Wenn eine gute Idee mit dem richtigen Zeitpunkt zusammenfällt, kann etwas Großes entstehen. Womöglich war die Auftaktveranstaltung des Bündnisses „Gemeinsam Hand in Hand“ am 3. Februar 2024 genau so ein Moment.
Unter dem Motto „Wir sind die Brandmauer“ standen allein in Berlin 150.000 Menschen auf der Wiese vor dem Reichstag. Einerseits, um gegen den Rechtsruck in Deutschland zu protestieren. Andererseits, um sich in Redebeiträgen einzustimmen darauf, dass es allein mit Demonstrieren nicht getan sein wird. „Demokratie hat man nicht – Demokratie lebt man“, sagte etwa Luisa Neubauer von „Fridays for Future Deutschland“. Und Jakob Springfeld, der über seine Erfahrungen im Kampf gegen den Extremismus in Ostdeutschland das Buch „Unter Nazis“ geschrieben hat, erzählte, dass bei ihm im Erzgebirge Menschen schon seit Jahren davor warnen, dass die Gesellschaft kippen könnte, weil Rechtsextreme sie bedrohen. Jetzt sei es an der Zeit, jene zu unterstützen, die sich dieser schleichenden Vergiftung entgegensetzen.
Trotz oder gerade wegen Regen und Wind: Die Stimmung auf der Reichstagswiese fühlte sich an wie bei einem Festival, auch wegen Bands und Musiker:innen wie Dota Kehr und Malonda, die gegen Rassismus und Ausgrenzung ansangen und -rappten. Momente der kollektiven Vergewisserung darüber, dass niemand allein sein muss im Einsatz für eine zugewandte und zukunftsfähige Gesellschaft. Solche Momente gab es in ganz Deutschland. Insgesamt 300.000 Menschen hatten sich dem Aufruf angeschlossen, in Metropolen wie auf dem Land, in West- wie in Ostdeutschland. Und so ging glatt unter, dass dieser 3. Februar nicht das Ergebnis einer spontanen Idee war, nachdem die Recherchen von Correctiv über ein Geheimtreffen im November von Populisten, Hetzerinnen und extrem rechten Politikern bekannt geworden waren. Der Tag war vielmehr das Ergebnis eines Vorhabens, dessen Geschichte weit vor Bekanntwerden des Remigrations-Rendezvous in Potsdam begann.
Die Herausforderungen unserer Zeit können wir nur gemeinsam angehen
Im Herbst 2023 nahm sich eine Gruppe von Personen und Organisationen vor, das „Unteilbar“-Bündnis wiederzubeleben und weiterzuentwickeln. Also des Zusammenschlusses aus NGOs, Gewerkschaften und Sozialverbänden, das seit 2018 viele Demonstrationen und Aktionen für eine freie und offene Gesellschaft organisiert hatte. In Berlin etwa gingen im Oktober 2018 200.000 Menschen gegen Rassismus und für eine solidarische Gesellschaft auf die Straße. Auch in Erfurt und in Zittau versammelten sich regelmäßig Menschen, um gemeinsam zu demonstrieren und sich gegenseitig zu inspirieren. Brot für die Welt war von Beginn an mit aktiv. Unter dem neuen Namen „Gemeinsam Hand in Hand“ wurde im vergangenen Jahr aus dem ersten Impuls innerhalb weniger Monate eine riesige zivilgesellschaftliche Bewegung, dem sich inzwischen über 1.800 Organisationen angeschlossen haben.
Brot für die Welt gehört auch diesmal zu den Erstunterzeichnenden. Denn eines ist klar: So sehr wir Solidarität in Deutschland brauchen, so sehr brauchen wir Solidarität in der Weltgesellschaft. Die großen Herausforderungen unserer Zeit werden wir nur gemeinsam angehen können. Darum dürfen wir nicht schweigen, wenn internationale Zusammenarbeit diskreditiert wird und die ärmsten Menschen weltweit noch weniger Unterstützung bekommen sollen.
Beginn einer Transformation – ein langer Atem ist nötig
Der 3. Februar war ein Flirt mit der eigenen Selbstwirksamkeit. Nun sind alle eingeladen, aus diesem Flirt eine dauerhafte Beziehung zu machen. In lokalen Initiativen. In Gesprächen bei der Arbeit und in der Familie. In einer politischen Organisation. Das Bündnis plant viele weitere Aktionen auf Bundes- wie Landesebene entlang der anstehenden Europa-, Kommunal- und Landtagswahlen. Dieser lange Atem ist auch nötig. Deutschland steht am Beginn einer Transformation, die unsere Art zu leben, uns zu ernähren, uns fortzubewegen oder zu reisen grundlegend verändern wird. Solche Zeiten machen Angst und sorgen mitunter dafür, dass Menschen das Gefühl bekommen, bevormundet zu werden. Da wird dann schnell ein Schnitzel zu einem Akt des Widerstands. Dieses Klima machen sich jene zunutze, die mit Scheinlösungen so tun, als könne alles so bleiben, wie es vermeintlich immer war. Doch die Demokratie ist genauso wenig vom Himmel gefallen wie unser Wohlstand.
Die Zeit ist angebrochen, sich selbst einzubringen, um gemeinsam neue Lösungen zu erarbeiten für all die Herausforderungen, vor denen unsere Gesellschaft steht. Das wird anstrengend werden, aber auch Spaß machen. „Alerta, Alerta – Omas sind härter“, rief Maja von den „Omas gegen rechts“. Das ist der Geist, den es jetzt braucht.