Die Wurzeln des Weltsozialforums liegen im lateinamerikanischen Aktivismus der 1990er Jahre gegen eine entfesselte neoliberale Globalisierung mit ihren Nebenwirkungen für lokale Gemeinschaften. Bis heute sind die Foren zentrale, aus dem globalen Süden initiierte und verantwortete Orte für weltweit brennende soziale Fragen. In dieser Zeit multipler Krisen gibt es davon reichlich: die fortschreitende Klima- und Biodiversitätskrise, das Erstarken autoritärer Regierungen, massiven Gegenwind in Fragen der Gleichberechtigung, anhaltende Kriege und geopolitische Spannungen.
Über 1.000 Nichtregierungsorganisationen, Gewerkschaften, Bauernverbände, Jugendorganisationen und akademische Einrichtungen aus über 80 Ländern nehmen in diesem Jahr teil – und verschaffen besonders denen Gehör, die von den negativen Auswirkungen betroffen sind. Nepal erweist sich 2024 als bemerkenswerter Veranstaltungsort, da das Land in den vergangenen Jahrzehnten eine demokratische Entwicklung und die Verbesserung politischer und sozialer Bedingungen errungen hat.
Was eine Beteiligung am Weltsozialforum bringen könnte, erläutert Reverend Tolbert Jallah aus Liberia vom Faith and Justice Network: „Wir setzen uns in Liberia gegen den Ausverkauf unseres Landes an ausländische Investoren ein. Auf dem Weltsozialforum wollen wir Netzwerke sowie Mitstreiterinnen und Mitstreiter treffen, um Erfahrungen zu Strategien auszutauschen, aber auch um Teil von globalen Netzwerken zu werden, die sich für Demokratie, Transparenz und Mitbestimmung lokaler Gemeinschaften einsetzen. Unser Ziel: gemeinsam Konzerne und Finanzinvestoren zur Verantwortung ziehen.“
Weltsozialforum: Schmiede etlicher wichtiger Initiativen
Immer wieder wird von den Organisator:innen und Beteiligten der alle zwei Jahre stattfindenden Weltsozialforen die Frage gestellt, wie das, was im Rahmen der vielen Workshops, Podien und Versammlungen diskutiert wird, stärker eine Wirkung im politischen Raum, also in politischen Entscheidungen und Maßnahmen entfalten kann. Bisher wird bewusst darauf verzichtet, eine gemeinsame politische Abschlusserklärung zu erarbeiten, die konkrete Forderungen an politische Entscheidungsträger:innen enthält. Statt in tagelangen Verhandlungen einen kleinsten gemeinsamen Nenner zu finden, will das Weltsozialforum losgelöst von dieser Art Zwängen einen Raum bieten, anhand von diversen Themen Erfahrungen und Lösungsmöglichkeiten zu diskutieren, sich zu vernetzen und Allianzen zu bilden, um daraus Folgeprozesse und gemeinsame Aktivitäten in Folge der Foren zu initiieren.
Aus den bisherigen Weltsozialforen sind etliche wichtige Initiativen entstanden, um die Jahrtausendwende zum Beispiel die weltweite Bewegung für eine Finanztransaktionssteuer zur Bändigung der sozialen Schäden durch massive Währungsspekulationen. 2011 in Dakar wurde ein stark beachteter Aufruf gegen den von Agrar- und Energiekonzernen zunehmenden Landraub entwickelt. Auf beiden Foren in Tunis (2013 und 2015) wurden die Demokratiebewegungen in Nordafrika unterstützt und Demokratie- und Gerechtigkeitsdiskurse in die Foren integriert. Dies führte 2016 zur viel beachteten Weiterentwicklung der Klimabewegung zu einer Menschenrechts- und Gerechtigkeitsbewegung unter der Forderung nach Klimagerechtigkeit. 2018 standen in Salvador de Bahia die Unterdrückung von Indigenen, LGBTIQ und Rassismus im Vordergrund, während 2021 wegen der Pandemie das Forum nur online stattfand, mit dennoch einigen Hundert Veranstaltungen und 15.000 Teilnehmenden.
Zwischen den Weltsozialforen finden in der Regel auch thematische und regionale Foren statt, zum Beispiel zu Migration, Extraktivismus, ein Pazifisch-Asiatisches Forum oder im Vorfeld zum Weltsozialforum in Nepal ein indisches Sozialforum. Auch über ein neues europäisches Sozialforum wird aktuell diskutiert.
Brot für die Welt ist auch 2024 dabei
Brot für die Welt ist seit Gründung des Weltsozialforums 2001 Mitglied in dessen Internationalem Rat und unterstützt regelmäßig die lokalen Organisationskomitees. Während die zivilgesellschaftlichen Handlungsräume weltweit kleiner werden, bietet das Weltsozialforum Raum und Gelegenheit, diese wieder zu stärken. Auch reflektieren wir die eigene entwicklungspolitische Arbeit: Was läuft gut? Wo sollten wir korrigieren? Was lässt sich von anderen lernen?
Mit vielen der beteiligten Organisationen aus dem kirchlichen und säkularen Raum ist Brot für die Welt in seiner politischen und Förderarbeit eng verbunden. Auch 2024 wird deshalb eine Delegation von Brot für die Welt vor Ort sein.
Gemeinsam mit dem Right to Food Network Nepal und FIAN International (FoodFirst Informations- und Aktions-Netzwerk) werden wir Teilnehmenden des Weltsozialforums unmittelbar vor dem offiziellen Beginn des Forums die Möglichkeit geben, Landwirtschaftsprojekte vor Ort kennenzulernen. Dabei können wir von den politischen Entwicklungen in Nepal lernen, auch durch einen Austausch mit lokalen Behörden, da im Land das Recht auf Nahrung im Jahr 2015 in die Verfassung übernommen wurde. Während des Weltsozialforums werden die Ergebnisse in zwei Workshops präsentiert und diskutiert, um „Lessons Learned“ auch für andere Weltregionen nutzbar zu machen.
Dazu passt, dass wir eine der Hauptveranstaltungen zu „20 Years of the Right to Food Guidelines: Past, Present and Future“ verantworten. Die Leitlinien sollen strukturelle Ursachen und Ungleichheiten in Ernährungssystemen reduzieren und haben viele nationale Richtlinien und Gesetze beeinflusst. Welche Fortschritte wurden in den vergangenen 20 Jahren gemacht? Welche Herausforderungen sind geblieben? Wir sind gespannt, welche Initiativen aus Diskussionen zu diesen Fragen hervorgehen.