Interview

„Wir haben in Deutschland genug Geld“

Kathrin Strobel leitet den Bereich Internationale Programme. Dessen Arbeit verbessert nicht nur das das Leben von Millionen Menschen überall auf der Welt. Auch die deutsche Gesellschaft profitiert davon. Strobel ist überzeugt: Wer die Interessen der Schwachen hierzulande gegen die Bedürftigkeit von Menschen weltweit ausspielt, handelt nicht nur moralisch falsch, sondern auch politisch kurzsichtig.

Von Kai Schächtele am
Kathrin Strobel Entwicklungszusammenarbeit

Seit April leitet Dr. Kathrin Strobel bei Brot für die Welt den Bereich Internationale Programme.

Frau Strobel, in Ihrem Bereich arbeiten etwa 250 Menschen. Was machen die konkret?

Unsere Partnerorganisationen machen die eigentliche Arbeit. Das heißt, an der Seite von Brot für die Welt stehen Tausende Menschen mehr. Wir unterstützen sie finanziell, mit Beratungsangeboten, Stipendien und der Entsendung von Fachkräften mit spezieller Expertise. Dadurch leisten wir einen Beitrag zur Stärkung der Zivilgesellschaft in 83 Ländern und für Ernährungssicherheit, Frieden, Bildung, Gesundheit. Also Themen, von denen wir wissen, dass sie entscheidend sind für die nachhaltige Verbesserung der Lebensbedingungen.

Können Sie an einem Beispiel erläutern, was das konkret bedeutet?

Zum Beispiel arbeiten Partnerorganisationen mit Gemeinschaften, die keine zentrale Stromversorgung haben. Sie sorgen für Strom aus Solarpanelen. So können dann zum Beispiel Kinder abends noch ihre Hausaufgaben machen. Außerdem steigt die wirtschaftliche Aktivität, wenn Menschen ans Stromnetz angeschlossen sind. Dadurch wächst das Einkommen. Und mit den gestiegenen Einkommen verbessern sich langfristig die Lebensverhältnisse.

Was habe ich davon, wenn wir Solarpanele in Afrika finanzieren?

Solche Fragen stellen sich auch im größeren Rahmen: Warum geben wir Geld in anderen Ländern aus, wenn es hier bei uns so viel Bedürftigkeit gibt? Selbstverständlich müssen wir in unsere Solidargemeinschaften investieren und die Schwachen unterstützen. Tatsache ist aber, dass die Einsparungen in der internationalen Entwicklungszusammenarbeit gar nicht die Bedarfe hierzulande decken können. Dafür sind die Budgets des Entwicklungsministeriums und des Auswärtigen Amts im Vergleich zu klein. Es wird daher ein völlig falsches Dilemma aufgemacht, wenn es heißt: Schwache in unserer Gesellschaft würden leiden, weil wir Schwache in anderen Ländern unterstützen. Das ist nicht nur inhaltlich falsch, sondern auch kurzsichtig.

Inwiefern?

Wir haben in Deutschland genug Geld, um sowohl den Schwachen hierzulande zu helfen als auch unsere Rolle in der Welt zu stärken. Die notwendige Finanzierung käme aus Quellen, die etwas heikel sind für unsere Politikerinnen und Politiker. Zum Beispiel aus dem Abbau klimaschädlicher Subventionen. Oder indem man die Wohlhabenden in unserer Gesellschaft stärker besteuert. Und das hätte auch für uns Vorteile. Mehr wirtschaftliche Aktivität durch Solarpanele sorgt langfristig zum Beispiel dafür, dass Gesellschaften stabiler und damit friedlicher sind. Damit haben wir starke demokratische Partner. Und das stärkt unsere Rolle in der Welt und damit unsere Sicherheit, die Wirtschaft und unseren Wohlstand. Es schafft eine Welt, in der wir leben wollen.

„Ohne die Zivilgesellschaft gibt es keine Veränderung“

Laut dem Entwurf für den Bundeshaushalt 2025 soll der Etat des Entwicklungsministeriums um 940 Millionen Euro sinken. Welche Auswirkungen hätte das auf Ihre Arbeit?

Das Budget von Brot für die Welt würde um zehn Prozent gekürzt. Wer schon einmal in einem Sportverein oder in der Jugendhilfe aktiv war, weiß, mit wie wenig finanziellen Mitteln unglaublich wichtige Arbeit gestemmt wird. Um diese enorme Summe einzusparen, müssten viele Organisationen, die wir fördern, Kürzungen in Kauf nehmen. Das würde zu einer massiven Schwächung der globalen Zivilgesellschaft führen. Mir ist wichtig: Als kirchliches Entwicklungswerk erreichen wir Menschen im ländlichen Raum. Denn Kirchen und kirchliche Organisationen sind gerade dort, wo der Staat und viele andere zivilgesellschaftliche Organisationen nicht präsent sind. Ohne sie wäre gesellschaftliche Veränderung nicht möglich. Diesen Hebel würden wir mit diesen Kürzungen schwächen.

Sie arbeiten seit April für Brot für die Welt. Zuvor waren Sie für die Friedensmission der Vereinten Nationen im Südsudan tätig und haben die Umsetzung des Friedensabkommens von 2018 unterstützt. Welchen Beitrag leisten in einer solchen Situation Fördergelder aus Ländern wie Deutschland?

Aus der wissenschaftlichen Forschung wissen wir: Das Risiko für den Ausbruch eines erneuten Bürgerkriegs ist in den Jahren nach der Beendigung eines Kriegs am höchsten. Wir wissen auch, dass ein solcher Krieg riesige Kosten hat. Nicht nur für die Menschen in der Konfliktregion und das Land, das davon betroffen ist. Sondern für die internationale Gemeinschaft insgesamt. Gleichzeitig fällt eine solche Phase in eine Zeit, in der sehr wenige Ressourcen zur Verfügung stehen und staatliche Institutionen schwach sind. In einem solchen Moment ist besonders wichtig, die Zivilgesellschaft zu stärken, um staatliche Institutionen wieder aufzubauen. Das trägt dazu bei, Frieden, Stabilität und eine auf Werten wie Gerechtigkeit und Solidarität aufbauende internationale Ordnung zu sichern. Und das nützt auch den Menschen in Deutschland.

Was ist Ihre Antwort auf das Argument, dass Deutschland seiner Rolle in der Welt nur gerecht werden kann bei starker Wirtschaftskraft und soliden Staatsfinanzen?

Es gibt eine Wechselwirkung zwischen Wirtschaftskraft und Staatsfinanzen und einer starken Rolle in der Welt. Wir als Exportnation sollten das besonders gut wissen. Nur in einer durch Frieden und Entwicklung geprägten Welt finden deutsche Unternehmen stabile Absatzmärkte. Nur mit einer starken Stimme in der internationalen Gemeinschaft können wir unsere Interessen vertreten. Es gibt wenig, was wir allein für uns erfolgreich regeln können, ob Klimaschutz, Steuergerechtigkeit oder Regeln des globalen Handels.

„Wo Reiche immer reicher werden, profitieren nur Einzelne, nicht die Gemeinschaft“

Sie haben in Ihrer beruflichen Vergangenheit auch den Bereich Globale Ungleichheit bei der Robert-Bosch-Stiftung geleitet. Was sind die Ursachen dieser Ungleichheit und was muss in Deutschland jetzt passieren, um dieser Entwicklung entgegenzuwirken?

Ungleichheit hat viele Dimensionen: bei Vermögen oder Einkommen, aber auch bei Zugang zu Entscheidungsmacht oder Verteilung von Ressourcen. Deutschland steht im Bereich Chancengleichheit peinlich schlecht da. Die Kluft zwischen den Besitzenden und Mächtigen und Nichtbesitzenden und Benachteiligten entsteht durch historisch geprägte Ausgrenzungsmuster wie Rassismus, Sexismus oder Kolonialismus. Ungleichheit hat negative Folgen für die gesamte Gesellschaft: geringere wirtschaftliche Stabilität, weniger Vertrauen in Institutionen, weniger sozialer Zusammenhalt, höhere Kriminalität. Um dem entgegenzuwirken, muss Diskriminierung in unseren Köpfen reduziert werden. Und die strukturellen Hürden für Benachteiligte müssen sinken. Dazu gehört Zugang zu Bildung und sozialer und kultureller Teilhabe. Wo Reiche immer reicher werden und Arme immer ärmer, profitieren nur Einzelne, nicht die Gemeinschaft.

Würde sich bei weniger Ungleichheit in Deutschland das Verständnis seiner Rolle in der Welt und von Entwicklungszusammenarbeit verändern?

Davon gehe ich stark aus. Die Entsolidarisierung beginnt hier in Deutschland. Zunehmende Verunsicherung führt zu einem Rückzug aus unserer Verantwortung, obwohl es gerade jetzt eine starke Rolle in der Welt braucht. Und auf der anderen Seite liegt die Entscheidungsmacht im Moment oft bei Menschen, die ein anderes Verhältnis haben zu Armut, Ernährungsunsicherheit oder zur Diskriminierung von Frauen als etwa wir bei Brot für die Welt. Wenn Entscheidungsmacht gerecht verteilt ist, verbessert sich das gesellschaftliche Klima.

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Kleinbäuerin Claudine Hashazinyange mit Avocados vom Baum ihres Schwiegervaters.

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