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Zentralamerika: Angriff auf die unabhängige Justiz

Interview mit einem hochrangigen zentralamerikanischen Richter im Rahmen einer internationalen Konferenz zum Thema Stärkung der Unabhängigkeit der Justiz, die bei Brot für die Welt Richter:innen aus Zentralamerika und verschiedenen europäischen Ländern zusammenbrachte.

Von Kristina Stier am
Internationale Konferenz zum Thema Stärkung der Unabhängigkeit der Justiz

Internationale Konferenz zum Thema Stärkung der Unabhängigkeit der Justiz bei Brot für die Welt

Zentralamerika ist von einem hohen Maß an Gewalt, Korruption, der Verquickung von staatlichen und kriminellen Strukturen und autoritären Tendenzen gekennzeichnet. Ein verbindendes Element in den verschiedenen Ländern sind dabei Angriffe auf die Unabhängigkeit der Justiz, denen sich integre Mitarbeiter:innen des Justizwesens widersetzen. Aus Sicherheitsgründen muss der interviewte Richter anonym bleiben.

Wie steht es um die Demokratie und die Unabhängigkeit der Justiz in den zentralamerikanischen Ländern?

Die Region ist von Armut und großer sozialer Ungleichheit gekennzeichnet. Demokratische Institutionen werden von populistischen und autoritären Regierungen angegriffen. Für diese bildet die Justiz ein lästiges Übel für ihre Partikularinteressen, die weit entfernt von einer demokratischen Ausrichtung auf das Gemeinwohl liegen. Am gravierendsten ist die Situation sicherlich in Nicaragua. Dort regiert Daniel Ortega seit 2007. Man kann mittlerweile aufgrund der Demontage demokratischer Institutionen und der massiven Ausschaltung der Opposition von diktatorischen Zuständen sprechen. Zur gewaltsamen Niederschlagung von Protesten kommen das Verbot eines Großteils der zivilgesellschaftlichen Organisationen im Land und die Kriminalisierung und Verfolgung von unter anderem Politiker:innen, Geistlichen, Menschenrechtsverteidiger:innen und Medienschaffenden, bis hin zum Entzug der Staatsbürgerschaft. Doch das passiert nicht nur in Nicaragua. Wir sehen, dass die angewandten Strategien sich auf die Region übertragen haben.

Können Sie das näher erläutern?

In El Salvador verbietet die Verfassung eigentlich eine direkte Wiederwahl des Präsidenten, doch gelang es dem amtierenden, Nayib Bukele, dieses Verbot durch Übernahme der Macht über die Legislative und das verfassungswidrige Ersetzen von Richter:innen des Obersten Gerichtshofs zu umgehen und 2024 seine zweite Amtszeit anzutreten. Seitdem im März 2022 der Ausnahmezustand zur Bekämpfung krimineller Banden ausgerufen und immer wieder verlängert wurde, sind mehr als 81.000 Personen verhaftet worden. Gerichte verhängen in Massenanhörungen von bis zu 900 Personen Untersuchungshaft, ohne Mindeststandards für ein faires Verfahren. Über 250 Personen sind bereits in Haft gestorben. Trotz massiver Menschenrechtsverletzungen erfreut sich dieses Sicherheitsmodell bei der Bevölkerung großer Beliebtheit und ist zum Vorbild für Regierungen und rechtsextreme Bewegungen in ganz Lateinamerika geworden.

Können Sie auch die Situation in den benachbarten Staaten beschreiben?

In Guatemala kam es in den vergangenen Jahren zur massiven strafrechtlichen Verfolgung von Menschenrechtsverteidiger:innen, Journalist:innen sowie unabhängigen Richter:innen und Staatsanwält:innen, insbesondere solchen, die in oder mit der UN-gestützten Internationalen Kommission gegen die Straflosigkeit (CICIG) zusammengearbeitet hatten. Der diesjährige Amtsantritt des sozialdemokratischen Präsidenten Bernardo Arévalo gibt Anlass zur Hoffnung. Aber die Generalstaatsanwaltschaft, der Oberste Gerichtshof und das Verfassungsgericht stehen weiterhin unter der Kontrolle des sogenannten „Pakt der Korrupten“ [ein Netzwerk aus Politik, Unternehmen, Militär und Justiz, Anmerkung der Redaktion]. Mehr als 60 Justizmitarbeiter:innen befinden sich immer noch im Exil. Die laufende Neuwahl der Richter:innen des Obersten Gerichtshofs und der Berufungsgerichte, die im Oktober abgeschlossen wird, wird entscheidende Auswirkungen auf die demokratische Zukunft Guatemalas haben.

In Honduras amtiert seit 2022 die fortschrittlich orientierte Regierung unter Xiomara Castro. Doch nach zwölf Jahren der sogenannten „Narco-Diktatur“ der Nationalen Partei ist es Castro bisher leider nicht gelungen, ihr Versprechen einzuhalten und die demokratischen und menschenrechtlichen Institutionen des Landes zu stärken. Honduras bleibt eines der weltweit gefährlichsten Länder für Menschenrechtsverteidiger:innen. Sorge bereitet auch, dass in bestimmten Gebieten mit hohem Konflikt- und Gewaltpotenzial ein Ausnahmezustand verhängt wurde, der, in Nachahmung des salvadorianischen Modells, unter anderem kollektive Anhörungen und allgemeine Untersuchungshaft vorsieht.

Costa Rica gilt als das Land mit dem solidesten demokratischen System in der Region. Doch selbst hier sind unter der aktuellen Regierung von Präsident Rodrigo Chaves mit ihren stark populistischen Tendenzen neben schweren Rückschlägen unter anderem im sozialen Bereich auch in Bezug auf das Justizsystem besorgniserregende Entwicklungen zu verzeichnen – Muster, die wir aus anderen Ländern der Region bereits kennen.

Welche Rolle spielt vor diesem Hintergrund die Arbeit von Richtervereinigungen wie der Zentralamerikanischen Richtervereinigung für Demokratie?

Trotz der spezifischen Kontexte in den einzelnen Ländern haben wir festgestellt, dass es, angesichts oft sehr ähnlicher struktureller Herausforderungen, notwendig ist, unsere Kräfte zu bündeln: um rechtstaatliche Strukturen und die Unabhängigkeit der Justiz zu stärken und vor allem auch, um dazu beizutragen, das Bewusstsein von Richterinnen und Richtern als Garanten der Menschenrechte zu stärken. Daraus ist die Zentralamerikanische Richtervereinigung für Demokratie (FECAJUD) entstanden, der nationale Vereinigungen von Richter:innen aus El Salvador, Guatemala, Nicaragua, Honduras und Costa Rica angehören. Verschiedene nationale Vereinigungen gehören wiederum auch dem Lateinamerikanischen Verband der Richter:innen und Staatsanwält:innen (FLAM) und der Internationalen Richtervereinigung (IAJ) an. Hier in Deutschland hat uns nun der Deutsche Richterbund, mit dem ein enges Kooperationsverhältnis besteht, willkommen geheißen.

Sind die Probleme, mit denen Sie in Ihrer Heimat kämpfen, eigentlich spezifisch lateinamerikanisch?

Angriffe auf die Unabhängigkeit der Justiz, vor allem dort, wo bereits institutionelle Schwächen bestehen, gibt es nicht nur in Zentral- oder Lateinamerika. Sie sind ein globales Problem, das wir strategisch angehen müssen, mit den demokratischen Mechanismen, die uns zur Verfügung stehen: von unseren Gesetzen bis hin zu internationalen Konventionen, Institutionen und Gremien, die in dieser Hinsicht tätig werden können, und natürlich gemeinsam mit Menschenrechtsorganisationen und der Zivilgesellschaft.

Sie haben sich auf der Konferenz hier in Berlin mit deutschen und europäischen Richter:innen ausgetauscht und auch mit der UN-Sonderberichterstatterin für die Unabhängigkeit von Richter:innen und Rechtsanwält:innen. Was nehmen Sie aus diesen Gesprächen mit?

Eine wichtige Erkenntnis ist, dass das Thema stärker in der Bevölkerung verankert werden muss. Richterinnen und Richtern kommt in der Gesellschaft die Rolle zu, die Rechte der Bürger:innen zu verteidigen und zu sozialer Gerechtigkeit, zu sozialem Frieden beizutragen, Konflikte zu bearbeiten. Wir müssen als Richter:innen versuchen, näher an die Bevölkerung heranzukommen, vor allem an die jungen Leute, schon an Student:innen, wenn nicht schon früher. Die Welt der Justiz ist für die Bevölkerung manchmal unverständlich oder weit entfernt. Interessant ist hier zum Beispiel der Blick nach Polen, wo es nach den massiven Angriffen auf die Unabhängigkeit der Justiz – neben der Solidarisierung durch Richter:innen aus ganz Europa – auch eine sehr breite Unterstützung aus der Bevölkerung für die Richterinnen und Richter gab. Positiv ist in diesem Zusammenhang zum Beispiel auch, dass wir in Guatemala im letzten Jahr beobachten konnten, wie die indigene Bevölkerung in ihrer Mobilisierung insbesondere auch eine Demokratisierung basierend auf einer unabhängigen Justiz forderte [Weil der „Pakt der Korrupten“ unter Federführung der Generalstaatsanwaltschaft versuchte, den Amtsantritt von Bernardo Arévalo mit allen Mitteln zu verhindern, kam es zu massiven Protesten, angeführt vor allem von indigenen Organisationen, Anmerkung  der Redaktion]. Wichtig ist für uns außerdem auch, hier in Berlin den persönlichen Austausch und auch das Bewusstsein für die Bedingungen, unter denen wir unser Amt ausüben, vertieft zu haben.

 

Partnerorganisationen von Brot für die Welt in der Region unterstützen die Austausch- und Vernetzungsprozesse zwischen Mitarbeiter:innen des Justizwesens seit Jahren. In diesem Interview sprechen Alejandra Manavella (Center for Justice and International Law, CEJIL) und Mara Bocaletti (Plataforma contra la Impunidad – Plattform gegen Straflosigkeit, PICI) über weitere Schwerpunkte ihrer Arbeit angesichts der Schwächung rechtstaatlicher Strukturen in der Region.

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