Interview

„Wir müssen Herz und Verstand ansprechen“

Der Bundestag hat entschieden: Die Mittel für Humanitäre Hilfe und Entwicklungszusammenarbeit werden gegenüber dem Vorjahr um 1,5 Milliarden Euro gekürzt. Für Thilo Hoppe, den entwicklungspolitischen Beauftragten von Brot für die Welt, ein Dammbruch: Die Politik folgt jenen, die am lautesten schreien. Es brauche jetzt ein starkes Zeichen jener, die Solidarität an die Stelle von Egoismus setzen.

Von Kai Schächtele am
Thilo Hoppe

Thilo Hoppe war von 2005 bis 2009 Vorsitzender und von 2009 bis 2013 stellvertretender Vorsitzender des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung des Deutschen Bundestages.

Herr Hoppe, der Bundestag hat entschieden, die Mittel für Entwicklungszusammenarbeit, kurz: EZ, und Humanitäre Hilfe im Vergleich zum Vorjahr um fast 1,5 Milliarden Euro zu kürzen. Sie haben im September 2022 einen parteiübergreifenden Appell der ehemaligen Vorsitzenden des Entwicklungsausschusses organisiert, um genau so etwas zu verhindern. Warum konnten Sie sich kein Gehör verschaffen?

Doch, konnten wir. Zwar gab es damals nur ein sehr geringes Medienecho, was mich erstaunt und frustriert hat. Es war schwer genug, den amtierenden und alle noch lebenden Vorsitzenden des Entwicklungsausschusses des Deutschen Bundestages –Mitglieder von SPD, CSU, FDP und Grünen – als Erstunterzeichner unter einen Appell zu bekommen. Aber dann haben ja noch weitere rund 800 Personen den Appell „Lasst sie nicht verhungern!“ unterschrieben, darunter Bischöfe, die Chefinnen und Chefs nahezu aller großen Entwicklungs-NGOs, Firmenchefs und zwei ehemalige Bundesminister. Wie mir damals zugetragen wurde, hat der Koalitionsausschuss darüber diskutiert. Das hat mit dazu beigetragen, dass vor einem Jahr die Kürzungen sehr viel moderater ausfielen als ursprünglich geplant.

Warum konnten Sie die massive Kürzung diesmal nicht verhindern?

Wir konnten den Appell nicht einfach wiederholen. Brot für die Welt, Misereor, viele andere Akteure der EZ und Humanitären Hilfe und der Dachverband VENRO haben aber viele Gespräche geführt, Briefe und Pressemitteilungen geschrieben –­ leider mit nur geringem Erfolg. Durch das Karlsruher Urteil und die Weigerung von Finanzminister Christian Lindner, die Schuldenbremse zu lockern oder in größerem Maße umweltschädliche Subventionen zu kürzen, war der Spielraum der Regierung und des Parlaments sehr viel kleiner als noch vor einem Jahr. Aber dass einige Berufsgruppen und Bereiche wie etwa die Landwirtschaft ihren Protest lautstark zu Gehör bringen und damit einen Teilerfolg erzielen konnten, wir hingegen nicht, fordert uns heraus, neue Strategien zu entwickeln. Sonst geraten die Ärmsten der Armen noch weiter ins Hintertreffen.

„Die Kürzung kostet Menschenleben“

Sie sprechen die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts im November zur Schuldenbremse an. Dadurch ist ein Milliardenloch entstanden. Es folgte ein wochenlanges politisches Ringen um Sparbeschlüsse. Die Bauernproteste im Januar waren eine Folge davon. Ist es da nicht verständlich, dass auch der EZ-Etat in den Blick gerät?

Wenn die Regierung selbstverschuldet weniger Geld zu verteilen hat, gehören natürlich alle Politikbereiche und alle Ministerien auf den Prüfstand – zunächst ohne Ausnahme. Und dann ist es erforderlich, sich über Prioritäten zu verständigen. Es darf aber nicht danach gehen, wer am lautesten schreit, sondern muss sorgfältig ermittelt werden, welche Konsequenzen die eine oder die andere Sparmaßnahme hat. Die Mittel für Humanitäre Hilfe und den Kampf gegen den Hunger zu kürzen, kostet wirklich Menschenleben. Das sage ich, ohne zu übertreiben. Es mag durchaus auch einige Projekte und Programme im Rahmen der EZ geben, die zwar sinnvoll sind, deren Kürzung aber keine dramatischen Folgen hätte. Insgesamt müssten aber das Budget des Entwicklungsministeriums und die Titel des Auswärtigen Amtes für Humanitäre Hilfe, Krisenprävention, Konfliktschlichtung und Menschenrechtsarbeit, erhöht werden.

In der Bevölkerung gibt es Menschen, die sagen: Deutschland investiert in Radwege in Peru, hat aber nicht genug Geld für Kitaplätze. Was entgegnen Sie?

Hinter den viel zitierten Radwegen in Peru stehen Programme, die Peru darin unterstützen, CO2 einzusparen. Das dient dem Umweltschutz und ist eine Maßnahme zur Eindämmung des Klimawandels, der ja auch uns betrifft. CO2 in Entwicklungsländern einzusparen ist mitunter sehr viel günstiger als bei uns. Außerdem haben Länder wie Peru sehr viel weniger zur globalen Erwärmung beigetragen als wir. Sie leiden aber viel stärker darunter. Abgesehen von den Radwegen: Die AfD hat ja als Erste die Maßnahme als Verschwendung von Steuergeldern angeprangert. Und sie sucht sich weitere Projekte aus, deren Kurzbezeichnungen einen falschen Eindruck erwecken. Damit soll die EZ insgesamt diskreditiert werden. Die AfD propagiert da auch ganz ungeniert eine Politik des nationalen Egoismus nach dem Motto „Unser Land zuerst“. Es ist traurig, dass auch einige Politiker der Union und sogar der FDP das aufgreifen, Stimmung gegen die EZ machen und radikale Kürzungen fordern.

„Ich bleibe Optimist“

Sie saßen selbst lange im Bundestag und haben Einblicke hinter die Kulissen des Politikbetriebs. Dreht sich die Stimmung gegenüber der Unterstützung für Länder des Globalen Südens gerade grundsätzlich?

Ich hoffe, dass das nicht der Fall ist. Aber auch im Parlament braucht es jetzt fraktionsübergreifend einen Aufstand der Anständigen, die sich weiteren Kürzungen des Entwicklungsetats und der Mittel für Humanitäre Hilfe energisch widersetzen. Vor einem Jahr hatten auch mehrere aktuelle Bundestagsabgeordnete den Appell „Lasst sie nicht verhungern!“ unterschrieben, in dem sogar gefordert wurde, für EZ und Humanitäre Hilfe insgesamt 2,7 Milliarden Euro mehr zur Verfügung zu stellen. Jetzt ist es im Parlament in dieser Sache leider relativ still geworden.

Was erwarten Sie für die kommenden Monate?

Ich hoffe, dass wir ein breites Bündnis zusammenbekommen, das auf kreative Weise für die Sinnhaftigkeit und Notwendigkeit von EZ wirbt und sich auch Gehör verschaffen kann. Und dass sich das auf die Haushaltsverhandlungen auswirkt und weitere Kürzungen in diesen Bereichen verhindert werden können. Ich bleibe da Optimist, obwohl ich sehe, dass nach der ja noch gültigen Mittelfristigen Finanzplanung der Bundesregierung im nächsten Haushalt in diesen Bereichen weiter radikal gekürzt werden soll – um rund zwei Milliarden. Das wäre fatal. Und das muss verhindert werden.  

Wie kann wieder eine Atmosphäre entstehen, in der Gelder für die EZ und Humanitäre Hilfe wieder als Ausdruck von globaler Zukunftsgestaltung angesehen werden und nicht als etwas, was man sich nur in guten Zeiten erlauben kann?

Wir müssen es schaffen, Herz und Verstand anzusprechen. Einen egoistischen Kurs zu fahren, sich der Solidarität zu verweigern und die Hungernden verrecken zu lassen, beschädigt auch die Seele derer, die einen solchen Kurs toll finden und ihn umsetzen. Zur psychischen Gesundheit gehört auch, Gutes zu tun und Menschen in Not beizustehen. Aber auch jenseits der moralischen Gründe ist es im wohlverstandenen Eigeninteresse, effektiv etwas gegen den Klimawandel zu tun und durch gute EZ Krisen zu entschärfen, bevor sie ausbrechen und zu Kriegen und Katastrophen führen, die die Welt für alle unsicherer machen und zu großen Flüchtlingsströmen führen. All das muss breitenwirksam deutlich gemacht werden, damit es zu einem Klima führt, in dem Solidarität auch dem fernen Nächsten gegenüber gedeihen kann.

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