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„Wir haben es satt“: Endlich gutes Essen für alle!

10.000 Menschen demonstrieren in Berlin für eine Agrarwende, damit Kleinbäuer:innen zu fairen Löhnen produzieren und sich alle Menschen mit gesunden und umweltverträglichen Lebensmitteln ernähren können. Der Landwirtschaftsminister Cem Özdemir nimmt eine Protestnote mit einem 6-Punkte-Plan für gutes Essen entgegen und die Demonstrierenden singen gemeinsam im Chor.

Von Redaktion am
Wir haben es satt-Demonstration, Argarwende

Sefu Sani vom World March of Women ist aus Kenia angereist, um bei der "Wir haben es satt"-Demonstration zu sprechen

Um 10 Uhr stehen vor dem Auswärtigem Amt rund 200 Vertreter*innen aus der kleinbäuerlichen Landwirtschaft. Dabei auch zwei Traktoren, geschmückt mit Bannern mit der Aufschrift „Power to the Bauer“ und „Zugang zu Saatgutvielfalt statt Abhängigkeit von Gentechniken“. Im Ministerium findet zu diesem Zeitpunkt die internationale Agarministerkonferenz statt. Seit 2008 treffen sich die für Landwirtschaft und Ernährung zuständigen Ministerinnen und Minister im Januar in Deutschland. In diesem Jahr nimmt zum ersten Mal der UN-Sonderberichterstatter für das Recht auf Nahrung teil, der Menschenrechts- und Ernährungsexperte Michael Fakhri.

Das mag der Tatsache geschuldet sein, dass sich die globale Ernährungssituation dramatisch verschlechtert hat: Jeder zehnte Mensch auf der Erde ist derzeit von Hunger bedroht. Und es hat im Moment nicht den Anschein, als sei die Politik in der Lage zu der grundsätzlichen Agrarwende, die Bäuerinnen und Bauern seit langem fordern.

Jeden Tag schließen zehn Landwirtschaftsbetriebe

„Vor knapp einem Jahr haben wir Sie schon einmal besucht, Herr Özdemir“, sagt Georg Janßen, Bundesgeschäftsführer der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) zu Beginn der Kundgebung. „Und es hat nicht den Anschein, als habe sich seitdem etwas getan, im Gegenteil.“

Elisabeth Fresen, Bundesgeschäftsführerin der AbL und Bäuerin aus Niedersachsen berichtet aus eigener Anschauung, wozu die schleichende Verschlechterung der Arbeitsbedingungen in der Landwirtschaft führt. Jeden Tag müssten in Deutschland zehn landwirtschaftliche Betriebe schließen. Auf vielen Höfen herrsche existenzielle Not: zu wenig Einkommen bei steigenden Kosten, hohe Arbeitsbelastung und bedrohte Ernten durch Extremwetter, während 95 Energie- und Lebensmittelkonzerne ihre Gewinne im vergangenen Jahr mehr als verdoppelt hätten. „Von Agrarminister Özdemir verlangen wir deshalb, den überfälligen Umbau der Land­wirtschaft zügig und sozial gerecht anzugehen. Die Konzepte liegen vor und werden von Bäuer*innen, Umweltschutz und Gesellschaft getragen. Worauf warten Sie?“

Und die Bäuerin Chengeto Muzira von der Brot für die Welt-Partnerorganisation ZIMSOFF, die aus Simbabwe angereist ist und auch vor der Ministerkonferenz spricht, berichtet von den Problemen der Landwirtschaft im globalen Süden: Multinationale Agrarkonzerne geben vor, wonach sich lokale Bäuer:innen richten müssen. Und gleichzeitig werden die Böden immer unfruchtbarer und die Erträge immer geringer.

Özdemir bittet um Verständnis

Gemeinsam übergeben sie eine Protestnote, die unter anderem einen „6-Punkte-Plan für gutes Essen für alle“ beinhaltet. Über 100 Organisationen – von Landwirtschaft über Umwelt- und Sozialverbänden bis zu Gewerkschaften und Erwerbslosen-Initiativen – fordern von der Bundesregierung darin höhere Sozialleistungen, faire Erzeuger:innenpreise und gute Löhne. Und außerdem machen die Bäuer:innen darin klar, dass Saatgut Gemeingut ist. Viele Betriebe sind von multinationalen Saatgutkonzernen abhängig, die mit ihren Patenten bestimmen, welches Saatgut mit welchen Eigenschaften auf den Markt kommt. Diese Entwicklungen seien fatal und erschwerten die Verwirklichung des Rechts auf Nahrung und die Überwindung des Hungers.

Özdemir bedankt sich bei den protestierenden Bäuer:innen und nimmt die Protestnote sowie einen symbolischen Teller mit Saatgut entgegen. Er betont aber gleichzeitig, dass für solche Forderungen an die Regierung Mehrheiten erforderlich seien. Und: Man könne nicht in einem Jahr die unzureichende Politik aus den vergangenen 16 Jahren aufarbeiten.

Getreide auf den Teller, nicht in Trog und Tank

Wenig später verabschiedet sich der Agrarminister und die Bäuer*innen bewegen sich zusammen mit 60 Traktoren in Richtung Brandenburger Tor, wo bereits Tausende von Demonstrant*innen vor der Bühne versammelt sind. Auf der Bühne geht die Kritik an der Agarpolitik der amtierenden Bundesregierung weiter. So beklagt Lisa Reichmann, Kampagnenleiterin bei Campact, die Tatenlosigkeit des Agrarministers. Die Agrarwende brauche „einen Bundeslandwirtschaftsminister, der anpackt, sich einsetzt für weniger Pestizide, mehr Lebensmittel auf dem Teller statt im Tank und eine Mittelverteilung nach ökologischen Kriterien.” Damit benennt sie einen Kritikpunkt, der an diesem Tag immer wieder aufkommt: Viel zu viel Getreide landet nicht auf dem Teller, sondern im Trog für die Produktion von Fleisch oder in Tanks als Ersatz für Benzin.

In diesem Jahr wird die Hungerbekämpfung besonders verstärkt durch die Inflation und auch in Deutschland sind Menschen von der Entscheidung zwischen Heizen und ausreichend Nahrung betroffen. Umso bedeutender ist es in diesem Jahr, dass sich der „Wir haben es satt“-Bewegung auch Sozialverbände angeschlossen haben. Darunter auch Diakonie Deutschland.

Deren Vorständin für Sozialpolitik Maria Loheide sagt: „Soziale und ökologische Fragen dürfen nicht gegeneinander ausgespielt werden. Wir fordern, dass jeder Mensch die Mittel zur Verfügung haben muss, sich ausgewogen, gesund und nach­haltig zu ernähren. Sozialleistungen und Einkommen müssen hoch genug sein, um sich an der sozial-ökologischen Agrar- und Ernährungswende beteiligen zu können.“

„Heal the world“ im Chor

Zum Singen bringt die Menschen die Brot für die Welt-Partnerin Sefu Sani, die aus Kenia angereist ist. Sie fordert in ihrer Rede das Recht auf Nahrung und Landwirtschaft ein für die ländliche Bevölkerung, Bäuer*innen, Indigene und alle Menschen, denen Land geraubt wurde. „Wir brauchen eine Transformation der Ernährungssysteme, das Ende der Abhängigkeit vom Norden und echte Ernährungssouveränität durch agrarökologische und regionale Märkte“, sagt sie, assistiert von Stig Tanzmann, dem Landwirtschaftsreferenten von Brot für die Welt. „Die Politik muss sich an den am stärksten Benachteiligten ausrichten, nicht an Entwicklungshilfegeber:innen oder Investor:innen.“

Anschließend stimmt sie „Heal the world“ von Michael Jackson an und sorgt nicht nur dafür, dass trotz der beißenden Kälte bei 3 Grad viele mitsingen. Sondern auch dafür, dass bei den Demonstrierenden so etwas wie Hoffnung und Freude aufkommt. Die Lage ist so ernst wie seit Jahrzehnten nicht mehr und viele Entscheidungen auf nationaler und internationaler Ebene verliefen in den vergangenen Monaten nach dem Modell business as usual. Dennoch sind viele an diesem Samstag in Berlin getragen vom Willen, an der Wende teilzuhaben, und Sefu Sani schafft es, diesem Ehrgeiz eine Stimme zu geben, vielmehr: viele verschiedene.

Dass die Notwendigkeit einer Agrarwende alle Menschen betrifft, spiegelt sich auch in der Vielfältigkeit der Demonstrierenden wider. 60 Organisationen haben zu der „Wir haben es satt“-Demonstration aufgerufen. Der anschließende Marsch ist in verschiedene Blöcke gegliedert, von einem Jugendblock über Tierschützer:innen, Klimaaktivist:innen bis hin zum Block der Diakonie Deutschland und Brot für die Welt. Insgesamt demonstrieren knapp 10 000 Menschen für eine gerechte Agrarwende und gutes Essen für alle – und das ist nach zwei Jahren coronabedingter Pandemie-Pause eine gute Nachricht.

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Kleinbäuerin Claudine Hashazinyange mit Avocados vom Baum ihres Schwiegervaters.

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