Seit knapp 20 Jahren sind europäische Sicherheitsakteure wie die Europäische Agentur für die Grenz- und Küstenwache (Frontex) und die spanische Guardia Civil in verschiedenen Ländern Westafrikas präsent. Im Jahr 2006 startete Frontex ihre erste Mission außerhalb der EU, Operation Hera, und patrouilliert 10 Jahre in den Küstengebieten von Senegal, Mauretanien und Kap Verde, um Boote mit Flüchtenden und Migrant*innen an der Weiterfahrt Richtung Kanarische Inseln zu hindern. Ähnliche Ziele verfolgt die Guardia Civil mit der Operation Seahorse oder dem Projekt Gar-Si-Sahel, welches Spanien mit mehr als 70 Millionen Euro finanziert, und an dem auch die französische Polizei beteiligt ist. All diesen Einsätzen ist eines gemeinsam: sie betrachten Migration vor allem als Sicherheitsrisiko, welches es zu bekämpfen gilt.
Frontex in Westafrika: Migrationskontrolle unter dem Radar
In der europäischen Öffentlichkeit ist über diese Einsätze nur wenig bekannt. Dabei hat Frontex in den letzten Jahren seine Arbeit in Westafrika stark ausgeweitet. So arbeitet die Agentur am Aufbau des Africa Frontex Risk Analysis Cell Network. Dabei werden an unterschiedlichen strategischen Orten in Afrika Daten von Migrant*innen und Geflüchteten gesammelt (bspw. auch durch die Auslesung von Handydaten) und miteinander verknüpft. Ziel ist es, Daten über Migrationsbewegungen in Richtung Europa zu sammeln, um mögliche zukünftige Einsätze vorzubereiten. Außerdem hat die Agentur Verbindungsbeamte in westafrikanische Länder entsandt und zahlreiche Arbeitsvereinbarungen mit westafrikanischen Staaten geschlossen. Die Ankündigung der Europäischen Kommission im Jahr 2022, Statusabkommen von Frontex mit Mauretanien und Senegal abzuschliessen, um dort an Land operativ tätig zu werden, stellt den vorläufigen Höhepunkt der Externalisierungsbestrebungen dar.
Trotz dieser immer größeren Präsenz von Frontex und anderen europäischen Sicherheitsakteuren in Westafrika steht eine öffentliche Debatte darüber erst am Anfang. Das liegt sicherlich auch daran, dass das Agieren von Frontex, Guardia Civil und Co sehr intransparent ist und genauere Informationen nur schwer zu beschaffen sind. Umso wichtiger sind die Bemühungen von Aktivist*innen und Wissenschafter*innen aus Westafrika und Europa, diese Aktivitäten kritisch zu beleuchten – wie etwa bei einem Treffen in Dakar im August 2023. Auch einige Mitglieder des Europäischen Parlaments wie Tineke Strik beschäftigen sich seit einiger Zeit intensiv mit den Fragen, mit welchem Mandat Frontex in Westafrika unterwegs ist, wie die Agentur für mögliche Menschenrechtsverletzungen bei dortigen Einsätzen zur Rechenschaft gezogen werden kann – und ob Frontex in der Region zukünftig überhaupt operieren soll.
Externalising the EU border regime – Mitschnitt der Online-Veranstaltung
Ziel der gemeinsamen Online-Veranstaltung von Brot für die Welt, migration-control.info und dem Westafrikabüro der Rosa-Luxemburg-Stiftung am 10.10. war es, zu einer stärkeren öffentlichen Auseinandersetzung über die Rolle von Frontex und Co in Westafrika beizutragen. Dort diskutierten wir gemeinsam mit Tineke Strik (MEP, The Greens/EFA), Moctar Dan Yaye (Alarm Phone Sahara), Saliou Diouf (Boza Fii), Mariana Gkliati (University of Tilburg), Jane Kilpatrick (Statewatch), Leonie Jegen (University of Amsterdam), Hassan Ould Moctar (London School of Economics) folgende Fragen.
Was machen Frontex und andere europäische Sicherheitskräfte im Bereich der Migrationskontrolle in Westafrika genau?
Was sind die politischen und menschenrechtlichen Folgen dieser Aktivitäten in Mauretanien, dem Niger und dem Senegal?
Wie könnte eine gemeinsame kritische Arbeit zu dem Thema aussehen, die auch politische Wirkmächtigkeit entfaltet?
Welche Folgen könnten die politischen Umstürze in mehreren westafrikanischen Staaten für die weiteren Externalisierungsbestrebungen der EU im Bereich der Migrationsabwehr haben?