Frau Kleiber, trotz der brutalen Unterdrückung durch das Regime demonstrieren im Iran viele Frauen für ihre Freiheit. Was denken Sie darüber?
Der Mut und die Kraft dieser Frauen beeindrucken mich sehr. Es ist ja nicht das erste Mal, dass es so eine Protestwelle im Land gibt. Die letzte wurde vor ein paar Jahren brutal niedergeschlagen. Jetzt gibt es erneut dieses Aufbegehren. Ich denke, das zeigt, wie groß die Verzweiflung ist. Viele Frauen haben das Gefühl, keine andere Wahl zu haben. Die jetzige Situation ist für sie unerträglich. Den Mund zu halten und das Unrecht einfach nur zu erdulden, das können und wollen sie nicht.
Wie ist es denn generell um die Rechte der Frauen in der Welt bestellt?
Auf der einen Seite gibt es inzwischen weltweit viele Gesetze und Abkommen, die die Rechte von Frauen schützen. Und immer mehr Regierungen erkennen an, dass es ohne eine Gleichstellung der Geschlechter keinen Frieden und keine Überwindung von Hunger und Armut geben kann. Auf der anderen Seite sind eindeutig Rückschritte zu beklagen: Mehr und mehr autoritäre Regime beschränken die Selbstbestimmung von Frauen. Und in vielen Ländern gelingt es Frauen nicht, ihre Rechte einzufordern. So bestehen diese oft nur auf dem Papier.
Was tut Brot für die Welt, um die Lage von Frauen zu verbessern?
Brot für die Welt fördert Projekte, die besonders Benachteiligte in den Blick nehmen: Frauen und Mädchen, die von den Folgen des Klimawandels betroffen sind, die unter Kriegen und Konflikten leiden, die ausgegrenzten ethnischen Minderheiten angehören, die sexuelle oder häusliche Gewalt erlebt haben. Über unsere Partnerorganisationen unterstützen wir diese Frauen, sich untereinander auszutauschen, sich zu organisieren und zu vernetzen. Und wir helfen ihnen, ihre Fähigkeiten zu erkennen und ihre Rechte durchzusetzen – unter anderem durch Workshops und juristische Beratung. Darüber hinaus engagieren wir uns generell für eine Veränderung von Geschlechterverhältnissen in der Gesellschaft.
Was heißt das konkret?
Um Geschlechtergerechtigkeit zu erreichen, reicht es nicht, mit Mädchen und Frauen zu arbeiten. Gerade Jungen und Männer müssen möglichst frühzeitig Respekt, Toleranz und Friedfertigkeit erlernen, damit sich überholte Rollenbilder gar nicht erst festsetzen können. Einige unserer Projektpartner werben daher für eine „neue Männlichkeit“, die Schwäche und Verletzlichkeit miteinschließt.
Welche Herausforderungen gilt es in der Projektarbeit zu überwinden?
Frauen, die ihre Stimme erheben und Veränderungen einfordern, sind vielen Anfeindungen ausgesetzt, nicht zuletzt über die Sozialen Medien. Teilweise wird ihnen auch offen Gewalt angedroht. Daneben gibt es aber auch praktische Herausforderungen: zum Beispiel, junge Frauen zu finden, die bereit sind, als landwirtschaftliche Beraterin zu arbeiten. Das ist ja ein Job, der oft von Männern gemacht wird. Wenn wir aber Kleinbäuerinnen stärken wollen, dann ist es besonders wirkungsvoll, wenn denen andere Frauen als Vorbild dienen können.
Über welche Erfolge freuen Sie sich besonders?
Gerade im landwirtschaftlichen Bereich hat sich sehr viel getan. In vielen unserer Projekte, die sich für eine ökologische und klimaangepasste Landwirtschaft einsetzen, ist es inzwischen selbstverständlich, dass die Familien traditionelle Rollenbilder hinterfragen und Arbeitsteilung praktizieren, dass also zum Beispiel Kinderbetreuung nicht nur Frauensache ist und dass nicht nur die Männer darüber entscheiden, was und wie angebaut wird oder wozu der Erlös verwendet wird.
Gibt es eine Frau, deren Entwicklung Sie besonders beeindruckt hat?
Besonders beeindruckt mich, wie indigene Frauen selbst aus den entlegensten Regionen es im letzten Jahrzehnt geschafft haben, sich auf nationaler und internationaler Ebene Gehör zu verschaffen und sich gegen Umweltzerstörung, Landraub und Vertreibung zur Wehr zu setzen. Bestes Beispiel dafür ist Sonja Guajajara, eine weltweit geachtete Umwelt- und Menschenrechtsaktivistin, die 2022 vom Time Magazine zu einer der 100 einflussreichsten Menschen der Welt gewählt und im Januar von Präsident Lula zur ersten Ministerin des neu geschaffenen Ministeriums für indigene Völker ernannt wurde.
Wenn Sie in die Zukunft schauen: Sind Sie eher pessimistisch oder eher optimistisch, was das Thema Gleichstellung betrifft?
Natürlich gibt es immer wieder Rückschläge. Aber ich habe das Glück, mit einer großen Vielfalt an Frauen zu tun zu haben, die Motoren des Wandels sind, die sich auf Grundlage eines christlichen Verständnisses von Gerechtigkeit für die Menschenrechte engagieren. Das inspiriert mich immer wieder und daraus ziehe ich meinen Optimismus.