angesichts der zersplitterten Opposition. Vermutlich ist ein Ziel der Partei, mit dem „Agentengesetz“ das nationalkonservative Elektorat hinter sich zu vereinen und die Opposition und die kritische Zivilgesellschaft als Handlanger ausländischer Kräfte aus dem Westen hinzustellen. Diese Verleumdungspropaganda, unterstützt durch die georgisch-orthodoxe Kirche, wirkt in großen Teilen der Bevölkerung. Sie spaltet die Gesellschaft immer mehr. So stehen sich z.B. jung und alt, städtisch und ländlich immer mehr gegenüber. Vor der Wahl soll die Kritik derer, die sich für Transparenz, Demokratie und Menschenrechte einsetzen und von der europäischen Zukunft ihres Landes träumen, zum Schweigen gebracht werden. Wahrscheinlich wird  die unabhängige Wahlbeobachtung durch NGOs eines der ersten Opfer des neuen Gesetzes werden. Somit wächst das Risiko, dass die Wahl im Oktober manipuliert werden wird. Mehr Demokratie und ein EU-Betritt, den sich nach Umfragen mehr als 80% der Bevölkerung wünschen, werden so in weite Ferne rücken.

 

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