Nach dem überstürzten Abzug der westlichen Militärmission aus Afghanistan, mit dem auch die meisten zivilen und entwicklungspolitischen Akteure das Land verließen, steht nun das Engagement der Bundesrepublik und anderer EU-Mitgliedsstaaten in Mali ebenfalls vor dem Ende. Die Zusammenarbeit mit der Militärregierung, die sich im Mai 2021 an die Macht geputscht hat, gestaltet sich immer schwieriger. Unter anderem wurden Überflugrechte verweigert, Aufklärungsflüge verboten und der Transport von Verletzten behindert. Weil unter diesen Umständen die Sicherheit des deutschen Bundeswehrkontingents nicht mehr gewährleistet werden kann, einigten sich das Verteidigungs- und Außenministerium darauf, dass dieses bis Mai 2024 schrittweise aus Mali abgezogen werden soll. Wegen der unsicheren Situation und der Kooperation der malischen Militärregierung mit russischen Söldnern hatte die EU schon im April 2022 die Ausbildung von Militärs (EUTM) ausgesetzt. Die deutsche Beteiligung wurde kurz darauf eingefroren. Das Bundeswehrkontingent wurde von 600 auf 300 halbiert und damit beauftragt, die EU-Mission "Gazelle" in Niger zu verstärken. Gleichzeitig hat man die Beteiligung an der UN-Mission MINUSMA aber von 1.100 auf 1.400 Soldatinnen und Soldaten erweitert, der Bundestag gab grünes Licht für ein Mandat bis Mai 2023. MINUSMA wurde vom UN-Sicherheitsrat bis 2024 verlängert. Dabei handelt es sich um einen der verlustreichsten UN-Einsätze, denn seit dem Start 2013 bis heute verloren 272 Soldatinnen und Soldaten in dieser Mission ihr Leben.
Frankreich hatte sich in den letzten Jahren sukzessive aus diversen Militäroperationen (zum Beispiel aus dem Kampfeinsatz "Barkhane") und schließlich auch aus der UN-Mission verabschiedet. Der fehlen seither Kampfhubschrauber als Unterstützung aus der Luft. Auch Großbritannien und die Niederlande beendeten ihre Beteiligung. Das Bundesverteidigungsministerium wollte daher auch den deutschen Einsatz abbrechen, das Außenministerium hingegen bis zu den im Februar 2024 erwarteten Wahlen präsent bleiben. Das wird jedoch nur möglich sein, wenn das Militärregime von weiteren Behinderungen und Schikanen absieht, so hat es Verteidigungsministerin Christine Lambrecht bei einem Besuch in Bamako am 16.12.2022 verdeutlicht.
Konflikt zwischen dem Westen und Russland
Mit der Präsenz russischer Söldner der "Gruppe Wagner" in Mali hat sich der Sahel zu einem weiteren Schauplatz der Auseinandersetzung zwischen dem Westen und Russland entwickelt. Diese Truppe stieß in das Vakuum, das Frankreich mit seinem Abzug von Kampftruppen hinterlassen hat. Mit ihrer kurzsichtigen Mali- und Sahel-Politik der letzten Jahre und Jahrzehnte tragen Frankreich, Deutschland und die EU jedoch eine erhebliche Mitverantwortung für die aktuelle Situation. Trotz ihres massiven finanziellen und militärischen Engagements hat sich die sicherheitspolitische, wirtschaftliche, soziale und humanitäre Lage weiter dramatisch verschlechtert. Die europäische Politik steht an einem Scheideweg. Das bisherige Engagement sollte kritisch reflektiert und evaluiert werden, um eine Neuorientierung zu ermöglichen.
Debatte der Bundeszentrale für politische Bildung
Die Bundeszentrale für politische Bildung will mit einer Online-Debatte die Diskussion dazu anstoßen, wie das weitere Engagement im Sahel aussehen könnte. Dort wurden zwei Beiträge von Martina Fischer (Brot für die Welt) und Ulf Laessing (Konrad Adenauer Stiftung) veröffentlicht, die im PDF-Format abrufbar sind:
Militärhilfe & Öffentlichkeitsarbeit
Ulf Laessing fragt sich, wie ein Strategiewechsel aussehen könnte. Er plädiert für die Fortsetzung von Mitärhilfen. Er meint, dass der Bundeswehr-Einsatz in Mali und Niger weiterhin Sinn macht und dass Deutschland trotz vieler Rückschläge sein Engagement in der Sahelregion noch ausbauen sollte. Er empfiehlt den EU-Mitgliedstaaten, über die Europäische Friedensfazilität verstärkt Waffen in die Region zu exportieren. Diese berge viele Risiken für Europa, wie Migration, Drogenschmuggel sowie Sicherheitsfragen, die durch Russlands Engagement noch verstärkt werden. Zudem müsse man gezielte Strategien entwickeln, um den von Russland lancierten Narrativen entgegenzuwirken. Viele Menschen glaubten der russischen Propaganda und die EU-Staaten hätten dieser bisher nichts entgegengesetzt. Deutschland und andere westliche Staaten müssten viel stärker an die Öffentlichkeit gehen, um ihre Erfolge und den Nutzen ihrer Einsätze in den Sahelstaaten besser zu kommunizieren. Ein Deutschland-Informationszentrum für die frankophone Welt, wie es jetzt von der Ampelkoalition beschlossen und im Senegal gestartet werde, sei ein Schritt in die richtige Richtung (ursprünglich war dessen Aufbau in Mali geplant). Um den russischen Einfluss wirksam zurückzudrängen, brauche es eine aktivere Öffentlichkeitsarbeit.
Mehr Politikkohärenz & Überwindung des militärischen Tunnelblicks
Der Beitrag von Martina Fischer zieht eine insgesamt kritische Bilanz und fordert eine sorgfältige Auswertung des bisherigen Engagements. Er fordert vor allem ein gemeinsames und koordiniertes europäisches Vorgehen. Die bisher stark konkurrierenden Sahel-Politiken der Mitgliedsstaaten müssten in eine kohärente und schlüssige Politik überführt und die Besonderheiten der einzelnen Länder stärker berücksichtigt werden. Man müsse den militärischen Tunnelblick überwinden und militärische, entwicklungspolitische und diplomatische Bemühungen in einem politischen Gesamtkonzept besser miteinander verknüpfen. Zudem wäre es an der Zeit, zivile Alternativen zum Umgang mit extremistischer Gewalt zu entwickeln. Vor allem aber müssten die EU-Mitgliedstaaten ihre Politik insgesamt glaubwürdiger gestalten und sich von doppelten Standards lossagen, etwa im Umgang mit Rechtsstaatlichkeit, sowie im Bereich der Klima- und Migrationspolitik. Statt Diktatoren und instabile Regierungen mit Militärhilfe dafür zu belohnen, dass sie Migrantinnen und Migranten aufhalten, gelte es, sichere Wege und mehr legale Möglichkeiten für Einwanderung nach Europa zu schaffen und die Herausforderungen im Einklang mit dem UN-Migrationspakt zu lösen. Und man müsse mit einer ambitionierten Entwicklungs-, Umwelt- und Klimapolitik einen überzeugenden Beitrag dafür leisten, die strukturellen Konfliktursachen (und Fluchtgründe) zu überwinden und auch die Wirtschafts- und Handelsbeziehungen gerechter gestalten.